Raf Simons Abschied bei Calvin Klein:"This is not America"

Calvin Klein 205W39NYC show, Runway, Spring Summer 2018, New York Fashion Week, USA

Ein Model trägt ein Calvin-Klein-Kleid mit Warhols "Car Crash" aus der Frühjahrskollektion 2018.

(Foto: ullstein bild)

Für Calvin Klein entwarf der Belgier Raf Simons hochpolitische Kollektionen. Doch die wollte in den USA niemand kaufen. Kürzlich wurde sein Vertrag aufgelöst - ein Nachfolger ist nicht in Sicht.

Von Catrin Lorch

Gerade setzt sich der Modezirkus in Bewegung - New York, London, Mailand, Paris. Einer wird nicht einladen zum Defilee: Calvin Klein. Die amerikanische Firma hat Ende des vergangenen Jahres bekannt gegeben, dass man sich einvernehmlich vom Designer Raf Simons trennt und der Vertrag, der dem Belgier 18 Millionen Dollar im Jahr einbrachte, aufgelöst wird. Ein Nachfolger ist noch nicht benannt, die aktuelle Präsentation fällt aus. Nach nur vier Kollektionen endete eine Zusammenarbeit, die im Nachhinein als eines der großen gestalterischen Experimente der Gegenwart gewürdigt werden muss.

Denn Calvin Klein ist nicht irgendeine Marke. Das erzamerikanische Label wurde in den Achtzigerjahren damit groß, dass Calvin Klein seine Jeans noch etwas schlanker zuschnitt und Unterwäsche - vor allem für Männer - modisch besetzte, indem er seinen eigenen Namen breit in den Bund wob. In einer protzigen Epoche, in der die USA sich als eine an sich selbst besoffene Supermacht gaben, trugen Superstars wie Jane Fonda seine Designer-Jogginghosen, während ältere Schwestern ihren pickligen Brüdern aus dem Supermann-Schlafanzug halfen, indem sie ihnen steingraue Pyjamas von Calvin Klein unter den Weihnachtsbaum legten.

Der schlichte Stil begründete eine Industrie, mit eigenen Läden und Regalen in Kleiderkaufhäusern und Malls. Mag sein, dass gerade das Raf Simons gefiel: Als Europäer in den Kopf und die Eingeweide des amerikanischen Geschmacks einzudringen. Jedenfalls zog er von Paris, wo er für Dior verantwortlich war, nach Manhattan um, kaufte sich einen Hund und taufte die gehobene Linie, die bis dahin im besten Achtzigerjahre-Stil "Collection" hieß, um in "Calvin Klein 205W39NYC", nach der New Yorker Adresse des Headquarters.

Dort hallte dann zum Auftakt seiner ersten Schau im Frühjahr 2017 die Bowie-Zeile "This is not America" durch den weiten, weißen Showroom, unter dessen Decke die zerschnittenen Girlanden hingen, mit denen Latinos ihre Supermärkte dekorieren. Das Amerika da draußen, wo gerade Donald Trump vereidigt worden war, das ist nicht alles, hieß das. Das Amerika, das Raf Simons beschwor, wirkte, als habe er die Komparsen aus einem Robert-Altman-Film über seinen Laufsteg dirigiert: Frauen trugen schlank geschnittene Satinhosen, die kontrastfarbig gemusterten Hemden der Marching Bands und Plastikregenmäntel. Raf Simons hatte sich gegen die kühle Eleganz der Park Avenue und das körperbetonte Beverly Hills entschieden, die bislang den ästhetischen Kontinent eingegrenzt hatten, in dem Calvin Klein herrschte. Und führte den Amerikanern ihre eigene, in Geschmackssachen eher unaufgeräumte Kultur vor: knalleng, glitzernd, kariert, auftrumpfend und kindisch. Wie Monstertruck-Rennen und Grillfeste am Nationalfeiertag. Oder, positiv ausgedrückt, wie die Village People.

Die erste prominente Kundin? Melania Trump, die in einer roten Satinbluse mit breiten, beigen Brusttaschen im September 2017 den Rückflug aus Camp David antrat. Die liberalen Modeblogger, die noch das winzigste kulturelle Zitat der Kollektion dekodiert hatten, waren entsetzt: "Es muss wohl so sein, dass Melania Trump und ihre Stylisten die subtilen Untertöne überhaupt nicht mitbekommen haben."

Raf Simons Abschied bei Calvin Klein: Die Kardashian-Jenner-Schwestern in einer Calvin-Klein-Kampagne.

Die Kardashian-Jenner-Schwestern in einer Calvin-Klein-Kampagne.

(Foto: Calvin Klein)

Raf Simons legte noch eins drauf, auch kostenmäßig: Die Pariser Boutique stattete der Künstler Sterling Ruby aus. Und auf Kleidern, Handtaschen und den Holzhütten, die Simons als Kulissen für Wintermode in den kühlen Showroom zimmerte, prangten Motive von Andy Warhol. Die Verhandlungen mit der lizenzgebenden Warhol-Foundation sollen den Anwälten Tränen in die Augen getrieben haben. Aber der Laufsteg, auf dem die Models durch Popcorn stiefelten, war umwerfend fotogen. Und alle lauten Inszenierungen enthielten stets eine leise Hommage an die Vereinigten Staaten der Vielfalt.

Schon vor der zweiten Kollektion zeichnete das "Council of Fashion Designers of America" dann Simons als ersten Modemacher überhaupt in beiden Kategorien - Männer und Frauen - als "Designer des Jahres" aus. "Raf hat wirklich eine Vision von Amerika", sekundierte Kim Kardashian in einem Video vom Shooting der Wäsche- und Jeans-Kampagne, zu der sich alle Kardashian-Jenner-Schwestern in einer rustikalen Scheune einfanden, um später in Unterhose und BH unter einem Apfelbaum zu schaukeln, auch die hochschwangere Khloé. Auf der Website hieß es dazu, man stelle "Amerikas Horror dem Mythos des amerikanischen Traums" gegenüber.

Raf Simons Abschied bei Calvin Klein: Quilt im Siedler-Stil.

Quilt im Siedler-Stil.

(Foto: Calvin Klein)

Mit Begriffen wie Traum und Horror kann man wohl auch beschreiben, was die kulturkritischen Experimente für Händler bedeuteten. Avantgarde-Läden in Tokio und London begeisterten sich für kinematografische Visionen: Mäntel die aussahen, als habe sich ein Astronaut nach gelungener Wasserung in Großmutters Quilts gekuschelt, und Abendroben, die den Moment evozieren, in dem der Sheriff einer verstörten Grace Kelly seine Pferdedecke um die Schulter-Rüschen legt. Amerikanische Kaufhausketten, an stabile Umsätze mit Jeans, Unterwäsche und grau melierten Jogginghosen gewöhnt, orderten ratlos Patchwork-Pullover in neutralen Tönen.

Dass die besten Entwürfe den verchromten Hasen und Ballon-Blumen von Jeff Koons gleich die amerikanische Kultur in attraktiven Brechungen spiegelten, gefiel nicht. Vielleicht, weil Amerikaner es nicht gewohnt sind, wie Exoten betrachtet und interpretiert zu werden.

Man empfand Simons' Anspielungsreichtum als unverständlich

Folklore ist, wenn Pariserinnen sich in die glühenden Muster verlieben, die Yves Saint Laurent in marokkanischen Berberdörfern aufgestöbert hat. Die steinreich verheiratete Texanerin schätzt es dagegen nicht, wenn man sich von ihrer mottensicher verschweißten Prom-Robe inspirieren lässt oder den Pompons, mit denen sie als Teenager bei Cheerleader-Wettbewerben angetreten ist. Beunruhigend wirkte zudem, dass in den Feuerwehrjacken, die Simons zu Anoraks umschneiderte, der Farbton Guantánamo-Orange anklang. Würde er auch Terror und Gegenterror zitieren?

Die kulturell versiert vernähten Kleider, Mäntel und Stiefel wurden jedenfalls nicht gekauft. Man empfand Simons' Anspielungsreichtum als unverständlich. Zudem, so urteilte der Mittlere Westen, sei das Experiment doch eher "arty" gewesen, der Flagship-Store in Paris habe ausgesehen "wie irgendeine Kunstgalerie". Und die Kunst? Hat von all dem nichts mitbekommen. Es heißt, Raf Simons habe sich persönlich auf den Weg gemacht, die legendäre, fast verschollene Künstlerin Cady Noland aufzusuchen, deren aus US-Flaggen, Handschellen und Westernsätteln zusammengeklitterte Installationen er liebt. Doch als er vor dem Haus stand, um ihr eine Handtasche zu überreichen, habe die Amerikanerin nicht aufgemacht.

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