Zu den merkwürdigen Gesetzmäßigkeiten von Hollywood gehört, dass gerade dann, wenn man dort mal richtig progressiv sein möchte, oft etwas total Reaktionäres herauskommt. Zum Beispiel in der Komödie "Bruce Allmächtig" von 2003, wo Jim Carrey im Himmel Morgan Freeman begegnet. Er hält ihn für den Hausmeister. Erst als Freeman den Blaumann auszieht und darunter ausgerechnet ein schneeweißer Anzug zum Vorschein kommt, schüttelt Bruce amüsiert den Kopf und findet das "echt irre": Gott, ein Schwarzer!
Wieder einmal soll also ein gütig lächelnder Afroamerikaner einem Weißen dabei helfen, seine Menschlichkeit zu entdecken, wie schon so oft im Kino. Man merkt daran, dass sich die Klasse eines Schauspielers auch in der Fallhöhe gegenüber seinen Rollen messen lässt. Freeman schafft es in "Bruce Allmächtig" zum Beispiel, selbst im weißen Erlösungsanzug nicht zu verblassen und zu verbleichen. Gegen alle Widerstände verleiht er dem Film wieder einmal eine gewisse emotionale Weite. Es liegt wahrscheinlich an diesen Augen. Er habe schon mit zwanzig unter ihnen gelitten, hat Freeman einmal gesagt, weil sie den Eindruck vermittelten, er sei weise und gütig. Ein typisches Morgan-Freeman-Statement, man sollte sich davon nicht täuschen lassen. Menschen haben ein feines Gespür für solche Dinge. Sie wissen oft selbst nicht, warum sie manchen Leuten trauen, anderen nicht. Freeman trauen sie.
Deshalb schickt der Discovery Channel ihn seit vorigem Jahr für die Doku-Serie "The Story of God with Morgan Freeman" um die Welt. Dabei hält er es selbst mit Nietzsche. Der Mensch habe Gott erschaffen und nicht anders herum, sagt er. "Ich bin Gott", sei daher seine Losung. Aber er hört den Gläubigen zu, mit diesem Blick, in dem das enthalten zu sein scheint, was viele in der Religion suchen.
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Am Anfang der Episode "Der Auserwählte" betritt Freeman ein Kino und sagt, hier habe alles begonnen, in einem Kino des Provinzstädtchens Greenwood, Mississippi. Als "Little Boy Blue" stand er hier das erste Mal vor Publikum. Eine Schultheateraufführung, gleich die Hauptrolle. Er war acht Jahre alt, der Vater ein Säufer, die Mutter mit der sechsköpfigen Familie überfordert. "Ich trat auf die Bühne, ins Licht. Die Bewegungen und die Worte flossen mühelos vor sich hin." Der kleine Junge, der damals noch für die Weißen im Bus aufstehen musste, der so arm war, dass er mit 16 fast an einer Lungenentzündung gestorben wäre, blickt als erwachsener Mann in die Kamera und strahlt.
Bekannt wurde er vor allem durch die Rollen, in denen er diesen Blick auf andere richten durfte, um so den emotionalen Resonanzraum eines Films zu bilden: etwa über den Rückspiegel auf eine jüdische alte Dame in "Miss Daisy und ihr Chauffeur" (1989), womit ihm der späte Durchbruch gelang; auf einen Mithäftling im Gefängnisdrama "Die Verurteilten" (1994); oder, oscargekrönt, auf eine aufstrebende Boxerin in "Million Dollar Baby" (2004).
Im Psychothriller "Sieben" (1995) sagt er, als alternder Mordermittler, auch der Teufel sei "nur ein Mensch". Man glaubt es ihm, als er in prustendes Gelächter über das "beruhigende, entspannende, vibrierende" Heim seines unverdorbenen jungen Partners ausbricht, über das regelmäßig die U-Bahn hinwegrollt. Woher dieses urplötzlich jungenhafte Lachen des brütenden Melancholikers stammt, fragt man sich, und begreift, dass Freeman nicht nur von Gott, sondern auch vom Teufel eine Ahnung zu geben vermag. Davon, dass der Mensch beides ist, und deshalb frei.
Man könnte so weit gehen, das als Freemans Beitrag zur Emanzipationsgeschichte des schwarzen Amerika zu bezeichnen. Schwarze Männer und Frauen können heute wieder gemütvoll gucken im Kino, ohne dabei automatisch etwas Hündisches zu entwickeln - anders als die devoten "Onkel Tom"-Figuren, die in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie lange zum Stammpersonal gehört haben.
Freeman hat sich immer wieder der Gefahr ausgesetzt, sich selbst zu einem solchen Klischee machen zu lassen. Aber stattdessen hat er dann dem Widerstand dagegen eine Persönlichkeit verliehen, mehr noch, eine echte Spiritualität, die mit höheren Mächten rein gar nichts zu tun hat, sondern für die es den ebenso nüchternen wie schönen Begriff der "Menschlichkeit" gibt. Nun wird dieser tolle Schauspielmensch achtzig Jahre alt.