Süddeutsche Zeitung

Mode:Quants Sprünge

Das Londoner Victoria & Albert Museum würdigt die britische Modemacherin Mary Quant, deren farbenfrohe Kleidung den Frauen mehr Freiheiten schenkte.

Von Kia Vahland

Parkamode und die groben Strickpullover der Siebziger? Bloß nicht wieder. Die merkwürdig kreischenden Pastellfarben der Achtziger? Muss auch nicht noch mal sein. Brillen der Neunziger aus schwarzem Metall, gerne mit Kunststoff versetzt? Sie ruhen in Frieden. Nicht viele Dekaden des 20. Jahrhunderts wirken modisch gesehen heute noch attraktiv. Die Sechziger gehören aber unbedingt dazu. Und das liegt vielleicht nicht nur, aber zu guten Teilen an ihr: Mary Quant.

Die im Londoner Umland aufgewachsene Lehrerstochter und Autodidaktin brachte die Britinnen dazu, ihre Perlenketten abzulegen, sich die hochgeschlossenen Kostüme und marineblauen Twinsets vom Leib zu reißen und Quants gar nicht teure, gar nicht exklusive und gar nicht unbequeme Hängerchen, Minikleider, Krawattenkombis, Hot Pants anzulegen. So durchschlagend war der Erfolg der Designerin, so klar, mutig und freudig ihre Markensprache, dass sie bald auch die Kontinentaleuropäerinnen, dann Amerikanerinnen und Asiatinnen süchtig machte nach diesem Look der Leichtigkeit.

Das Victoria and Albert Museum in London widmet der Modemacherin gerade eine umfangreiche Retrospektive, die zu einer nostalgischen Feier gerät - eingewebt in den kulturhistorischen Stoff ist die nicht zu unterdrückende Trauer der Kuratoren darüber, dass London und Großbritannien eben nicht mehr wirklich Avantgarde sind, nicht mehr den Optimismus der jungen Nachkriegsgeneration versprühen, die klassenübergreifend einen neuen Stil suchte und auch fand.

Quants Entwürfe waren sexy, ohne je vulgär oder devot zu sein

Denn das war das Versprechen der 1934 geborenen Mary Quant. In ihre Stoffe schmiegten sich Sekretärinnen wie Adelstöchter, die eine rannte darin zum abfahrtbereiten Doppeldecker, die andere bestieg die Limousine oder das Pferd. Man konnte sich in diesen kurzen Kleidern und lässigen Anzügen tagsüber im Büro sehen lassen und abends an der Bar, machte im Theater eine ebenso gute Figur wie an Bord eines Schiffes. Nicht die Frau passt sich allen Lebenslagen, allen Rollenerwartungen an und zieht sich dreimal am Tag um, sondern in Quants knalligen Farben, engen Gewändern, karierten Strumpfhosen ist die Trägerin überall der Blickfang, gleich vor welcher Kulisse.

Das funktioniert natürlich nur, wenn die Herren und die Nicht-Quant-Trägerinnen um sie herum sich farblich bedeckt halten. Wenn die Norm graue, blaue, schwarze Langeweile ist, wenn Frauen üblicherweise in Sanduhrkostüme und Rüschenblusen gepresst sind und Männer in kantigen Kastenformen dastehen, dann wirkt ein Quant-Outfit so richtig: weil es die knappen Röcke der Schulmädchenuniformen mit ein bisschen Pyjama, ein bisschen Herrenweste und ein bisschen Sportkleidung mischt, weil es sexy ist, ohne je vulgär oder devot zu sein.

Auf die Frauenemanzipation könne sie nicht warten, sagte Quant einmal, und befeuerte diese im Alleingang mit ihrer selbstgenähten Vision der weiblichen Freiheit. Dabei stand diese der sehr schlanken Twiggy besser als mancher wohlgerundeten Frau. Quants Mode ebnete zwar soziale Unterschiede ein, nicht aber die der Körper. Mit Genuss mitmachen konnte nur, wer dünn genug und ein bisschen androgyn war, eine Marilyn Monroe hätte sich in den hängenden A-Formen kaum wohlgefühlt. So hat Quant auch ihren Anteil daran, das Diktat ewiger Jugendlichkeit auf Dauer festzuschreiben.

Sie selbst war auf stete Verjüngung ihres wachsenden Imperiums bedacht. 1963 war sie bereits eine etablierte Größe, ihr Modeladen Bazaar im Künstlerviertel Chelsea hatte es vom Szenegeschäft zur internationalen Marke gebracht, ihre Models posierten für das Titelbild der britischen Vogue. Die Gefahr bestand, nun den Aufbruchsgeist zu verlieren, das Improvisierte und Rebellische, das Quants Schöpfungen so anziehend macht. Irgendwann würde man der Modemacherin mit dem zackigen Haarschnitt nicht mehr abnehmen, die Wünsche der Jungen zu kennen und zu verkörpern. Also gründete sie noch vor ihrem 30. Geburtstag einen Ableger, der sich gezielt an noch jüngere Frauen richtete: Quants Ginger Group strebte auf den Massenmarkt, und die Linie eroberte tatsächlich die Schränke der Studentinnen und Berufseinsteigerinnen. Die Produkte waren besonders erschwinglich, und bald gab es das Rundum-sorglos-Paket aus dem Hause Quant: Vom Regenstiefel aus PVC über strapsenfreie Unterwäsche bis zur Wimperntusche (nebst Schminkanleitung) war alles dabei. Ein natürlich wirkendes, aber doch kunstvoll hingetupftes Styling wurde zur Lebenseinstellung vieler.

Ein bisschen Uniform, ein bisschen Pyjama, viel Karo, noch mehr Streifen: Das ist der Mix

Die Ausstellungsmacher haben im Vorfeld über die sozialen Medien dazu aufgerufen, dem Museum gebrauchte Quant-Kleider zu schenken oder zu leihen, und sie haben die Trägerinnen nach ihren Erinnerungen befragt. Zu Wort kommt so die junge Angestellte, die sich von ihrem ersten kleinen Gehalt nur ein Stück leisten konnte, das aber über Jahre bei allen wichtigen Anlässen trug. Oder die Gruppe Freundinnen im Quant-Fieber, inspiriert wohl von der Laufstegtruppe der Designerin, einer Gruppe von Models, die tanzend und hüpfend Modenschauen umkrempelten. Vielleicht aber haben sie sich auch Audrey Hepburn oder andere Schauspielerinnen in kurzen Quantkleidern zum Vorbild genommen.

Nicht alles, was in den Vitrinen der Ausstellung hängt oder auf alten Fotos zu sehen ist, wirkt heute noch revolutionär. Im Gegenteil, schließlich hat Mary Quant sich durchgesetzt mit ihrem zitatreichen Formenspiel, in dem erlaubt ist, was gefällt. Ein bisschen Uniform, ein bisschen Strandkleid, viel Karo und noch mehr Streifen: Bei Mary Quant passt alles zusammen, wirkt alles am Ende dann doch durchkomponiert. Die Trägerin muss sich nicht selbst sorgen, in welchem Mix sie auf die Straße tritt, jedenfalls nicht, solange sie im Quant'schen Kosmos bleibt.

So ist das heute nicht mehr, etwas mehr Eigenverantwortung für das eigene Erscheinungsbild darf schon sein, zum Glück. Und doch: Das eine oder andere Mini-Hängekleid (es gibt sie auch mit Kapuzen) der Mary Quant hätte eine Neuauflage oder Kopie verdient.

Mary Quant. Victoria and Albert Museum, London. Bis 16. Februar. Info: www.vam.ac.uk/exhibitions/mary-quant

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Quelle:
SZ vom 22.06.2019
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