Missbrauch an der Musikhochschule:Entlarvendes Lehrstück

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Siegfried Mauser, der frühere Präsident der Münchner Musikhochschule, wurde wegen mehrerer Fälle sexueller Nötigung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. (Foto: dpa)

Im Fall sexueller Nötigung durch Siegfried Mauser unterstützen Kulturschaffende weiterhin den Täter - obwohl der rechtskräftig verurteilt ist. Sie führen damit unfreiwillig die Mechanismen vom kollektiven Täterschutz vor.

Von Kia Vahland

Zu den großen Stoffen der Oper und des Theaters gehören der Umgang mit Macht und deren Missbrauch. Wer bricht unter welchen Umständen Gesetze, die doch für alle gelten; was folgt daraus für wen? Normalerweise wird so etwas im Raum der Kunst verhandelt, in dem alles denkbar, darstellbar und vor allem reflektierbar ist. Gerade aber führen in München einige Kulturschaffende selbst - unfreiwillig - ein exemplarisches, über die Stadtgrenzen hinausweisendes Lehrstück auf, das davon erzählt: von den Mechanismen des Missbrauchs institutioneller Macht, vom kollektiven Täterschutz und von systematischer Opfer-Missachtung. Zu erfahren ist auch: Wer alle Regeln ignoriert, erntet Widerstand, blamiert sich und riskiert Glaubwürdigkeit.

Titelfigur des Stücks ist der frühere Direktor der Münchner Musikhochschule Siegfried Mauser, der im ersten Akt wegen mehrerer Fälle sexueller Nötigung in Hochschulräumen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist. Das Urteil gegen den Pianisten und Musikwissenschaftler ist rechtskräftig, es wurde vom Bundesgerichtshof bestätigt. Es ist der einzig prominente Fall im deutschen Kulturleben, der nach den unter #Aufschrei und #MeToo bekannt gewordenen Empörungswellen mit einer mehrjährigen Haftstrafe endete.

Während der generellen Debatte um sexuelle Gewalt wurde immer wieder auf die Rolle der Gerichte verwiesen, denen allein gebührt, jemanden schuldig zu sprechen. Dies ist jetzt geschehen, die Opfer Mausers haben den juristischen Weg erfolgreich beschritten. Das jedoch heißt überraschenderweise noch nicht, dass sie damit auch über die Deutungshoheit der Geschichte verfügen. Schon vor drei Jahren, im zweiten Akt des Stückes und noch in der ersten Phase der juristischen Auseinandersetzung, stellten namhafte deutsche Intellektuelle wie Hans Magnus Enzensberger die Frauen in Leserbriefen an die SZ als rachsüchtig hin: In Wahrheit seien die Damen von Mauser sexuell verschmäht worden. Der illustre Chor auf der Bühne sang das Lied vom unschuldigen, heiß begehrten Genie.

Im dritten Akt des Stückes ehren nun einige Mitglieder der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Mauser bis vor Kurzem angehörte, und andere bekannte Intellektuelle ihren Kollegen mit einer Festschrift. Im Vorwort ist die Rede vom "Charismatiker" Mauser, gepriesen wird "Mausers Empathie, sein Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, sich mitzufreuen und mitzuleiden". In dieser Sicht waren es Mausers "unbändiger Tatendrang, die ansteckende Spontaneität und begeisternde Vitalität" sowie sein "bisweilen die Grenzen der ,bienséance' überschreitender weltumarmender Eros", die ihn vor die Richter brachten. Der Gewalttäter erscheint als ein "die Grenzen der Wohlanständigkeit" überschreitender freizügiger Künstlergeist. Einer der Vorwort-Autoren rechtfertigte sich jetzt im Bayerischen Rundfunk mit "Ironie" und den Worten "Ich bin ein Schüler Thomas Manns".

Humanistische Bildung schützt leider vor gar nichts, das ist eine Lehre dieses Stücks. Wer meint, bloß weil die Kunst alles darf, dürfe das auch der Künstler, beschönigt sexuelle Gewalt und verhöhnt Betroffene. Und er missbraucht auch die Kunst. Die ist nämlich für alle da, und nicht selten hört sie aufmerksam den Opfern zu, die wahrhaftigere Geschichten zu erzählen haben als die Täter und deren Unterstützer.

© SZ vom 13.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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