Mode:Schöner, besser, unecht

Kleidung kann beeinflussen, wie wir einen Menschen und seine Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen. Das wusste schon Gottfried Keller, und die Modebranche weiß es auch.

Von Jürgen Moises

In seiner 1847 erschienenen Novelle "Kleider machen Leute" erzählt Gottfried Keller vom Schneidergesellen Wenzel Strapinski, der zum Hochstapler wider Willen wird. Weil er sich trotz seiner Armut vornehm mit Radmantel und Pelzmütze kleidet und man ihn in einer fremden Stadt für einen polnischen Grafen hält. Von da an nimmt eine Verwechslungskomödie ihren Lauf, in der zwar auch der Schneidergeselle irgendwann entlarvt wird. In der es aber vor allem um die Entlarvung der ihn umgebenden Welt geht, die sich nur allzu gern vom äußeren Schein täuschen lässt. Und die damit also, wenn man so will, eher der Selbsttäuschung erliegt. Weshalb die Geschichte konsequenterweise auch mit einem Happy End für den armen Strapinski aufwartet.

Heute wird der Satz, dass Kleider Leute machen, meist mit ironischem Zungenschlag verwendet. Wobei er als geflügeltes Wort durchaus noch Wahrheit in sich trägt. Denn das Element der Täuschung, es wohnt weiterhin der Mode inne. Weshalb diese in einer Ausstellung über die "Lust der Täuschung" zu Recht als Thema auftaucht. Die Kuratoren Roger Diederen und Andreas Beitin haben dafür vor allem Kleidung ausgewählt, die von einem Kunst-Sein-Wollen der Mode zeugt oder dem Versuch, ein amüsantes Spiel mit ihr zu treiben. Wie etwa das Trompe-l'Œil-Jackett von Jean Paul Gaultier, das einem den Auftritt als nackte Statue ermöglicht, ein von Roberta di Camerino entworfenes Partykleid mit dreidimensionalem Muster oder ein schwarzes Gazar-Satin-Kleid von Moschino mit pinkfarbener Riesenschleife und aufgemalten Beinen.

Moschino, Langes schwarzes Gazar-Satin-Kleid mit pinker Schleife und Trompe-l'oeil-Effekt, Fru¨hjahr / Sommer 2017
© Courtesy Moschino

Mensch oder Stoff? Ein Spiel mit der Wahrnehmung treibt Moschino mit diesem Kleid.

(Foto: Courtesy Moschino)

Am Ende sind aber auch diese Kunst-Kleider nur Beispiele dafür, wie man mit Mode etwas vortäuscht. Und ist es nicht genau das, was wir uns von ihr versprechen? Das heißt, mit ihrer Hilfe besser, schöner, jünger, erfolgreicher, anders oder genauso wie die anderen auszusehen? Dass das funktionieren kann, davon wird jedenfalls nicht nur in Kellers Novelle, sondern täglich in Mode- oder Lifestyle-Magazinen erzählt. Sie wollen schlanker, attraktiver wirken? Kein Problem, mit monochromen Outfits, Längsstreifen, All-over-Prints, taillierten Blazern, Bodys oder Bauch-weg-Pants lässt sich das anstellen. Wie man "in", "trendy" und "up to date" bleibt? Auch das lässt sich aus Zeitschriften erfahren. Und trägt man die richtigen Marken, ist man eh immer fein raus.

Auch der berufliche Erfolg lässt sich durch Mode, etwa gutes Schuhwerk, eine unauffällige Eleganz, beeinflussen. Und es hat wohl seinen Grund, warum Frauen in der Männerwelt der Politik und Führungsetagen meist einen Hosenanzug tragen. Dass jemand, der attraktiv wirkt und teure Kleidung trägt, auch heute noch eher als intelligent, beliebt oder erfolgreich wahrgenommen wird, das sollen - Stichwort "Halo-Effekt" - wissenschaftliche Studien bezeugen. Problematisch wird es, wenn der äußere Schein nicht nur über Identität und Zugehörigkeit bestimmt, sondern im Umkehrschluss zum Ausschluss führt. Wenn einen die Gesellschaft ins Korsett, modische Raster zwingt. Oder einen eben ins Abseits drängt. Oder sei es nur, weil man auf dem Schulhof die falschen Klamotten trägt. Andererseits gibt es Menschen, die sich selbst als Außenseiter deklarieren und das ebenfalls meist modisch ausdrücken. Und da ist es doch schön, dass es den Punk-Look und die Gothic-Kleidung längst von der Stange gibt. Schließlich hat die Modeindustrie noch jede Subkultur geschluckt. Und so ist auch das Außenseitertum längst Mode, weshalb am Ende dann doch wieder die Modefabrikanten profitieren. Diese sind es auch, die uns mithilfe von Werbung und Modezeitschriften suggerieren, dass unsere alte Kleidung nichts mehr taugt und wir unbedingt neue brauchen.

Lust der Täuschung

Verantwortlich: Peter Fahrenholz

Redaktion: Johanna Pfund

Anzeigen: Jürgen Maukner

Damit das funktioniert, das hat Roland Barthes in "Die Sprache der Mode" analysiert, wird sprachlich, bildlich und erzählerisch, ein Trugbild des Kleidungsstücks geschaffen - inklusive "eingebildeter Funktionen" und symbolischen Verschleißes. Und was eigentlich ein willkürlicher Trend ist, bekommt durch das aristokratische Diktat der Mode eine schicksalhafte Natur.

Das heißt: Ein Stück Stoff ist ein Stück Stoff, und ob es "in" oder "out", im Trend oder von gestern ist, diese Bedeutung wird durch Zuschreibung kreiert. Darin liegt auch im Falle von Kellers Schneiderlein die täuschende Macht und eine wichtige Pointe. Eine weitere liegt darin, dass Wenzel Strapinski am Ende zum betuchten Tuchhändler aufsteigt, einem "Marchand-Tailleur", als der er auch heute sicher noch Erfolg hätte: "Er machte ihnen ihre veilchenfarbigen oder weiß und blau gewürfelten Sammetwesten, ihre Ballfräcke mit goldenen Knöpfen, ihre rot ausgeschlagenen Mäntel, und alles waren sie ihm schuldig, aber nie zu lange Zeit. Denn um neue, noch schönere Sachen zu erhalten, welche er kommen oder anfertigen ließ, mussten sie ihm das Frühere bezahlen, so dass sie untereinander klagten, er presse ihnen das Blut unter den Nägeln hervor."

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