Moby im Interview:"Ich gehöre nach Hause"

Moby meldet sich mit dem Album "Wait for Me" zurück. Im Gespräch erklärt er, warum seine Musik nicht zum Selbstmord taugt, Erfolg immer Zufall ist und Berlin wie Stuttgart wirkt.

Tomasz Kurianowicz

Berlin-Kreuzberg am Nachmittag, im Büroraum einer Musikagentur. Der Mann, der sich Moby nennt, weil sein Ur-Ur-Großonkel Herman Melville den Weltliteratur-Klassiker "Moby Dick" verfasst hat, schaut still aus dem Fenster. Vor dem Gespräch wird ein Katalog mit Fragen ausgeteilt, die er nicht beantworten möchte. Der schmächtige, jedes Lob mit Kinderaugen aufsaugende New Yorker macht beim Gespräch einen gutgelaunten, wenn auch etwas erschöpften Eindruck.

Moby im Interview: Ein Punk, der manches bereut: Moby.

Ein Punk, der manches bereut: Moby.

(Foto: Foto: Ministry Of Sound Germany)

sueddeutsche.de: Mal ehrlich: Beantworten Sie jetzt nur noch intelligente Fragen?

Moby: Wissen Sie was? Ich fühle mich alt, ich bin jetzt 43. Ich möchte kluge Fragen hören. Obwohl ich natürlich weiß, dass es auch dumme Fragen gibt, die sehr viel Spaß machen.

sueddeutsche.de: Deshalb diese Liste mit Fragen, die ich nicht stellen darf? Zum Beispiel: "Was ist Ihr Lieblingsessen?"

Moby: Wer hat gesagt, Sie dürften mir diese Fragen nicht stellen?

sueddeutsche.de: Man hat mir vor dem Interview eine Liste mit unerwünschten Fragen gegeben.

Moby (versucht sich zu erinnern): Oh! Okay. Wenn Sie wollen, können Sie mir diese Fragen trotzdem stellen.

sueddeutsche.de: Dort steht, dass Sie bei der Produktion Ihres aktuellen Albums "Wait for Me" von David Lynch, dem Regisseur von Filmen wie "Inland Empire" und "Mulholland Drive", inspiriert wurden. Das hätte ein ziemlich verrücktes, freakiges Album werden können. Ihre neuen Songs sind aber atmosphärisch und sensibel, sehr geradlinig. Auf jeden Fall zugänglicher als diese postmodernen Lynch-Filme.

Moby: Ich liebe alle Filme von David Lynch, mein liebster ist "Twin Peaks: Fire Walk With Me". Wenn ich aber sage, dass mein neues Album von David Lynch inspiriert ist, dann beziehe ich mich auf eine Rede, die er bei den BAFTA-Awards 2008 gehalten hat. Er sagte, Kreativität und Kunst dürften sich um den Markt nicht scheren. Ich möchte Musik machen, die ich liebe. Wenn sie sich verkauft - gut. Wenn nicht - auch gut.

sueddeutsche.de: Sie machten sich früher mehr Sorgen um Ihr Geld?

Moby: Früher spielte ich in einer kleinen Punk-Rock-Band. Danach war ich ein Teil dieser Underground-Musik-Szene. Ich hätte mir nie vorstellen können, Erfolg zu haben. Später dann, als ich tatsächlich erfolgreich war, war ich überrascht und verwirrt. Kommerzieller Erfolg ist immer Zufall. Manche Musiker wollen, wenn sie jung sind, Rockstars werden. Als ich jung war, wollte ich verrückte, experimentelle Musik machen und mit meinen Freunden rumhängen. Ich mag diese Sternchen-Welt nicht. Als ich bei den MTV-Awards neben Jessica Simpson und Lil Wayne saß, fühlte ich mich fremd. Ich gehöre nach Hause, zu meinen Freunden, mit denen ich zum Beispiel über "Star Trek" rede.

sueddeutsche.de: Haben Sie schon den neuen "Star Trek"-Film gesehen?

Moby: Großartig. Der beste "Star Trek"-Film seit langem.

sueddeutsche.de: Haben Sie auch den neuen Film von Charlie Kaufmann gesehen, "Synecdoche, New York"?

Moby (korrigiert die Aussprache): "si-NEK-dah-kee". Ja, habe ihn gesehen. Warum?

sueddeutsche.de: Der Film handelt von einem Autor, der das ultimative Theaterstück schreiben will. Er will seine Gefühle, sein ganzes Leben unmittelbar auf die Bühne bringen. Ist Ihnen das vertraut?

Moby: Wenn Menschen ihre Emotionen preisgeben - übrigens auch jene Menschen, die mir sehr nahe stehen -, fühle ich mich unwohl. Ich versuche zwar, meine Empfindungen zu verbalisieren, aber es fällt mir wirklich schwer. Die Musik und meine Songtexte sind für mich der einzige Weg, meine Emotionen zu offenbaren.

sueddeutsche.de: Die Single Ihres neuen Albums "Wait For Me" heißt "Shot in The Back of The Head" ...

Moby: Das unkommerziellste Ding, das ich je aufgenommen habe, rein instrumental. Sie kann also weder im Radio gespielt, noch - da das Video von David Lynch ist - im Fernsehen gezeigt werden. Meine Vergangenheit ist der Punk, und ich bin bei keinem Major-Label mehr. "Wait For Me" habe ich in meinem Schlafzimmer aufgenommen. Es ist ein echtes Home-Made-Low-Fi-Album.

sueddeutsche.de: Streckenweise klingt es extrem larmoyant.

Moby: Sicher besteht dieses Album aus sehr viel Traurigkeit und Melancholie. Aber ich wollte keine Platte machen, bei der sich nach dem Anhören alle umbringen wollen. Ich will Musik machen, die warm und menschlich ist.

sueddeutsche.de: Das wird Ihre Hörer freuen ... Der Song "A Seated Night" ist besonders spirituell. Man hört Schlagzeug, Streicher und einen Chor.

Moby: Ich war in einem Taxi in New York, der Fahrer kam aus Asien. Er hörte mit einem kleinen, alten Kassettenrekorder ein Kirchenlied, das sein Cousin aufgenommen hat. Diese schlechte Aufnahme eines Chores, abgespielt auf einem alten Rekorder in einem New Yorker Taxi, klang so schön, merkwürdig und unheimlich, dass ich unbedingt etwas ähnlich Stimmungsvolles machen wollte.

sueddeutsche.de: Einerseits gibt es auf Ihrem Album düstere Stücke wie "Hope Is Gone", andererseits diese Zuversicht im Titelsong "Wait For Me". Ihre Fans werden überrascht sein.

Moby: Viele denken, es gebe einen bestimmten Typus von Zuhörer. Die Wahrheit lautet aber: Alle Hörer sind Individuen. Wenn ich eine Aufnahme mache, mache ich diese Aufnahme für keine Masse.

sueddeutsche.de: Sind Sie immer ehrlich zu sich selbst?

Moby: Ich versuche es zumindest.

sueddeutsche.de: Gibt es Dinge, die Sie bereuen?

Moby: Manche Entscheidungen waren ganz einfach Fehler, meist solche, mit denen ich versuchte, eine Plattenfirma zufriedenzustellen. Für mich ist der einzig gute Erfolg der zufällige Erfolg. Niemals hätte ich vermutet, einen Plattenvertrag zu bekommen. Ich dachte eigentlich, dass ich meine Existenz als Musiklehrer fristen werde, der in seiner Freizeit komponiert. Eine merkwürdige Kariere ... Ich bin immer noch überrascht.

sueddeutsche.de: Fühlen Sie eine politische Verantwortung?

Moby: Ich engagierte mich für die John-Kerry-Kampagne, für die Al-Gore-Kampagne, für Barack Obama. Ich arbeitete für gemeinnützige Organisationen. Ich will mich aber auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und sagen, wie diese Welt aussehen müsste. Ich habe wirklich keine Ahnung. Ich weiß nur, wie die Welt nicht sein sollte. Zum Beispiel intolerant oder brutal. Das klingt vielleicht simpel, doch das ist meine Überzeugung.

sueddeutsche.de: Für die Kommunikation nutzen Sie neue Formen. Sie twittern über Sarah Palin oder schreiben über die Air Force One, die kürzlich über New York kreiste und die Bevölkerung in Panik versetzte.

Moby: Manche Musiker benutzen Twitter, um für sich selbst zu werben. Ich bin nicht intelligent genug, um das zu tun. Ich vertreibe mir nur meine Zeit.

sueddeutsche.de: Schon über Berlin geschrieben?

Moby: Klar. Wenn ich hier bin, muss ich immer an David Bowie denken, der sein Album "Heroes" in Schöneberg produziert hat. Westberlin war diese merkwürdige kleine Insel. So etwas existiert heute nicht mehr. Wenn ich mich an diese Anfänge zurückerinnere, muss ich lachen. Schauen Sie aus dem Fenster ... Die Mauer wird wieder aufgebaut! (Moby zeigt durch das Fenster auf die Reste der Berliner Mauer in Friedrichshain, die heute als "East Side Gallery" Touristenmassen anzieht. Für den Bau der O2-Arena mussten Mauerreste versetzt werden.) Sie malen neue Graffiti auf die Wände. Ich erinnere mich, als ich 1990 nach dem Fall der Mauer nach Ostberlin gefahren bin. Damals war dieser Ort irgendwie dunkel, es gab viele leer stehende Häuser. Und jetzt: Schauen Sie sich die Sache doch mal an (zeigt auf die O2-Arena): Das sieht doch hier aus wie in Downtown-Stuttgart!

Mobys Album "Wait For Me" erscheint an diesem Freitag.

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