Theater:Komödie mit Kriegsversehrten

Theater: Bei Regisseurin Anne Lenk haben in Lessings "Minna von Barnhelm" die Frauen das Sagen, hier sind das Natali Seelig, Seyneb Saleh und Lorena Handschin.

Bei Regisseurin Anne Lenk haben in Lessings "Minna von Barnhelm" die Frauen das Sagen, hier sind das Natali Seelig, Seyneb Saleh und Lorena Handschin.

(Foto: Arno Declair/Deutsches Theater Berlin)

Virtuos: Lessings "Minna von Barnhelm" von 1767 ist am Deutschen Theater Berlin zu sehen.

Von Peter Laudenbach

Eine Komödie mit lauter Kriegsversehrten zu inszenieren, ist derzeit vielleicht keine so gute Idee - erst recht nicht, wenn diese Kriegsversehrten einander etwas penetrant in Edelmut überbieten und sehr sophisticated geschliffene Dialoge mit dem Witz und dem Tempo einer Screwball-Comedy abfeuern. Andererseits ist es natürlich eine sehr gute Idee, dass Anne Lenk sich am Deutschen Theater Berlin nach ihren klugen und immer leicht ironischen Schiller-, Molière- und Kleist-Inszenierungen jetzt Gotthold Ephraim Lessings "Minna von Barnhelm" vornimmt. Lenk gelingt es, die Klassiker ohne Dekonstruktions-Mätzchen sehr frisch gegen den Strich den lesen und zum Beispiel in Kleists "Der zerbrochne Krug" im angeblich lustig verschlagenen Dorfrichter Adam den kaputten, vom Alkohol abgestumpften Vergewaltiger zu zeigen. Gleichzeitig ist ihre Sprachbehandlung so fein und virtuos, dass das Vergnügen der Regisseurin an der Raffinesse der Klassiker ihre spielfreudigen Inszenierungen beflügelt.

Lessings Nachkriegsstück von 1767, vom Autor auf 1763 vordatiert um die Nähe zum Siebenjährigen Krieg (1756-1763) zu betonen, kommt der Regisseurin gerade recht. Lessings Witz und seine Komödienpoetik, die er der Titelfigur in den Mund legt, passen hervorragend zu Lenks Theaterstil: "Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft sein?" Doch, kann man, absolut. Und dass Minnas Verlobter, der im Krieg zum Krüppel geschossene, wegen Korruptionsvorwürfen unehrenhaft entlassene und auch noch bankrotte Major von Tellheim vor lauter Standes- und Männlichkeitsdünkel keinen klaren Gedanken hinkriegt und mit seiner Ehrbarkeits- und Edelmut-Eitelkeit endlos rumzickt, ist natürlich vor allem eines: sehr komisch und keinesfalls tragisch. Also muss Minna von Barnhelm, die ein Lessing-Biograph völlig zu Recht "die erste moderne Frau in der deutschen Literatur" nennt, erstens die Liebe retten und sich zweitens ein paar Späße mit ihrem Major erlauben: Dumme Männer brauchen kluge Frauen.

"Meine ganze Seele hat neue Triebfedern bekommen: Ihr Unglück hebt mich empor." Tja, genau so klingt anmaßende Männlichkeit

Weil Lessings Komödie-Räderwerk etwas zu perfekt konstruiert ist, verzichtet Lenk auf Milieu-Naturalismus und betont stattdessen die Künstlichkeit des Spiels. Die zweistöckige Bühne (Judith Oswald) sperrt die Figuren in dunkelpinke Verließe, oben gekachelt, unten mit plüschbezogenen Wänden, eine Bühne wie ein klaustrophobisches Versuchslabor. Tellheims Diener Just wird vom Hochleistungskomiker Bernd Moss mit Karacho in die Chargenabteilung gejagt, womit er bestes zur verschlagenen Wirtin (Lorena Handschin) passt: Großer Spaß. Moss, in übergroßen Camouflage-Klamotten und mit zugespachtelter Kaputtnik-Visage, zeigt einen abgebrühten Überlebenskünstler mit plebejischem Witz, nach außen mürrisch, aber wie es sich in der Komödie gehört mit sentimentalem Herzen.

Minna (eher kraftvoll als differenziert: Natali Seelig) und ihre Dienerin Franziska (die pure, umwerfende Spielfreude: Seyneb Saleh) steckt die Regisseurin in blumenbunte Seidenkostüme. Mit ihren Bändchen, monströsen Applikationen und wallenden Schlaghosen, mit den weiß geschminkten Gesichtern, rot umrandeten Augen, überhohen Stirnen und blonden Perücken wirken sie wie Mangafiguren, die sich im 18.Jahrhundert prächtig amüsieren (Kostüme: Sibylle Wallum). Major von Tellheim (Max Simonischek) muss zur Strafe für seinen Missmut einen dunklen, zu großen Gehrock tragen, ein Gespenst der etwas steifen Ehrbarkeit. Männer sind Schweine? Von wegen: Männer sind Witzfiguren.

Wie sich Simonischek ohne Scheu vor Pathosgesten durch das Leidens- und Leidenschaftstremolo einer heroischen und dabei etwas lächerlichen Männlichkeit schießt, ist eine Peinlichkeit, die alle Männer im Zuschauerraum für den Rest ihres Lebens vor zu großen Tönen bewahren sollte. Dass die reiche Minna zur Lüge greifen und ihrem Tellheim Armut und Elend der sozial Verstoßenen vortäuschen muss, auf dass der Held sie daraus rette, dockt unmittelbar an heutige ökonomische Konfliktlinien im Geschlechterverhältnis an: Nicht jeder Mann verträgt es gut, wenn die Ehefrau deutlich mehr verdient. Tellheim stürzt sich, begeistert vom angeblichen Elend seiner Verlobten, mit Euphorie in die Heldenrolle des Retters "Meine ganze Seele hat neue Triebfedern bekommen: Ihr Unglück hebt mich empor." Tja, genau so klingt anmaßende Männlichkeit.

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