Süddeutsche Zeitung

Chinesische Raumsonde:Hinter dem Mond

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Der Erdtrabant ist vermessen, erforscht, entzaubert. Nur seine Rückseite, die "Dark Side of the Moon", war noch geheimnisvoll. Ist das nun vorbei? Ein Blick in die Kulturgeschichte.

Von Kathleen Hildebrand

Die Kulturgeschichte des Mondes ist eine Geschichte der Entzauberung. Vor Jahrtausenden glaubten Menschen noch, dass er eine Gottheit sei, es gab Legenden von schönen Mondmädchen und einem traurigen Mann im Mond. Aber seine Nähe zur Erde machte die Mythen um ihn zu einem der ersten Opfer des wissenschaftlichen Weltbildes. Schon im 16. Jahrhundert spielte das englische Sprichwort vom Glauben, der Mond bestehe aus Käse, auf dümmliche, gutgläubige Provinzbewohner an. Die Aufklärung machte Mondmenschen und Mondstädte zum Gegenstand literarischer Spiele und Utopien. Ariost zum Beispiel schickte seinen "rasenden Roland" hinauf und ließ ihn auf dem Mond all die Dinge finden, die auf der Erde verloren gegangen waren. Darunter auch Rolands eigenen Verstand.

Dann folgten die Mondmissionen und bis heute immer wieder Pläne, den Mond als gigantische Mine zu nutzen. Fiktional ist die Kommerzialisierung des Mondes längst durchgespielt. Im Arthouse-Science-Fiction-Film "Moon" fährt ein Arbeiter in ermüdender Routine ein Bergbaufahrzeug über die Oberfläche. Und im Pixar-Animationsfilm "Wall-E" von 2008 flackert neben dem Landeplatz von Apollo 11 bloß noch ein Werbe-Hologramm, das auf eine Mall hinweist, die es nicht mehr gibt.

Dass nun in der Nacht auf Donnerstag mit der chinesischen Chang'e 4 zum ersten Mal eine Raumsonde auf der erdabgewandten Seite des Mondes gelandet ist, nimmt dem Erdtrabanten noch ein Stück vom letzten Rest seines Geheimnisses, das von der Forschung auf die unsichtbare, die "dunkle" Seite des Mondes verdrängt wurde. Während Teleskope die erdzugewandte Seite längst bis in den kleinsten Krater vermessen hatten, mussten Mondgloben bis zum Ende der Fünfzigerjahre beinahe zur Hälfte weiß bleiben. Hinter dem Mond, da gab es noch was zu entdecken. Erst 1959 funkte die sowjetische Sonde Luna 3 die ersten Bilder von seiner Rückseite zur Erde, 1968 umrundeten auf der Apollo-8-Mission die ersten Menschen den Mond. Heute weiß man sehr genau, wie es auf seiner Rückseite aussieht, wenig überraschend nämlich ähnlich kraterig wie vorne. Aber was der Mensch nicht monatlich sieht, kann zumindest den Anschein von Geheimnis wahren.

Spätestens seit Pink Floyds Album "The Dark Side of the Moon" mit seinem ikonischen Prismen-Cover ist sie jedenfalls zum Bild für das Unbekannte, das sanft bedrohlich Andersweltliche geworden. So sehr, dass Martin Suter in seinem Roman "Die dunkle Seite des Mondes" gar keine Himmelskörper vorkommen lassen musste. Das Raunende der Formulierung reicht aus, um sie auf die verborgenen Untiefen in der Psyche seiner Hauptfigur zu beziehen. Konkreter wird das Dunkel in dem teilweise per Crowdfunding finanzierten Low-Budget-Film "Iron Sky": Nach ihrer Niederlage haben die Nazis eine gewaltige Mondstation im Stil Albert Speers auf der Mondrückseite gebaut und dort Kräfte für ihre Rückkehr zur Erde gesammelt, wo sie die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Die Fans des Films waren so begeistert von der Satire, dass genug Geld für einen zweiten Teil zusammenkam, der 2019 ins Kino kommen soll. Die Mondrückseite reicht darin nicht mehr: Die Nazis haben nun Dinosaurier.

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Quelle:
SZ vom 04.01.2019
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