Moritz Rinke: "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García":Mach's wie Messi

FC Barcelona v Real Madrid CF - La Liga; Messi Ronaldo

Höhepunkt bei Rinke und im göttlichen Fußball sowieso: Lionel Messi mit Christiano Ronaldo beim Clásico, hier im Jahr 2016.

(Foto: Alex Caparros/Getty Images)

Moritz Rinkes neuer Roman ist eine Hommage an die Insel Lanzarote und die analoge Post . Er ist vor allem aber auch ein Jungs-Ding: über Männerfreundschaft, Vaterliebe und Fußball.

Von Christine Dössel

Wer noch nie auf Lanzarote war, fühlt sich nach der Lektüre von Moritz Rinkes neuem Roman ganz gut vertraut mit der Kanareninsel, ihren weißen Dörfern und schwarzen Stränden. Er erfährt von dem ockergelb-rötlichen Staub, den der Ostwind aus der Sahara herüberbläst, lernt den Unterschied zwischen "Blocklava" und "Stricklava", und dass man den feinkörnigen Lava-Ascheboden "Picón" nennt. Er kann sich ein Bild machen von den Feuerbergen von Timanfaya, dem Famara-Kliff mit der Kapelle obendrauf und den südlichen Ajaches-Bergen mit dem Atalaya-Vulkan. Überhaupt die ganzen Vulkane mit ihren plastischen Namen - der schöne Hans, der schwarze Brüller -, sie kommen alle zur Geltung.

Der in Berlin lebende Dramatiker und Schriftsteller Moritz Rinke hat seit vielen Jahren ein Haus auf der Insel, zieht sich zum Schreiben dahin zurück, spricht mit den Leuten. Nun hat er einen Roman nicht nur auf, sondern auch über Lanzarote und die dortigen "Vulkanmenschen" geschrieben, es ist sein zweiter - nach "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel" von 2010 -, er trägt den kapriziösen Titel "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García".

Dieser Pedro Fernández García ist nicht etwa ein Abenteuerheld, wie man vermuten könnte, sondern ein einfacher Postbote, angestellt bei der königlichen Post Spaniens wie auch schon sein Vater und sein Großvater. Nur dass es zu deren Zeit noch ein hohes analoges Briefaufkommen gab, wohingegen der Zusteller in Zeiten der Digitalisierung vom "postfeindlichen Klickklickklick und Wischwischwisch" zunehmend überflüssig gemacht wird. Er fährt zwar noch täglich mit seiner Dienst-Honda seine Touren, aber Pedro hat außer schnöder Werbung immer weniger Post auszutragen. Weshalb er seine Zeit gerne bei einem Café con leche verbringt und hinterher mit den Tankbelegen trickst.

Moritz Rinke: "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García": Moritz Rinke: "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 448 Seiten, 24 Euro.

Moritz Rinke: "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 448 Seiten, 24 Euro.

Das Post-Setting wurde von Rinke geschickt gewählt, so kann er von der Internet-Moderne und deren Rationalisierungsmaßnahmen erzählen; kann uns Leser aber auch mit seinem Titelhelden über die Insel brausen und deren raue Schönheit wahrnehmen lassen. Außerdem ist die Post ein romantisches Sujet, dessen viele Verweise, etwa auf alte, nie zugestellte Liebesbriefe oder auf prominente Vertreter der Zunft - wie den jungen Abraham Lincoln - der Autor nostalgisch auskostet.

Dass bis zu seinem Tod 2010 der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago auf Lanzarote lebte, spielt ebenfalls eine Rolle (der Roman spielt zwischen 2009 und 2010). Und wer jetzt sofort an "Il postino" denkt, den 1994 auf der italienischen Insel Procida gedrehten Film von Michael Radford nach einem Roman von Antonio Skármeta, in dem der chilenische Dichter Pablo Neruda einem Briefträger zu seiner Liebe verhilft, dem sei versichert: Da ist nichts abgekupfert. Rinke spricht diese Analogie selber an. Und überhaupt, liebestraurige Postboten und glorifizierte Schriftsteller kommen auf so mancher Insel vor. Wobei José Saramago in Rinkes Roman unerreichbar bleibt, da er von einer strengen Haushälterin abgeschirmt wird. Nicht aber des Nobelpreisträgers Pudel, den Pedro und sein Jugendfreund Tenaro entführen - eine der nonchalanten Torheiten dieses Duos, das ein bisschen an Don Quijote und Sancho Pansa erinnert. Der Fischer Tenaro ist in Zeiten überfischter Meere ohne Arbeit, aber voller Ideen. Ständig ersinnt er aberwitzige Geschäftsmodelle.

Das alles also ist Thema: die Insel, die Globalisierung, die Post, die Männerfreundschaft, die Liebe. Vor allem die Liebe. Gemeint ist nicht die Liebe zwischen Mann und Frau - davon weiß Rinke erstaunlich wenig zu erzählen -, sondern die zwischen Vater und Sohn. Der kleine Miguel ist zwar nicht Pedros leibliches Kind, aber er liebt den Jungen abgöttisch, kümmert sich um Erziehung, Hausaufgaben, Bespaßung. Er ist einer dieser fürsorglichen Hausmänner, während Miguels Mutter Carlota, deren größter Vorzug offenbar die optische Ähnlichkeit mit Penélope Cruz ist, Karriere im Hotel Crystal Palace macht. Nun ja, zumindest arbeitet sie dort Tag und Nacht, und erst, als sie ihn verlässt, schnallt der gutmütige, nicht gerade als großes Licht eingeführte Pedro, dass Carlota eine Affäre mit ihrem Chef Bruno hat. Mit diesem betreibt sie fortan ein Boutique-Hotel in Barcelona, und den siebenjährigen Miguel nimmt sie mit. Sodass der Romanheld erst mal ein depressiver Selbstmordkandiat ist.

Der Fußball rollt leitmotivisch über ein Feld aus Ballkitsch und Klischees

Aber dann passiert so viel im Leben des Pedro Fernández García, dass der Tod gar keine Chance und der Autor ganz schön viel zu arrangieren hat. Da ist zunächst der aus Afrika geflüchtete Amado, der im entscheidenden Moment wie ein rettender Engel in der Küche sitzt. Wirkt er erst wie ein durch zu viel "Kongogras" in der vorangegangenen Bar-Nacht herbei halluziniertes Hirngespinst, wird sehr schnell klar: Nein, der ist echt! Amado ist in seiner ganzen Märchenhaftigkeit Rinkes Repräsentationsfigur für die auf Lanzarote gestrandeten Asylsuchenden aus Afrika - und für die Flüchtlingskrise im Allgemeinen. Denn die darf natürlich nicht fehlen in einer Geschichte, die 2009/10 auf einem Post-Außenposten der Festung Europa spielt.

Wobei der aus Äquatorialguinea stammende Amado ein echter Vorzeigeflüchtling ist: Spanisch sprechend, Akademiker, ein Mann mit Geist und Ausstrahlung. Er stellt sich als Präsident des "Landes der Wartenden" vor, eines Flüchtlingslagers zwischen den Welten in der Enklave Melilla. Amado lehrt Pedro, dass "die Gleichgültigkeit die gefährlichste Form der Rohheit" ist. Fußball liebt er auch, was ihn endgültig zum Freund und zu einem Rinke-Musterprotagonisten macht, und den Roman zu einem Jungs-Ding.

Der Fußball, Rinkes große Leidenschaft - er ist Torjäger der deutschen Autorennationalmannschaft -, rollt geradezu leitmotivisch durch die Geschichte, auch über ein Feld aus Ballkitsch und Klischees. Er verbindet Vater und verlorenen Sohn und die Männer sowieso, die alle an den einen Gott glauben: Lionel Messi. Er, der "im Schuss die Welt anhält", ist der heimliche Held des Romans und steht bei einem "Clásico" - FC Barcelona gegen Real Madrid -, seinen Supermann. Tor!

Rinke kann und liebt Dialoge. Und Situationskomik

Dieses Spiel im Stadion Camp Nou ist Teil des Plans, mit dem Pedro und Tenaro den kleinen Miguel aus Barcelona zurückholen wollen. Was ihnen dabei alles unterläuft, zählt zu jenen Eulenspiegeleien, die das Buch auch zu einem Schelmenroman machen. Ein spitzbübisch-kindliches Gemüt schlägt sich hier mit Fabulierlust nieder. Introspektion ist nicht so sehr Rinkes Fall, aber er kann und liebt Dialoge. Und Situationskomik. Man merkt, wie sich der Autor an seinen Erfindungen und Formulierungen delektiert; wie es ihm Freude macht, seine etwas schlichten Helden durch Pleiten, Pech und Pannen und die Segnungen des - seinerzeit noch relativ neuen - Smartphones zu führen, aber auch durch die Höhen und Kabbeleien echter Männerfreundschaft. Die hat hier genauso sentimentale Züge wie Pedros Vaterliebe.

Rinkes Erzählung hat einen (männer)romantischen Retro-Touch. Aber auch einen problemumfassenden All-inclusive-Willen. Deshalb muss schon auch noch Spaniens faschistische Vergangenheit mit rein. Und die Verstrickung mit Nazi-Deutschland, festgemacht an einem schwer auf dem Roman lastenden Möbel-Erbstück von Pedros Großvater aus "deutscher Eiche". Dazu gibt es ausführliche Exkurse und Internetrecherche-Ergebnisse - wie ohnehin Wikipedia auf den 436 Seiten viele Infospuren hinterlassen hat. So erringt dieser überfrachtete Roman literarisch zwar keinen Meisterschaftstitel. Aber, um in der Sprache des Fußballs zu bleiben: Er dribbelt munter und wendig ins Finale.

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