Monika Maron: "Was ist eigentlich los?":Freiheit, die sie meint

Monika Maron

"Warum gilt die Aufklärung plötzlich als fundamentalistisch?": Monika Maron auf der Leipziger Buchmesse im Jahr 2018.

(Foto: Gerhard Leber/imago/Gerhard Leber)

Vierzig Jahre lang streng zu den Deutschen: Zu ihrem 80. Geburtstag erscheinen ausgewählte Essays von Monika Maron.

Von Marie Schmidt

Wie beeindruckend sie schimpfen konnte, die Monika Maron: "Solange ich unter ihnen lebte, ist mir die außergewöhnliche Empfindsamkeit meiner ostdeutschen Mitmenschen verborgen geblieben. Im Gegenteil: Ich bin an ihrer Duckmäuserei und ihrem feigen Ordnungssinn oft verzweifelt." Man liest jetzt also ihre Essays aus der gerade eben vereinigten Bundesrepublik wieder. Zum Beispiel den mit dem Titel "Zonophobie" von 1992. Es nervte sie damals beides gleich: das Selbstmitleid der "Staatsbürgerschaftsgefährten" und das Mitleid der Linken aus dem Westen, die sich mit den Ostdeutschen als den "Schwächeren" solidarisieren zu müssen glaubten, sie als ungelernte Demokraten belächelten, statt sich auseinanderzusetzen, unter Erwachsenen.

Das ist die erste Hälfte ihrer "Essays aus vier Jahrzehnten", die jetzt unter dem Titel "Was ist eigentlich los?" erscheinen: Da kehrt Monika Maron als scharfe Beobachterin wieder, die die Unter-den-Teppich-Kehrer auf beiden Seiten der verschwundenen Mauer schlecht aussehen ließ. Das konnte sie, weil sie mit mehreren Deutschlands des 20. Jahrhunderts zu tun gehabt hatte.

Am 3. Juni 1941 ist sie in Berlin geboren. Einer der Texte in dem Band erzählt, wie die Großeltern im Holocaust umkamen - der Großvater war ein assimilierter polnischer Jude - und wie sich die nächsten Generationen zerstritten: "Pawels und Josefas Kinder haben sich nicht an Deutschland geschieden, sondern an dem Gewicht, das sie einer Idee zumaßen gegenüber der Wirklichkeit." Diese Idee war der Kommunismus. Marons Mutter, steht da auch, habe ein Jahr lang den Kontakt zu ihr eingestellt, als ihr Roman "Flugasche" 1981 in Frankfurt am Main bei S. Fischer erschien, weil er in der DDR nicht verlegt werden durfte. Ihr Werk war also von Anfang an im Westen, in Ostberlin lebte sie.

Man muss anerkennen, dass das Unverständnis, das sie beschreibt, etwas zu sagen hat

S. Fischer war ihr Verlag, bis es 2020 zum Krach kam, über einen anderen Essayband, den Maron mit dem Buchhaus Loschwitz herausgebracht hatte. Das ist eine Dresdner Buchhandlung mit Eigenverlag, die enge Kontakte zur völkischen Elite um den Antaios Verlag pflegt. Verbindungen, die der Konzernverlag Fischer nicht dulden wollte. Maron wiederum fühlte sich politisch gegängelt und wollte nicht einmal diesen neuen, bereits angekündigten Essayband mit ihrem alten Verlag veröffentlichen. Dafür ist jetzt Hoffmann und Campe eingesprungen, der angesehene Hamburger Publikumsverlag.

Es scheint also nicht so zu sein, wie Monika Maron in der zweiten Hälfte ihrer Essays zu glauben beginnt, dass man sie wegen ihrer jüngeren Kritik am Islam, an Angela Merkel, an Windenergie und gegenderter Sprache für verrückt oder für rechts erklärt und aus der Öffentlichkeit drängt. Und es ist tatsächlich entscheidend, dass es dieses Buch jetzt gibt, in dem man nachschauen kann, an welcher Stelle sich in ihrem Schreiben etwas dreht.

Wann aus der Monika Maron, die von der Freiheit redet, sich nicht nur zu beschweren, sondern zu handeln, die Monika Maron wird, die selbst weinerlich wird. Deren Auseinandersetzung mit dem Islam jede Proportion zu dessen politischer Relevanz in Deutschland verliert. Die sich schützend vor die alte Geschlechterordnung stolzer Männlichkeiten stellt. Die sich in alte misogyne Bilder hüllt, wenn sie schreibt: "Nach zwölf Jahren Merkel-Herrschaft sehe ich in der politischen Figur Merkel einen Vampir, der jeder Partei und am Ende dem Parlamentarismus das Blut aussaugt..."

Monika Maron: "Was ist eigentlich los?": Monika Maron: Was ist eigentlich los? Ausgewählte Essays aus vier Jahrzehnten. Hoffmann und Campe, Hamburg 2021. 192 Seiten, 22 Euro.

Monika Maron: Was ist eigentlich los? Ausgewählte Essays aus vier Jahrzehnten. Hoffmann und Campe, Hamburg 2021. 192 Seiten, 22 Euro.

Tatsächlich findet sich der Wendepunkt in diesem bewusst gesetzten Ausschnitt aus Monika Marons Lebenswerk womöglich genau da, wo die titelgebende Frage steht: "Was ist eigentlich los? Warum gilt die Aufklärung plötzlich als fundamentalistisch?" Aufklärung ist ein Begriff, an dem sich Maron festhält, wie an dem der "Freiheit". Beides kommt in diesen Essays als hart erkämpft und spät errungen vor. Wenn man das so liest, dämmert einem, dass ihre Frage noch lange nicht oft genug beantwortet worden ist: Warum auch Aufklärung und Freiheit Ideen sind, die an ihren Ansprüchen scheitern. Warum auch diese Ideen nicht über Kritik erhaben sind.

Selbst wenn man mit Monika Marons Parteinahmen und dem Ton ihrer jüngeren Essays nichts zu tun haben wollte, muss man anerkennen, dass das Unverständnis, das sie beschreibt, etwas zu sagen hat. Man kann diese Essaysammlung aber auch als deutsches Geschichtsbuch lesen, weil wieder mal Wahl in Sachsen-Anhalt ist und Maron darüber schon geschrieben hat, als dort 1998 die DVU Gewinne einfuhr. Oder beim Warten auf den Bundeswahlkampf. Oder weil Monika Maron jetzt 80 Jahre alt wird und es in der deutschen Literatur eine wie sie sonst nicht gibt.

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