Süddeutsche Zeitung

"Mishima" von Paul Schrader im Kino:Die Harmonie von Stift und Schwert

Wiederaufführung: Paul Schraders Klassiker über den japanischen Autor und Putschisten "Mishima" kommt nochmal ins Kino - ein Meisterwerk.

Von Philipp Stadelmaier

Als der japanische Schriftsteller Yukio Mishima am Morgen des 25. November 1970 aufwacht, verzichtet er auf sein übliches Frühstück. Stattdessen stellt er sich vor den Schlafzimmerspiegel, holt die Uniform seiner Privatmiliz aus der Schublade und legt sie an. Wen sieht er im Spiegel? Sich selbst, die Figur eines Generals, einen Charakter aus einem seiner Romane? Oder nur eine lächerliche Karikatur? Aber wie lächerlich sie auch sein mag, sie hat sich zum Äußersten entschieden. An diesem Tag wird Mishima mit drei Getreuen ins Hauptquartier der japanischen Armee in Tokio eindringen, er wird sich an die Soldaten wenden, um sie zum Putsch zu bewegen. Das Ziel: die Macht des japanischen Kaisers wiederherzustellen.

Paul Schraders "Mishima - Ein Leben in vier Kapiteln" von 1985, der als Wiederaufführung in die deutschen Kinos kommt, lebt nicht nur von der schillernden Figur des kaisertreuen, nationalistischen Künstlers, dessen Biografie er nachzeichnet. Der gänzlich in Japan gedrehte Film zeugt von der Faszination, die das japanische Kino auf den "Taxi Driver"-Erfinder Schrader und andere Filmemacher des New Hollywood ausübte. Die beiden ausführenden Produzenten, George Lucas und Francis Ford Coppola, hatten schon fünf Jahre zuvor Akira Kurosawas Meisterwerk "Kagemusha" mitermöglicht.

In der Rahmenhandlung trifft Mishima (Ken Ogata) seine Vorbereitungen. Seine "Getreuen" holen ihn im Auto ab, junge Männer, die ebenfalls Fantasieuniformen tragen und bereit sind, zur Ehre des Kaisers in den Tod zu gehen. Während sich Mishimas Leben immer mehr seiner Erfüllung nähert, entfaltet Schrader in Rückblenden die geistige und literarische Welt des Schriftstellers.

Hier geht es um die Gründung politischer Terrorzellen - im echten Leben wie in der Literatur

Die Kapitelüberschriften kombinieren übergeordnete Themen mit Werktiteln: Auf "Schönheit - Der Tempelbrand" folgt "Kunst - Kyokos Haus". In Schwarz-Weiß gefilmte Episoden zeigen Mishimas Leben. Die Kindheit und Jugend während der Kaiserzeit und im Zweiten Weltkrieg, den Beginn seiner Schriftstellerkarriere in der Nachkriegszeit, seinen politischen Aktivismus. Sequenzen in Farbe wiederum tauchen in eine Welt aus Bildern und Worten ein, in Mishimas inneres Leben, seine Dämonen, seine Literatur. Schreiben ist für ihn ein Werkzeug, das die tief empfundenen Widersprüche seiner Existenz kitten soll - allen voran die Tatsache, überhaupt noch am Leben zu sein. Das (von ihm verpasste) Schönheitsideal seiner Generation sei das Sterben im Krieg gewesen, der ehrenvolle Tod für den Kaiser. So dient die obsessive literarische Produktion dazu, eine alles verzehrende Sehnsucht nach Schönheit und Tod zu befriedigen.

Doch gerade die Kunst, welche die Wunde schließen soll, reißt sie wieder auf. Worte haben Grenzen, entsprechen nicht der Realität. Diese Erfahrung übersetzt Schrader in eine bildliche Form. Ein Tempel wirkt wie eine Attrappe in einem Filmstudio, ein Bordell besteht aus ein paar Gegenständen in einem leeren schwarzen Raum. Alles bleibt abstrakt, die Welt der Literatur ist eine unvollkommene Kulisse. Weswegen für Mishima, der noch heute von japanischen Rechtsradikalen verehrt wird, der konkrete politische Aktivismus immer wichtiger wird. Das dritte Kapitel, das in den Sechzigern spielt, ist dem "Handeln" gewidmet. Hier geht es um die Gründung politischer Terrorzellen - im echten Leben wie in der Literatur. Die Grundidee: Die Wiedererweckung "von nobler Männlichkeit und Schönheit" durch das Opfer des eigenen Lebens. Mishima hat kein Problem, sich einem Hörsaal voller linker Studenten zu stellen, er schreit: "Ich habe einen Trumpf namens Kaiser."

Schrader inszeniert diesen Blutrausch im Kopf des Imperialisten nach dessen Worten: zum Himmel aufsteigen und herunterfallen, wie ein Feuerwerk alles erhellen, um dann zu verlöschen. Im tiefroten Licht dringt ein Terrorist in die Wohnung eines Beamten ein, zerreißt einen Vorhang, auf den ein großes Gemälde projiziert ist, bevor er sein Opfer ersticht; danach irrt er im Sonnenuntergang über eine Wiese, während Gräser und Pflanzen rot phosphoreszieren, wie ein Flammenmeer.

Schrader findet zu einer brillanten Darstellung von Mishimas angestrebter "Harmonie aus Stift und Schwert", wie das finale Kapitel heißt. Dabei bewahrt er das Abstoßende wie das Berührende. Mishimas Streben gilt der Vereinigung mit einem abstrakten Selbstbild, dem Wunsch, seinen als kümmerlich empfundenen Körper in jene Schönheit zu übersetzen, nach der er in der Literatur sucht. Der Moment der Vereinigung mit diesem Bild ist der Moment, in dem er seinem Leben ein Ende setzt. Mishima wollte sich in ein Kunstwerk verwandeln. Schrader macht aus ihm einen meisterhaften Film.

Mishima, USA/Japan 1984 - Regie, Buch: Paul Schrader. Kamera: John Bailey. Mit: Ken Ogata, Kenji Sawada. Rapid Eye, 120 Minuten.

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SZ vom 28.11.2019
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