Möchtegern-Reformatorin Ayaan Hirsi Ali:Eine Nicht-mehr-Muslima erklärt den Islam

Umstrittene Abgeordnete Hirsi Ali verlässt Niederlande

Durch ihre Leidensgeschichte sehr jung vom Glauben abgefallen und in die Niederlande geflohen, übt Ayaan Hirsi Ali heute von den USA aus als Frauenrechtlerin, Politikerin und Buchautorin scharfe Kritik am Islam.

(Foto: dpa/dpaweb)

Ist sie eine Luther-Figur des 21. Jahrhunderts? Ayaan Hirsi Ali will mit "Reformiert euch!" dem Islam eine neue Stoßrichtung geben. Doch sie beraubt eine ganze Religion ihres Kerns.

Von Tomas Avenarius

Kritik am Islam ist im Wortsinn fast immer billig: Jeder kann, jeder darf und jeder hat irgendwo ein bisschen oder sogar sehr, sehr Recht, solange im Namen des Islam gesteinigt, geköpft und gemordet wird. Wer bestreitet, dass diese große östliche Religion sich selbst in Frage stellen muss, ist entweder ein bockbeiniger Fundamentalist vom Islamischen Staat oder ein pseudotoleranter Kulturversteher aus Tübingen.

Seit dem 11. September geht es um wenig anderes. Der Erkenntnisgewinn in Sachen Islam und Moderne wird auch nicht größer, wenn das Mohammed-Bashing von Ayaan Hirsi Ali kommt, Frauenrechtlerin, Politikerin, Wissenschaftlerin und weltbekannte Apostatin.

Ein Lehrauftrag durch eigenes Leid

Als Kind in Somalia auf Drängen der Großmutter beschnitten und um ein Haar vom Vater zwangsverheiratet, floh sie als sehr junge Frau in den Neunzigern nach Holland ins Asyl. Vom Glauben abgefallen, schaffte sie es mit einer rechtslastigen und fremdenfeindlichen Partei bis ins niederländische Parlament, arbeitete mit dem holländischen Filmemacher und Provokateur Theo van Gogh zusammen, bevor dieser von einem islamischen Fanatiker wegen seiner deftigen Islam-Kritik ermordet und Hirsi Ali vom selben Täter mit dem Tode bedroht wurde.

Hirsi Ali ist also aus nachvollziehbaren Gründen keine Muslima mehr. Sie hat einen Lehrauftrag durch eigenes Leid. Den erfüllt sie mit ihren Büchern und an der Harvard-Universität in den USA, wo sie inzwischen forscht. Nur: Geeignet, den Muslimen den Weg zu einer zeitgemäßen Form des Glaubens zu weisen, ist sie durch ihre quälende Lebensgeschichte allein noch nicht.

Sie stellt en passant das Gesamtgebäude dieser Religion in Frage

Das genau aber ist das Problem. In ihrem neuesten Buch "Reformiert euch!" (Knaus Verlag, München 2015. 19,99 Euro) zählt die 45jährige nicht nur ein weiteres Mal auf, was alles am Islam fragwürdig oder im 21. Jahrhundert inakzeptabel ist. Sie gibt - unterschwellig und auf knapp 30 Seiten vielfach mit einem präventiven Dementi versehen - auch vor, das Patentrezept für die oft geforderte Islam-Reformation zu besitzen. Als könnte sie im internetaffinen 21. Jahrhundert eine Luther-Figur der islamischen Welt werden. "Es folgen meine fünf Thesen, die ich an eine virtuelle Tür nagele", schreibt sie.

Die bekennende Nicht-mehr-Muslima trägt den eineinhalb Milliarden Noch-Gläubigen vor, was sie am besten zu tun hätten, und sie stellt dabei en passant das Gesamtgebäude dieser Religion in Frage. Der Koran sei nicht von Gott verkündet worden, sondern von Menschen geschrieben und müsse daher historisch verortet werden.

Der Prophet Mohammed sei kein inoffizieller Heiliger, sondern gehöre als Religionsstifter und Mensch so richtig kritisiert. Das koranische Recht, die Scharia, müsse samt aller Zusatztexte dem weltlichen Recht untergeordnet werden. Das Gerede vom Dschihad, dem "Heiligen Krieg", müsse aufhören. Und vor allem sei dem diesseitigen Leben endlich der Vorrang vor dem Jenseits einzuräumen.

Es gibt die Mekka-Muslime und die Medina-Muslime

Um es sich leichter zu machen, teilt die zur Wissenschaftlerin gewordene Aktivistin die Muslime in zwei Gruppen ein. Sie sieht die traditionalistischen "Mekka-Muslime", rückständig, aber nicht die Schlimmsten. Und es gibt die eifernden buchstabengetreuen "Medina-Muslime", die Fundamentalisten und Terroristen. Das folgt, Ayaan Hirsi Ali lebt schließlich in den USA und arbeitet für den dortigen neokonservativen Markt, dem Muster von denen mit dem weißen und denen mit dem schwarzen Hut. Die einen sind mit uns, die anderen gegen uns. Feuer frei.

Jeder, der ein bisschen etwas vom Islam und den Lehren des Propheten weiß, erinnert sich. In Mekka hatte Mohammed im frühen siebten Jahrhundert seine ersten Begegnungen mit dem Erzengel, der flüsterte ihm das Grundsätzliche der göttlichen Botschaft ins Ohr: Vergiss die ganze Vielgötterei, es gibt nur einen Gott. In Medina hingegen verhandelte Allah mit seinem Sendboten Mohammed das Praktische, wurde aus dem Glauben die Religion der "Unterwerfung", wie Islam eben wörtlich übersetzt wird.

Das ist es, woran die Muslime glauben

In Medina wurde aus der neuen Religion eine Gesellschaftsordnung. Am Fluchtort des aus Mekka vertriebenen Propheten wurden ihm bekanntlich all die ungeliebten Gesetze und Gebote verkündet, die Nicht-Muslimen in der modernen Zeit so inakzeptabel erscheinen. Auch wenn in Medina weit mehr hinzugefügt wurde als nur die problematischen Teile der Scharia: Ohne die Medina-Lehre wäre weder der rigide Islam denkbar, den die Wahhabiten Saudi-Arabiens predigen, noch die militante Spielart, die die Kopfabschneider in Syrien und im Irak herbeischießen.

Ungeachtet dessen, was politisch mit der Religion angestellt wird oder was sich auch aus dem puren theologischen Gedankengebäude Mohammeds als problematisch, menschenrechtsfeindlich und gewaltaffin erweist: Nur die Welten von Mekka und Medina zusammen fügen sich zu jenem Glaubens- und Gedankengebäude, das den Islam im Guten und weniger Guten ausmacht. Das ist es, woran die Muslime glauben, wo jeder Einzelne aber seinen persönlichen Akzent setzt. Die Gläubigen willkürlich in eine Mekka- und eine Medina-Fraktion einzuteilen, wird ihrem Glauben nicht gerecht. Der Katholik kann ja auch schwer die Dreifaltigkeit bestreiten, ohne die Figur Jesus ihrer zentralen Botschaft zu berauben.

Noch eine dritte Möglichkeit

Ayaan Hirsi Ali behauptet, weder der Weg der traditionellen Mekka-Muslime noch die verbohrte Schriftgläubigkeit der Medina-Fraktion führe den Islam irgendwo hin: "Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, nämlich so viele historische Einzelheiten zu bewahren, das Äußere wie das Original aussehen zu lassen, aber das Innere des Hauses radikal zu verändern und es mit neuen Annehmlichkeiten auszustatten."

Bleibt die Frage, wie man den Muslimen heute ein zeitgemäßes Religionsverständnis vermitteln will, wenn man ihnen gleich den ganzen Glauben nimmt. Warum in Gottes Namen sollten sie einen Islam ohne Kern überhaupt reformieren oder modernisieren wollen?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: