Modewüste London:Der Strauß muss Federn lassen

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London ist nicht mehr das, was es mal war: Seitdem die Macher mit ihren Ideen abgewandert sind, stecken die britischen Modehäuser in tiefster Krise.

RAPHAEL HONIGSTEIN

Zersauste Haare, Schlafzimmeraugen, weit geöffnete Lippen und eine Hand, die am vierten Knopf der luftigen Bluse rummacht - so einfach geht es, immer noch, immer wieder. Und dann ist das ja Keira Knightley auf dem aktuellen Time Out-Cover: 18 Jahre, Schauspielerin -britisch kühl, hochintelligent, schön und anmutig und sexy, dass es kracht. Bang! "Brits in Hollywood" feiert die Titelgeschichte.

Diesen unglaublichen Kopfschmuck hat der Brite Alexander McQueen entworfen - für das französische Modehaus Givenchy (Foto: Foto: AP)

Ein beliebtes Thema, bald werden die Oscars ausgehändigt. Und hinterher zählen vom Daily Telegraph bis zum Daily Star alle stolz mit, wie viele Untertanen Ihrer Majestät es in der großen Welt geschafft haben. So weit, so gut und so predictable.

Auch die am Samstag beginnende Londoner Fashion Week wird in dem Stadtmagazin erwähnt: Designer Giles Deacon sei mit seinen "Vierziger Jahre S&M Drucken" die große Hoffnung, Ashish Gupta, Julia Clancey und Ebru Ercon die Mini-Hoffnungen dieser Saison. Doch was sagt Deacon, "der Insider Favorit der Modewoche", da sehr defensiv?

"Die Popularität einer Modehauptstadt geht immer rauf und runter. Das war mit New York so und auch mit Paris. Aber London wird immer innovatives, junges Design haben." Vielleicht. Aber wenn schon das Fachblatt für schwingenden Lokalpatriotismus anstatt der sonst üblichen Coverstories und dicken Specials mehr als vierzig Schauen in einer schlichten Doppelseite abtut, weiß man, wie schlimm die Krise der LFW wirklich ist.

Besucher haben größere Chancen, auf einem Londoner Busplan die korrekte Abfahrtszeit eines Doppeldeckers zu entdecken, als einen renommierten Namen auf dem Show-Programm. "Machen wir uns nichts vor", sagt Charlie Porter, Moderedakteur des Guardian, "London ist nicht mehr konkurrenzfähig. Vor einigen Jahren hatte man das Gefühl, dass London mit New York, Mailand und Paris gleichziehen würde, doch in den Augen der Mode-Industrie spielt die Stadt jetzt nur noch eine untergeordnete Rolle. Was einmal eine lebendige Modestadt war, ist heute bestenfalls eine Kuriosität".

Weit, weit weg sind die späten Neunziger, als Alexander McQueen und Hussein Chalayan mit ihren avantgardistischen Patchworks aus sex, art and brains London zum Inbegriff für Progressivität und cutting edge machten. Cooler als in Cool Britannia ging es nirgends zu, "die Kulturindustrie setzt mehr um als unsere Stahl- und Autoindustrie" freute sich Tony Blair.

Britische Modemacher heuerten bei den großen Häusern in Paris und Mailand an. John Galliano wurde Chef von Dior, Phoebe Philo entwirft für Chloe und Julian Macdonald für Givenchy; McQueen und Stella McCartney produzieren heute mit der Hilfe von Gucci ihre eigenen Kollektionen. Doch London hatte nichts von dem Erfolg seiner Kinder: die hohen Kosten der Schauen, mangelnde Unterstützung durch den Staat und das Fehlen von Modehäusern nach kontinentalem Vorbild sorgten dafür, dass Macher und Ideen abwanderten; zurück blieben nur die, die keiner haben wollte.

Hinzu kam das schwierige Geschäftsklima seit dem 11. September: mangelnde Absatzzahlen verschärfen den kommerziellen Druck; London, das sich im Quartett der Modestädte immer als smarter Hooligan verstand, der auf der Straße Radau macht, während die anderen drinnen die Geschäfte abwickeln, schafft den Spagat zwischen Zahlen und Zirkus nicht. Wer jung und gut ist, arbeitet heute lieber bei Dior im Hinterzimmer, als sich mit einem eigenen Label hoffnungslos zu verschulden, und Shows zu organisieren, die die wichtigsten Menschen der Modewelt sowieso nicht sehen. "Zu wenige Käufer, zu hohe Kosten für die Schauen, zu wenig Presse", gibt McCartney, die wie McQueen und Chalayan in Paris zeigt, als Gründe für den Niedergang Londons an.

Anna Wintour, die Chefin von US-Vogue und mächtigste Frau der Branche, denkt nicht im Traum daran, ihre schwarze Sonnenbrille auf die Insel zu bewegen. Nicht mal die deutsche Elle hält die Entsendung einer Redakteurin für notwendig: "zu wenig Geld, zu wenig Zeit, Schade eigentlich", sagt Katrin Stadler, die stellvertretende Modechefin, lapidar. In Mailand und Paris würden die Accessoires hergesellt, die wichtig seien.

Das Nervenkostüm der Veranstalter sieht diese Saison deswegen nicht so schön aus. Als die Pressesprecherin des British Fashion Council das Wort "Krise" hört, fällt ihr vor Schreck fast der Hörer aus der Hand: "Ich muss sie gleich stoppen. Ich bin nicht autorisiert, darüber zu reden."

Nicht darüber reden wollen auch die Mitglieder des Council, sie verweisen auf steigende Besucher- und Sponsoringzahlen. Doch gegen die Symbolik lässt sich nicht viel machen: die Fashion Week hat ihr fürstliches Zelt am Natural History Museum geräumt und residiert jetzt an in der Stadtperipherie an der langweiligen Kings Road. Dort wurde der Punk erfunden - ist allerdings schon fast dreißig Jahre her.

Immerhin wird es noch anständige Partys geben, weswegen Claudia Schiffer schon vergangene Woche mit Air Berlin -die Zeiten sind hart - in die Stadt geflogen ist. Die Brits werden verliehen, N.E.R.D spielen, London ist immer noch London, Stadt des Pop. Im September soll dann Fringe Fashion, ein neuer Wettbewerb nach "Superstar"-Vorbild, hier auch wieder die Mode machen. Dem siegreichen Jungdesigner winken 100000 Pfund Unterstützung für seine Firma. In einer Coverstory von Time Out wird er das kreative Klima an der Themse rühmen dürfen - und dann den ersten Eurostar nach Paris nehmen.

© SZ v.14.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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