Im Gegensatz zu vielen indigenen Völkern, die, um es frei nach Georg Christoph Lichtenberg zu sagen, eine "furchtbare Entdeckung" machten, als sie die ersten Weißen sahen, haben die Völker der Maya die Begegnung mit den Milizen spanischer Mordbrenner und dann jahrhundertelanger Kolonialherrschaft halbwegs überlebt.
Heute gibt es in Mittelamerika gut 6,4 Millionen Angehörige, die noch verschiedene Maya-Sprachen sprechen. Die berühmteste Maya vom Volk der Quiché ist Rigoberta Menchú, die für ihren Kampf um die Menschenrechte gerade indigener Völker neben anderen Auszeichnungen 1992 den Friedensnobelpreis erhielt.
Die Maya gelten als die bedeutendste Hochkultur des alten Mittelamerika. Ihre grandiosen Tempel- und Stadtbauten ziehen Touristenströme an, ihre wissenschaftlichen Leistungen in der Mathematik, die von ihnen erstellten Kalender, die auf genauesten astronomischen Beobachtungen beruhen, erregen höchste Anerkennung.
Nahezu alle Schriften, Bilder und Symbole der Maya wurden vernichtet
Mit den Konquistadoren endete auch eine Schrifttradition von rund 1500 Jahren. Dabei leistete der Fanatismus katholischer Missionare und Priester gründliche Arbeit in der Vernichtung schriftlicher Zeugnisse der sogenannten "heidnischen" alten Kultur.
Vor allem Diego de Landa tat sich als barbarischer Inquisitor und Heidenverfolger hervor: Am 12. Juli 1562 ließ er vor dem Franziskanerkloster San Miguel Arcángel in Maní alle nur auffindbaren Maya-Schriften, religiöse Bilder und Symbole verbrennen.
Diese als fromm gepriesene, verheerende Schandtat hat Landa später so beschrieben: "Wir fanden bei ihnen eine große Zahl von Büchern mit diesen Buchstaben, und weil sie nichts enthielten, was von Aberglauben und den Täuschungen des Teufels frei wäre, verbrannten wir sie alle, was die Indios zutiefst bedauerten und beklagten." So blieben nur Teile von vier Maya-Kodizes erhalten. Einer davon liegt in Dresden.
Landa wurde allerdings des Machtmissbrauchs und der Anmaßung eines bischöflichen Amtes angeklagt. Sechs Jahre dauerte der Prozess, der zuletzt mit Freispruch für Landa endete. Immerhin hat er diese Zeit genutzt, um einen Rechtfertigungsbericht über seine Zeit in Yucatán zu verfassen, die "Relación de las cosas de Yucatán".
Der ist heute eine der zentralen Quellen über die Maya während der spanischen Kolonialherrschaft. Darin schrieb Landa auch über Rituale, Kalender und die Schrift und zeichnete sogar ein Maya-Alphabet auf. Dieses sogenannte Landa-Alphabet sollte sich viel später - Ironie der Geschichte - als entscheidend hilfreich für die Entschlüsselung der Maya-Glyphen entpuppen.
Landas Bericht verschwand in den Archiven und wurde erst 1862 von Abbé Charles Étienne Brasseur de Bourbourg wiederentdeckt und 1864 veröffentlicht.
Zuvor hatte, in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts, Constantine S. Rafinesque-Schmaltz schon herausgefunden, dass die Zahlen der Maya auf einem Punkt-Strich-System beruhten: Punkt für eins, Strich für fünf. Der deutsche Archivar und Historiker Ernst Förstemann erforschte zwischen 1887 und 1897 den Dresdner Kodex und darin die Funktionsweisen des Maya-Kalenders. Doch es dauerte trotz einiger Fortschritte in Details weiterhin, bis die Altamerikanisten nicht mehr anders konnten, als den Maya eine voll entwickelte Schrift zuzugestehen.
Zwei Denkansätze standen sich gegenüber. Auf der einen Seite der Amerikaner Cyrus Thomas, der herausfand, dass die Maya-Glyphen in Zweierreihen von oben nach unten angeordnet sind und jeweils von links nach rechts zu lesen sind. Er nahm an, dass die Maya-Schrift ähnlich wie das Altägyptische funktionierte: mit Logogrammen, den Zeichen für ein Wort, und Silbenzeichen. Thomas erstellte ein Silbenregister, in dem immer ein Konsonant und ein Vokal eine Silbe bilden.
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Dagegen wandte sich Eduard Seler, der Begründer der deutschen Altamerikanistik. Für ihn waren die Glyphen der Maya keine Schriftzeichen, sondern stilisierte Bilder, Ideogramme, die Ideen und Vorstellungen symbolisierten.
Diese Position vertrat auch der Brite John Eric Sidney Thompson, der sich einerseits große Verdienste um weitere Erkenntnisse des Maya-Kalenders erwarb, aber daraus fälschlich folgerte, alle Inschriften der Maya seien auf Astronomisches und Kalendarisches ausgerichtet. Er verhinderte zeitlebens, dass der Entzifferungsansatz von Cyrus Thomas weiter verfolgt wurde - zumindest im Westen.
"Westen" hieß bei den alten Mayas "chikin"
Denn 1952 hatte der sowjetische Ägyptologe Juri Knorosow anhand des Dresdner Kodex und des Landa-Alphabets erkannt, dass Cyrus Thomas recht hatte, bei der Maya-Schrift ähnliche Prinzipien wie bei den ägyptischen Hieroglyphen zu vermuten. Knorosow bewies, dass die Maya logosyllabisch, eine Kombination aus Logogrammen und Silben, schrieben: Das Zeichen für "Westen", chikin, war seit 1875 bekannt.
Knorosow las das eine Zeichen phonetisch als chi und das andere erkannte er als Logogramm für kin, "Sonne". Thompson entblödete sich in ideologischer Verbohrtheit nicht, Knorosows Arbeiten als kommunistische Propaganda abzutun.
Erst nach Thompsons Tod 1975 griffen auch westliche Forscher Knorosows Ansatz auf: Seit 1980 hat man auf diese Weise rund 800 Zeichen entziffert und kann nun die Kodizes und die Inschriften auf Stelen und Tempeln lesen.
Thompson hatte noch angenommen, die Maya seien vor allem Sterngucker und friedlich gewesen. Doch seitdem die Glyphen einigermaßen zu lesen sind, auch wenn noch vieles ungelöst bleibt, zeigt sich, dass die Maya wie andere Hochkulturen Kriege führten, Gefangene folterten und auch Menschen opferten.