Mord von Potzlow:"Durch die Gewalt reden die Leute"

Wozu Menschen in ihrer Verzweiflung fähig sind, hat der Mord an einem Jugendlichen in Potzlow gezeigt. Nach dem Kino kommt jetzt die reale Geschichte des Verbrechens auch ins Theater.

Martina Knoben

Mit unglaublicher Hartnäckigkeit und Konsequenz bleibt er der politischen Realität dieses Landes auf der Spur, der Filmemacher Andres Veiel - sein "Black Box BRD", über den RAF-Mord an Alfred Herrhausen 1989, ist einer der wichtigsten Filme der letzten Jahre. Sein neuer Film "Der Kick", über den Mord an einem Jugendlichen in Potzlow, wurde als Theaterstück konzipiert und aufgeführt, dann zum Film umgearbeitet - er ist eben in den Kinos angelaufen.

Mord von Potzlow: "Mit den Schauspielern kann ich das Material anders an mich heranlassen", sagt Andres Veiel.

"Mit den Schauspielern kann ich das Material anders an mich heranlassen", sagt Andres Veiel.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Sie haben sieben Monate recherchiert, dann ein Theaterstück aus dem Material gemacht über den Potzlow-Mord und daraus einen Film. Gab es eine Erkenntnis, die sich erst durch die Inszenierung einstellte - gab es bei jedem Schritt ein neues Verstehen?

Andres Veiel: Ja, und zwar durch die Distanzierung von der Grausamkeit der Tat. Der Text allein, die Recherche und dann die Auseinandersetzung mit dem gesprochenen Wort, mit dem, was passiert ist, war für mich über manche Strecken unerträglich. Erst in der Arbeit mit den Schauspielern hatte ich die Freiheit, jenseits der Gewalt etwas zu begreifen.

SZ: War denn von Anfang an klar, dass Sie ein Theaterstück machen wollten?

Veiel: Ganz am Anfang gab es die Überlegung, einen Dokumentarfilm zu machen. Es wurde aber sehr schnell klar, dass das nichts wird. Einmal weil die Menschen in Potzlow gesagt haben, vor die Kamera gehen wir niemals, wir haben genug schlechte Erfahrungen mit den Medien gemacht. Dazu kam etwas, das ich vorher bei keiner Geschichte hatte, dass mich nämlich diese Bilder - wir waren auch in dem Stall, in dem Marinus getötet wurde - verfolgten. Dass ich gedacht habe, ich muss eine andere Form finden. Wenn ich nur den Text nehme oder ihn bebildere mit den Orten in Potzlow oder mit Ausschnitten aus "American History X", dem Film, der das mit inspirierte, werde ich an der Tat, an ihrer Monstrosität im wahrsten Sinne des Wortes ,hängen bleiben. In der Arbeit mit den Schauspielern kann ich das Material anders an mich heranlassen, ich fange an, die Worte wirklich zu denken.

SZ: Nicht nur zu fühlen.

Veiel: Genau. Durch diesen Grad von Abstraktion. Wir haben um Worte gestritten, um Halbsätze gestritten - dann hörst du dem Klang nach, den Bedeutungsnuancen. Du fängst an, den Text wie mit einem Stethoskop zu untersuchen, jedes Wort, das war ein sehr produktiver Prozess. Und das ist noch mal verstärkt worden durch die Übersetzung in den Film, weil das im wahrsten Sinne des Wortes das Ganze näher heranrückt. Dann werden noch mal Notwendigkeiten, innere Haltungen reflektiert, weil die Schauspieler anders spielen, weil es nicht mehr die 35. Reihe ist, in die gesendet wird. Der Schauspieler muss die Sätze selbst noch viel mehr denken.

SZ: Aber nachrecherchiert wurde nicht?

Veiel: Doch, für das Buch, das ich schreibe. Weil es mich nicht losgelassen hat. Ich bin immer wieder zurück nach Potzlow, auch zwischendrin.

SZ: In Ihren Filmen geht es immer wieder um Gewalt. Sind Täter interessanter als Opfer?

Veiel: Die Gewalt ist wie ein Krater, durch den man ans Magma kommt. Es geht für mich nicht primär um die Nacht, um die Grausamkeiten, die passiert sind, es geht darum, wieviel das mit Deutschland und mit deutscher Geschichte zu tun hat. Es ist wie ein Katalysator: Durch die Gewalt reden die Leute.

SZ: Wie waren die Dreharbeiten? Wurde das Theaterstück einfach abgefilmt?

Veiel: Wir haben es versucht und einen Mitschnitt vom Stück gemacht. Es war dann aber gleich klar, dass man das Stück komplett neu bearbeiten muss. Vor allem musste ein anderes Licht gesetzt werden, weil das Theaterstück mit kleineren Räumen arbeitet. Und im Film wollte ich das Atmen des Raumes spüren - der Raum ist ja phantastisch, der spielt ja ganz stark mit. Wir haben mehr Licht gesetzt, damit eine Tiefe entsteht. Und dann gab es natürlich die Frage, wie übersetzt man das Stück, in welche Bildsprache. Wir haben das lange austariert, dann noch mal beim Schnitt - ich hätte nie gedacht, dass man bei einer scheinbar so vorgegebenen Geschichte so lange schneiden kann! Immer wieder tauchte die Frage auf, wo brauchen wir die Großaufnahme. Wo erzählt sie etwas, und wo stört sie, weil ein Verwandlungsprozess im ganzen Körper sichtbar wird. Was mir außerdem ganz wichtig war, war über die Tonebene die kleineren Räume wieder zurückzuholen. Was im Theater das Licht macht, macht im Film der Ton. Wir haben deshalb jeder Person eine eigene Atmo gegeben.

SZ: Das heißt, wir hören nicht den Ton der Fabrikhalle, wo gedreht wurde?

Veiel: Überhaupt nicht. Der Ton ist ganz künstlich. Bei der Familie zum Beispiel ist die Atmo, der Hintergrundton, der Ton eines Wohnzimmers. Oder der Bürgermeister, der hat ein bisschen was von Potzlow im Hintergrund. Manchmal fährt im Ton ein Auto vorbei, was natürlich nicht wirklich während dieser Szene vorbeifuhr. Wenn hinten ein Licht angeht im Film, lasse ich das Auto durchfahren, um die Durchlässigkeit des Raumes zu haben. Damit es immer ein Draußen gibt, ein Leben, das ja weitergeht.

SZ: Es geht um ein grausames Verbrechen. Wie ist es den Schauspielern dabei gegangen, die Täter zu spielen?

Veiel: Es gab Irritationen, vor allem bei Susanne-Marie Wrage. Sie sagte zunächst, es sei extrem schwierig, die Texte zu lernen, weil es auch bedeute, sich auf das Denken dieser Menschen einzulassen. Zunächst habe ich im Raum Vorgaben gemacht, wo ich wen hinstelle, wie ich eine Spannung herstelle. Dann habe ich mit den Schauspielern Positionen gesucht - das konnte nicht nur von mir kommen, weil es ja um Nuancen ging.

SZ: Aber nimmt das Bravourstück, das die Schauspieler abliefern, dem Text nicht auch etwas?

Veiel: Am Anfang hatte ich zu den Schauspielern gesagt, ihr kriegt kein Video, kein Tonbandmaterial, ihr sollt die realen Personen auf keinen Fall imitieren. Und dann haben sie die Texte bekommen, wir haben geprobt, geprobt, geprobt; und dann merke ich plötzlich, dass sie den Figuren extrem nahekommen. In der Haltung, in ihrer Körperlichkeit. Bei den Eltern der Täter zum Beispiel - Markus Lerch als der Vater, der so groß dasitzt und die Mutter ein bisschen an die Seite schiebt. Und sich dieser Gestik gar nicht bewusst ist. Auf der einen Seite bin ich so weit wie möglich weggegangen vom Dokumentarischen - durch die zwei Schauspieler, die Tatsache, dass ein Mann eine Frau spielt und umgekehrt -, und dann schleicht es sich doch wieder durch die Seitentür ein: Das, was authentisch ist, wenn man authentisch gleichsetzt mit einer gewissen Stimmigkeit, so dass das Ganze dann doch wieder etwas Dokumentarisches hat, was aber nicht beabsichtigt war. Das fand ich die spannendste Erfahrung in dieser Arbeit.

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