"Monobloc" im Kino:Nehmt das, ihr deutschen Billigstuhlhasser!

"Monobloc" im Kino: Ein Stuhl für die Welt? Den Monobloc soll es über eine Milliarde Mal geben.

Ein Stuhl für die Welt? Den Monobloc soll es über eine Milliarde Mal geben.

(Foto: Pier 53)

Eignet sich ein Plastikstuhl als Hauptfigur eines Dokumentarfilms? Unbedingt, wenn er so wie der Monobloc eine Geschichte über die massive Ungerechtigkeit in der Welt erzählt.

Von Philipp Stadelmaier

Am Anfang steht ein weißer Plastikstuhl in einem Hinterhof einer deutschen Großstadt. Regen prasselt auf ihn nieder, ein Heuballen weht vorbei. Der Stuhl hält alles aus, ist stabil, wetterfest. Crashtest bestanden. Aber eignet er sich auch als Gegenstand für einen Dokumentarfilm?

Diese Frage stellt sich Hauke Wendler zu Beginn seines Dokumentarfilms "Monobloc", dessen Hauptprotagonist eben jener meist weiße, stets aus Plastik gefertigte und aus einem einzigen Stück bestehende Stuhl ist, auf dem jeder schon mal gesessen hat und den es weltweit über eine Milliarde Mal geben soll. Aus mehr als 150 dieser Stühle formen die Filmemacher das Wort "Monobloc" auf einem Sandstrand und filmen den Schriftzug von oben mit einer Drohne. Sieht hübsch aus. Nur ist der Stuhl für sich genommen ein dermaßen allgemeiner, überall auffindbarer und dabei gänzlich unscheinbarer Gegenstand, dass er automatisch Zweifel daran weckt, ob er es überhaupt wert ist, gefilmt zu werden.

"Monobloc" im Kino: In Deutschland genießt der Monobloc eher keinen so guten Ruf.

In Deutschland genießt der Monobloc eher keinen so guten Ruf.

(Foto: Pier 53)

Zunächst zeichnet Wendler die Entstehungsgeschichte des Möbels in Italien und Frankreich nach, begibt sich in ein deutsches Designmuseum, wo der Monobloc mittlerweile seinen festen Platz hat, und stellt fest, dass der Stuhl während des Plastikbooms in den Siebzigerjahren ein Lifestyleobjekt war, das in Werbebildern mit romantischen Candellight-Dinners assoziiert wurde.

Kalt, hässlich, kulturlos: Die Kritik im reichen Westen am Stuhl ist groß

Mittlerweile steht der Monobloc eher vor der Wochenendhütte des Regisseurs, vor dem Asia-Restaurant um die Ecke, vor dem Biergarten und der Kneipe am Baggersee. Ansonsten genießt er in Deutschland einen miserablen Ruf. Das bemerkt Wendler, als er sich mit einem mobilen Studio in die Innenstadt stellt und Passanten bittet, ihm ihre Sichtweise auf den Monobloc darzulegen. Kalt, hässlich, geschmacklos, schlecht designt, kulturlos, vor allem aber: Umweltschädlich muss sich das Sitzgerät nennen lassen, auf dem seine Kritiker vor Wendlers Kamera Platz nehmen. Einer nimmt sogar einen Stuhl und zerhaut ihn auf dem Boden in tausend Teile, um Materialmängel zu demonstrieren. Dann doch lieber stehen.

Wendler hat Probleme. Die Finanzierung verläuft schleppend, die Recherchen ziehen sich, der Ruf des Monoblocs ist grauenhaft - und wir haben gerade mal eine halbe Stunde Film hinter uns. Der Sinn seines Filmes, so viel ist mittlerweile klar, ist an den Wert des Stuhles gekoppelt. Genau das ist es, was den Film interessant macht und Wendler in Zugzwang bringt, dem wenig anderes übrigbleibt, als den Entstehungsprozess seiner Doku selbst zu dokumentieren und zu beweisen, dass Menschen in anderen Teilen der Welt mehr Interesse an dem Monobloc haben als die Deutschen. Weil er für sie einen anderen Wert hat.

"Monobloc" im Kino: Oft das einzig leistbare Möbelstück: der Monobloc.

Oft das einzig leistbare Möbelstück: der Monobloc.

(Foto: Pier 53)

Im Internet stößt Wendler auf Bilder aus Afrika, auf denen sich der Monobloc in ein fahrbares Gefährt verwandelt hat. Also reist er nach Uganda. Hier trifft er Menschen, die gelähmt sind, sich aber auch keinen richtigen Rollstuhl leisten können. An diesem Punkt kommt die Arbeit einer Nonprofit-Organisation namens "Free Wheelchair Mission" ins Spiel, die Monobloc-Stühle mit Radgestellen kombiniert und die kostengünstig hergestellten Gefährte unter bedürftigen Menschen verteilt. In Kalifornien besucht Wendler den Gründer der Organisation, einen ehemaligen Maschinenbauer im Medizinsektor. Als der sich erinnert, wie er das erste Mal einen Gelähmten in einem seiner Monobloc-Rollstühle gesehen hat, kommen ihm die Tränen.

Der globale Süden ist kreativer: Er baut den Monobloc zum Rollstuhl um

Nehmt das, ihr deutschen Billigstuhl-Hasser. Hierzulande mag man außerhalb von Designmuseen voller Verachtung auf den Monobloc herabblicken, während die Leute im globalen Süden kreativ mit ihm umgehen und sogar Rollstühle mit ihm bauen. Nicht nur zum Sitzen dient der Monobloc in diesem Kontext - er gibt Menschen sogar ein Stück Mobilität zurück.

Abgesehen davon ist er, wie Wendler auf einer weiteren Reise nach Indien zeigt, ein für die Armen der Welt schlichtweg leistbares Möbelstück, eine Alternative zum Hocken auf dem Boden. Anderen verschafft er Arbeit, wie dem Vorarbeiter in der indischen Plastikfabrik, der durch sein Gehalt seinen Kindern ein besseres Leben ermöglich will, oder der Müllsammlerin in Rio de Janeiro, die ebenfalls vom Monobloc lebt, sobald dieser zu Plastikmüll geworden ist und als recycelbares Material weiterverkauft werden kann. Aus dem, wir ahnen es bereits, ein neuer Monobloc entstehen kann.

"Monobloc" im Kino: Der Umgang mit dem Monobloc macht die massive Ungleichheit zwischen dem Westen und dem globalen Süden sichtbar.

Der Umgang mit dem Monobloc macht die massive Ungleichheit zwischen dem Westen und dem globalen Süden sichtbar.

(Foto: Pier 53)

Auf diese Weise entdeckt Wendler nach und nach, inwieweit sich sein Film über den Stuhl dann doch gelohnt hat. Denn der steht weniger für sich, als dass er, wie sein Film, anderes sichtbar macht: die Leute, die auf ihm Platz nehmen, den unterschiedlichen Nutzen, den sie aus ihm ziehen, die massiven Ungleichheiten zwischen dem Westen und dem globalen Süden. Deutschen Dokumentarfilmern erlaubt er außerdem, die ganze Welt zu bereisen. Auch nicht schlecht.

Monobloc, Deutschland 2021. Regie und Buch: Hauke Wendler. Kamera: Boris Mahlau. Schnitt: Sigrid Sveistrup. Edition Salzgeber, 90 Min.

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