Mobbing:Sex am Lucia-Fest

Literaturbeilage

Johanna Nilsson: Hass gefällt mir. Aus dem Schwedischen von Maike Dörries. Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2016. 169 Seiten, 12,95 Euro. E-Book 11,99 Euro.

Die Eskalation der Gewalt an einer schwedischen Schule hat ihre Ursache in der Feigheit der Erwachsenen, die den Jugendlichen nicht Einhalt gebieten. Geschrieben wie ein Theaterstück. Regt zur Diskussion an.

Von Roswitha Budeus-Budde

Zwei beste Freundinnen am Gymnasium einer schwedischen Kleinstadt, Jonna und Gloria, die unterschiedlicher nicht sein können. Zwei, die sich als Außenseiter zusammengetan haben, weil sie keinen Platz in der ungeschriebenen Hierarchie der Klasse fanden. Gloria, eine strahlende Schönheit und Jonna, klug, aber unattraktiv, mit Ecken und Kanten, unzufrieden mit ihrem Leben. Kritisch seziert sie ihre Umgebung, die antriebslose Mutter mit ihrem arbeitslosen Freund, oder Glorias Familie, mit einer nur auf Schönheit und Äußerlichkeit fixierten Mutter und einem schwachen Vater. Eltern, die nur die Oberfläche wahrnehmen und nicht erkennen wollen, dass ihre Tochter psychische Probleme hat und sich ritzte. Auch die Lehrer verachtet sie, besonders die Direktorin und die Sprachlehrerin, von der sie annimmt, dass ihr Mann sie schlägt und die darum ihre Wut an den Schülern auslässt. Ihre Klassenkameraden, die sich im Netz austoben, stoßen sie ab. Besonders Robin, den angesagten "King", verachtet sie und ist höchst besorgt darüber, dass Gloria ihn unbedingt als Freund gewinnen will, und seine Forderung akzeptiert, ihm auf Facebook Bilder von ihren nackten Brüsten zu posten. "Das ist unfair. Aber er weiß, dass er es kann. Weil er ist, wer er ist."

Johanna Nilsson entwirft nicht eine der üblichen Mobbinggeschichten, die im Augenblick die Kinder- und Jugendliteratur überfluten. Sie seziert in ihrem Jugendroman "Hass gefällt mir" mit einer messerscharfen, treffsicheren und mitleidlosen Sprache - packend übersetzt von Maike Dörries - die schwedische Gesellschaft. Bereitet so das Szenarium vor für eine Eskalation der Gewalt an der Schule, die mit Mobbing und Shitstorm beginnt. Und in einer Orgie der Zerstörung endet, als Reaktion auf die Gleichgültigkeit und Feigheit der Erwachsenen und als Folge der Vernachlässigung der Jugendlichen.

Schon im ersten Teil der Handlung, in dem Jonna als Erzählerin auftritt, geschieht eine Gewalttat, beim Lucia-Fest wird Gloria von Robin und seinen Freunden zu Oralsex gezwungen. Szenen, die am nächsten Tag auf dem Blog des Mädchens auftauchen. "Irgendwelche Schweine haben perverse Sachen auf deinem Blog gepostet", sage ich. König Robin und die Ritter der Arschlochtafelrunde." Und auf ihrem Schulspind finden sich die Worte: "Die Hure bläst gut."

Im zweiten Teil steht Robin im Mittelpunkt, am Anfang noch ganz der selbstbewusste Typ, vollgepumpt mit Testosteron und sich keines Unrechts bewusst: "Sie wollte es ja." Seine Pfarrersfamilie widert ihn an, besonders der Großvater, den er für den Tod der Großmutter verantwortlich macht. Er konstatiert, dass auch die Lehrer, obwohl sie alle die Bilder gesehen haben, nichts sagen, feige sind: "Sie wollen sich nicht mit uns Schülern anlegen. Keiner will der Spießer sein, der den moralischen Zeigefinger erhebt. Jeder von ihnen hofft, dass das ein Kollege übernimmt." Und doch muss Robin erleben, wie es ist, selbst ein Opfer zu sein, denn Johanna Nilsson gibt der Geschichte eine unerwartete Wendung, welche die innere Spannung erhöht, vorschnelle Urteile verhindert und zur Diskussion auffordert.

Alle Beteiligten erleben, dass Hass Macht verleiht und wie gefährlich gruppendynamische Aktionen werden können, besonders in der Anonymität des Netzes. Auch wenn am Schluss, in einem dramatischen Showdown, Gloria sich Robin zuwendet. Ob sie damit sein Leben rettet? In dieser wie ein Theaterstück mit drei Akten und inneren Monologen, Dialogen und Chatsprache aufgebauten Geschichte bleiben Schuldzuweisungen aus, die oft als pädagogische Beigabe im Jugendbuch auftauchen und den Mitleidseffekt bedienen. Mobbing kennt hier keinen Unterschied zwischen Opfern und Tätern, denn alle Beteiligten sind die Leidtragenden der sozialen Verwahrlosung. (ab 14 Jahre)

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