Milo Rau in Zürich:Wunden schließen

Milo Rau in Zürich: Kunstaktion gegen die historisch belastete Bührle-Sammlung: Milo Raus Galerie-Spektakel ist gewissermaßen das Vorspiel zu seiner "Tell"-Inszenierung am Schauspielhaus Zürich.

Kunstaktion gegen die historisch belastete Bührle-Sammlung: Milo Raus Galerie-Spektakel ist gewissermaßen das Vorspiel zu seiner "Tell"-Inszenierung am Schauspielhaus Zürich.

(Foto: Kunsthaus Zürich)

Der Regisseur Milo Rau kritisiert mit einer Kunstaktion in Zürich die umstrittene Bührle-Sammlung. Und das ist erst der Anfang.

Von Isabel Pfaff, Zürich

Es ist noch hell an diesem Aprilabend in Zürich, als sich der Historiker Erich Keller vor einen gemalten roten Panzer stellt und sagt: "Kunsthaus und Bührle gehören zusammen wie Tell und Armbrust." Mehr von dem Schweizer Nationalhelden gibt es nicht zu hören an diesem Abend. Dafür geht es um die großen, schmerzhaften Themen der Schweizer Gegenwart, sozusagen ans Eingemachte - vor allem für Zürich.

Der rote Panzer hängt in einer kleinen, wuseligen Galerie unweit des Heimplatzes. Dort steht nicht nur das Zürcher Schauspielhaus, wo der unbequeme Schweizer Theatermacher Milo Rau am Wochenende Schillers "Wilhelm Tell" auf die Bühne bringt. Sondern auch das Kunsthaus samt dem erst im vergangenen Herbst eröffneten Erweiterungsbau. Wahrscheinlich hat die Stadt nie ein schlimmeres PR-Debakel erlebt als damals, im Oktober 2021: Der Chipperfield-Prunkbau war nämlich in erster Linie gebaut worden, um die Kunstsammlung des Waffenfabrikanten Emil G. Bührle zu beherbergen. Dass diese von einzigartigem künstlerischen Wert ist, bestreitet keiner. Doch dass ein öffentlich finanziertes Kunstmuseum nun diese Bilder zeigt, die ein mit NS-Geld reich gewordener Rüstungsunternehmer gekauft hat, nicht selten von jüdischen Sammlern auf der Flucht - das konnten Kunsthaus, Stadt und Kanton plötzlich nicht mehr überzeugend erklären. Und so wurde die Eröffnung des Erweiterungsbaus zum Symbol für die Geschichtsblindheit der Beteiligten - und zum Desaster für die Stadt.

Als der Bührle-Skandal gerade so richtig hochkochte, kam der politische Theatermacher Milo Rau in die Stadt. Der 45-Jährige erfasste schnell, dass es hier auch um das Selbstverständnis der Schweiz ging: "Da habe ich mich gefragt: Was mach ich hier eigentlich?" Er habe sich in die Debatten rund um Bührle eingelesen, sich "all diese Scheinkämpfe" angeschaut. Und dann machte Rau, was er immer tut: Er ging die Sache frontal an.

Mehrere Bührle-Bilder werden als NS-Raubkunst von den Nachfahren der einstigen Besitzer zurückgefordert

Sein Tell, das wird bald zu sehen sein, ist nicht nur ein Freiheitskämpfer, sondern deren viele. Den Boden für diese Freiheitsschau bereitet nicht zuletzt das kleine Spektakel in der Galerie. Milo Rau führt verschiedene Themenkomplexe zusammen. Da ist der Historiker Keller, der mit seinem Buch "Das kontaminierte Museum" allen unmissverständlich klargemacht hat, dass mehrere Bührle-Werke unter NS-Raubkunst-Verdacht stehen und von den Nachfahren der Vorbesitzer zurückgefordert werden. Eine von ihnen ist an diesem Abend anwesend: Maeva Emden, Urenkelin des jüdischen Kaufmanns Max Emden. Sie will mit der Bührle-Stiftung eine "gerechte und faire Lösung" finden für ein Monet-Bild, das einst ihrer Familie gehörte - bisher erfolglos. Die in Chile aufgewachsene Frau sagt: "Ich will nicht, dass sich nach mir noch eine Generation mit diesem Bild befassen muss. Ich will, dass diese Wunde endlich geschlossen wird." Dann ist da noch Irma Frei, 80 Jahre alt und Laiendarstellerin in Raus "Tell"-Inszenierung. Die Frau im rosa Blazer war in den Sechzigerjahren Zwangsarbeiterin in einer Bührle-Fabrik in der Ostschweiz - auch dies ein Bührle-Kapitel, das erst kürzlich ans Licht gekommen ist. Frei sagt: "Niemand, weder von den Schweizer Behörden noch von der Bührle-Familie, hat sich je für meine gestohlene Kindheit und Jugend entschuldigt."

Und mit noch einer Frau hat Milo Rau sich verbündet: Miriam Cahn, jüdisch-schweizerische Künstlerin, die wegen des Bührle-Skandals ihre Bilder vom Kunsthaus zurückfordert. Sie hat den roten Panzer und noch viele andere Werke in der Galerie geschaffen. Auch zwei Non-Fungible Tokens (NFTs), deren Auktion am Ende dieses dichten Abends startet. Das Geld soll Sans-Papiers in Zürich zugute kommen. "Damit man zumindest auf der Kapitalebene versucht, Gerechtigkeit zu schaffen", so Milo Rau.

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