Süddeutsche Zeitung

Ausstellung über Moses Mendelssohn in Berlin:Mit Christen reden

Ein Leben zwischen den Sprachen und Herkunftswelten: Das Jüdische Museum Berlin erzählt in einer Ausstellung von dem Aufklärer Moses Mendelssohn.

Von Lothar Müller

Als er im Herbst 1743, im Alter von 14 Jahren, aus seiner Geburtsstadt Dessau kommend, am Halleschen Tor ankam, soll er auf die Frage der Wache, was er in Berlin wolle, geantwortet haben: "Lernen." In der großen, locker biografisch gegliederten Ausstellung, die das Jüdische Museum Berlin derzeit dem Philosophen Moses Mendelssohn widmet, ist der erste Raum dieser Bewegung von Dessau nach Berlin gewidmet. Die Kuratoren Inka Bertz und Thomas Lackmann aktualisieren die Dokumente zur Herkunftswelt, zum Ausgang des jungen Juden aus der Provinz, aus dem Haus des Vaters, der Tora- und Gemeindeschreiber in Dessau war. Ein Schriftzug an der Wand fragt: "Sollten junge Bildungsmigranten unbegleitet einwandern?"

"Wir träumten von nichts als Aufklärung" heißt die Ausstellung, nach einer Passage in einem Brief Mendelssohns an den Arzt Johann Georg Zimmermann. Sie präsentiert ihren Helden als Schirmherrn des selbstorganisierten Ausgangs aus Bewusstseinsblasen, als Lehrer in der Kunst, mit Andersdenkenden zu reden, sich gegenüber Fake News zu behaupten.

Auf zwei großen Karten, einem Stadtplan Berlins und einer Landkarte Europas blinken Lämpchen auf. Sie markieren Mendelssohns Wohnhaus in der Spandauer Straße 68, das Joachimsthalsche Gymnasium nah am Schloss, in dem er als Jugendlicher Lateinkurse besuchte, die Wohnsitze der Freunde des Erwachsenen, darunter die Aufklärer Friedrich Nicolai und Gotthold Lessing, die Gärten und Cafés, in denen sie sich trafen, die Synagogen, die Talmudschule. Die Europakarte zeigt das weitgespannte Netz gelehrter und politisch einflussreicher Juden unter den Vorfahren der Mutter Mendelssohns, von Speyer bis Krakau, von Altona bis Venedig.

Sechs seiner zehn Kinder überlebten. Ihre Lebenswege sind eine eigene Ausstellung wert

Leicht war es nicht, nach Berlin zu kommen. Die Judengesetzgebung Friedrichs des Großen aus dem Jahr 1750 war an ökonomischen Interessen ausgerichtet und mit der Ausweisung armer Juden verbunden. Der prekäre Rechtsstatus der Juden in Preußen ist ein roter Faden der Ausstellung. Er zieht der Bildungseuphorie das realhistorische Garn der Bitternis ein. Der Berufsalltag, der vom Hauslehrer für die Kinder des Seidenhändlers Isaak Bernhard zum Buchhalterjob in dessen Firma und schließlich zur Teilhabe am Textilhandel führte, wird knapp, aber eindrücklich dokumentiert.

Der junge Mendelssohn war beim Aufbruch aus Dessau seinem Lehrer David Fränkel gefolgt, der 1742 Oberrabbiner in Berlin geworden war. Schon in der Kindheit war sein Lernpensum exorbitant gewesen und hatte zu seinem zeitlebens schlechten Gesundheitszustand beigetragen. Die Kenntnis des großen mittelalterlichen Gelehrten Moses Maimonides brachte er mit in die preußische Hauptstadt. Unter den Karten mit den blinkenden Lämpchen liegen Brautbriefe Mendelssohns an Fromet Gugenheim, die Tochter eines Altonaer Kaufmanns, die er 1761 heiratete. Den bestickten Tora-Vorhang, auf dem über floralen Elementen zwei Löwen zu sehen sind, die Juda, einen der zwölf Stämme Israels symbolisieren, hat das Ehepaar Mendelssohn 1774/75 einer Berliner Synagoge gestiftet. Zur Überlieferung gehört, er sei aus dem Brautkleid Fromets gefertigt worden.

Das gastfreie Haus der Mendelssohns in der Spandauer Straße hat seinen Auftritt, auch die Familie, in der von zehn Kindern sechs überlebten. Aber es gibt hier keine Europakarte, auf der blinkende Lämpchen die Lebenswege der Töchter und Söhne markieren könnten. Etwa den der Tochter Brendel, die aus der vom Vater verordneten Ehe mit dem Kaufmann Simon Veit ausbrach, sich mit dem Romantiker Friedrich Schlegel zusammentat und mit ihm katholisch wurde. Es bleibt bei einigen Medaillons und Porträts, vielleicht auch deshalb, weil in Berlin in der "Mendelssohn-Remise" in der Jägerstraße eine Kabinettausstellung zur Familiengeschichte dauerhaft gezeigt wird.

Als ein Balkonzimmer ist die Abteilung "Dialog und Netzwerk" gestaltet. Manuskripte, Bücher, Zeitschriften, darunter so interessant betitelte wie "Der Chamäleon", dokumentieren die Publikationstätigkeit, die Mendelssohn trotz der Verpflichtungen seines Berufsalltags entfaltete. Für den Zugang zur Gelehrtenrepublik steht eine aufgeschlagene Seite aus dem Besucherregister der Bibliothek in Wolfenbüttel des Jahres 1777, als Lessing dort Direktor war. Die dichte Namensliste vermerkt "Moses Mendelssohn aus Berlin".

Eine Karte mit Lämpchen wäre auch nützlich gewesen, um das Netzwerk der Briefpartner Moses Mendelssohns sichtbar zu machen oder seine Rolle als Orientierungsfigur für die jüngere Generation nicht nur jüdischer Intellektueller in Berlin. Der Arzt Markus Herz ist mit seiner Schrift über die frühe Beerdigung der Juden vertreten (man befürchtete die Grablegung von Scheintoten), doch die dichte Beschreibung des sozialen Lebens im Hause Mendelssohn in den Erinnerungen seiner Frau, Henriette Herz, bleibt verschattet. Dass Moses Mendelssohn Geburtshelfer - und Beiträger - eines der bedeutendsten Zeitschriftenprojekte der Spätaufklärung,, des "Magazins zur Erfahrungsseelenkunde" von Karl Philipp Moritz, war, lässt sich allenfalls ahnen. So wirkt das deutsch-jüdische Netz der Berliner Aufklärung ein wenig ausgedünnt.

In der schönen Federzeichnung, die im Blick auf eine Kaffeehausszene, in der auch Frauen anwesend sind, das Selbstbild aufgeklärter Geselligkeit festhält, erscheint die bürgerliche Öffentlichkeit als prinzipiell inklusiv. Sie war es, was die Juden betraf, durchaus nicht schrankenlos. Zugleich überlagerten sich gerade in der Autorschaft Mendelssohns Teilöffentlichkeiten. Dass er jüdischer Aufklärer inmitten der Berliner Gelehrtenrepublik und zugleich Aufklärer des Judentums war, zeigte sich auch darin, dass er auf Deutsch und Hebräisch publizierte.

Lavater, Lessing und Mendelssohn kamen so nie zusammen, das Bild ist trotzdem ein close reading wert

Zu Recht räumen die Kuratoren seiner kommentierten Tora-Übersetzung ins Hochdeutsche den ihr gebührenden Raum ein, einschließlich der nicht selten ablehnenden Reaktionen auf Seiten mancher Rabbiner und Gelehrter auf diesen Versuch, die Lektüre der Fünf Bücher Mose mit der Verkehrssprache der allgemeinen Öffentlichkeit zu verknüpfen. Moses Mendelssohn steht für eine Aufklärung ohne Säkularisierungsimperativ, die unbegrenzte Aneignung weltlichen Wissens propagierte er, ohne dabei von den Gesetzen seiner Religion einen Abzug machen zu wollen.

Wie das Lateinische, das Griechische, das Französische gehörte das Deutsche zu den Sprachen, die der junge Mendelssohn sich angeeignet hatte. Zum Verständnis seines Übersetzungsprojekts, in dem die Treue zur eigenen Religion und die Orientierung an der Mehrheitsgesellschaft sich die Waage halten, könnte eine Windrose der Sprachen hilfreich sein. Sie würde nicht nur die Mehrsprachigkeit der Berliner Aufklärung sichtbar machen, sondern deutlicher, als es in der Ausstellung geschieht, den ausgeschlossenen Dritten beim Brückenbau zwischen dem Hebräischen und Hochdeutschen, das Jiddische. Von ihm sagte Mendelssohn gelegentlich, begriffliches Denken sei darin kaum möglich.

Im Dialog mit den Christen wiederum sah der jüdische Aufklärer sich immer wieder dem Verdacht ausgesetzt, es gäbe eine nicht aufhebbare Spannung zwischen dem Judentum als strenger Gesetzesreligion und der Vernunft. Mit erhellendem close reading zeigt die Ausstellung das 1856 entstandene Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim: "Lavater und Lessing bei Moses Mendelssohn". Es zeigt eine Szene, die es historisch nie gegeben hat. Johann Caspar Lavater, Prediger aus Zürich und bekannter Physiognomiker, hatte 1763 Mendelssohn besucht und mit ihm gesprochen, aber da war Lessing längst nicht mehr in Berlin. Später hat er Mendelssohn öffentlich aufgefordert, die Vernunftgründe, die für das Christentum sprächen, zu widerlegen - oder zu konvertieren. Indigniert, ja durchaus entrüstet blickt Lessing auf den zudringlichen Lavater, gelassen und souverän hört Mendelssohn, der Gastgeber, seinem unhöflichen Gast zu.

An einer Kant-Büste vorbei - Mendelssohn hat die "kantische Wende" der Aufklärungsphilosophie nicht mitvollzogen - führt die Ausstellung zu den von Chodowiecki-Kupferstichen umrahmten Schriften über das Verhältnis von Aufklärung, Aberglauben und Schwärmerei, zu den ästhetischen Schriften und schließlich zum Kontrast zwischen dem stets hinfälligen Körper Mendelssohns und den Bildern der Unsterblichkeit in seinem Bestseller "Phaidon", in dessen Folge Mendelssohn in den Augen der Nachwelt mit Sokrates zu verschwimmen begann.

Im letzten Raum steht den Porzellanaffen, in denen die harte Verpflichtung der preußischen Juden zum Porzellankauf Gestalt gewinnt, der Bilderkosmos aus Original und Massenreproduktionen von Moses Mendelssohn-Porträts und -büsten seit dem späten 18. Jahrhundert gegenüber. Auf eine große Wand werden Zitate meist jüdischer Autoren über Mendelssohn projiziert, in denen er mal die Traditionen des Judentums für die Moderne bewahrt, mal zum "Seichtbeutel" (Karl Marx) wird, mal aus der Sicht von Zionisten zum Inbegriff des Irrwegs der Assimilation. Woher die oft harsche Kritik rührt, würde leichter verständlich, hätte die sehenswerte Ausstellung in ihrem mit historischem Originalmaterial reich bestückten Parcours selbst deren Einsatzpunkte deutlicher markiert.

"Wir träumen von nichts als Aufklärung" - Moses Mendelssohn. Bis 11. September. Jüdisches Museum Berlin. Der Katalog kostet 29,80 Euro. Zur Ausstellung ist die Graphic Novel "Moische. Sechs Anekdoten aus dem Leben des Moses Mendelssohn" in drei Sprachen zum Preis von 24 Euro erschienen.

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