Militärhistorisches Museum der Bundeswehr:Reliquien der Gewalt

Waffenkammer und Ruhmeshalle, Tempel der Ehre und Leistungsschau der Technik. Von einer Arche Noah der Tiere im Schlachtfeld bis zu genuschelten Wahrheiten. Vor allem aber: schlechtes Gewissen. Das neue Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden geht unter im Vielzuviel - und verschleiert die Realität des Krieges.

Burkhard Müller

"The human spirit will not die!", verkündete der Architekt Daniel Libeskind beim feierlichen Festakt, in dem am Freitag sein Werk, der Umbau des Militärhistorischen Museums in Dresden, eröffnet wurde. Was aber hat man unter dem "human spirit" im Zusammenhang mit diesem Projekt genau zu verstehen? In diesem Punkt hielt sich auch der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich lieber bedeckt. "Das Verhältnis unserer Gesellschaft zur Gewalt als Mittel der Konfliktlösung" solle erkundet werden. Es klang ein bisschen unspezifisch. Ein "Schmuckstück" sei das Museum geworden, aber eines, das sich "ästhetischen Vereinnahmungen widersetzt". Da steckte jedenfalls ein Widerspruch.

Militaerhistorisches Museum der Bundeswehr vor Wiedereroeffnung

Selten deutlich: der Schädel eines im Ersten Weltkrieg getöteten Soldaten in der Abteilung "1914-1945"

(Foto: dapd)

Verteidigungsminister Thomas de Maizière nutzte die Gelegenheit, um sich sehr grundsätzlich über das Verhältnis der Bundeswehr zur Tradition zu äußern. Es ist klar, sagte er, dass eine Institution wie die Bundeswehr ohne Tradition nicht bestehen könne. Aber sie müsse sich sehr sorgsam aussuchen, an was sie anknüpfen wolle. Die Wehrmacht insgesamt könne das keinesfalls sein. "Das Ganze im Blick, das Gute als Vorbild" gelte es zu haben. Und hier komme dem neuen Museum eine entscheidende Rolle zu: Nicht der Pflege und Bewahrung allein habe es zu dienen, sondern vor allem der Erziehung der Bundeswehr und ihrer Soldaten. Erziehen wozu? De Maizière zählte eine ganze Reihe soldatischer Tugenden auf (darunter auch solche, die einmal eher zivil geklungen hätten). Dazu gehörte in seinen Augen jedoch unbedingt die Fähigkeit, Gewalt auszuhalten.

Das ist eine doppelbödige Formulierung. Sie klingt passiv, schließt aber, wenn man darüber nachdenkt, die Bereitschaft ein, Gewalt auch zuzufügen. Das Wort "Gewalt" erschien wiederholt in seiner Rede (wie auch schon in der Rede Tillichs). Dennoch schien er ihrem Vollbegriff auszuweichen. Vielleicht ist das nicht der unsympathischste Zug an einem Verteidigungsminister, dem obersten Chef der Armee und des Militärhistorischen Museums: Dass er es für nötig hält, vor dem unbestrittenen letzten Zweck aller Streitkräfte einen Schleier zu belassen. Denn wo der Schleier fällt, da ist auch der Zweck ganz nahe.

Nach alledem war klar, dass dieses Museum nicht die alte Doppelrolle spielen soll, Waffenkammer und Ruhmeshalle zu sein, Tempel der Ehre und Leistungsschau der Technologie. Aber es ist schwer, dem zu entkommen: Die Exponate selbst scheinen in diese Richtung zu weisen. Der Rundgang durch die ungeheure Fülle der Sammlungen, die sich über vier Stockwerke verteilen, beginnt mit einer "Chronologie", welche die Zeit von 1300 bis 1914 umspannt. Hier trifft man, nicht allzu überraschend, auf eine Fülle von Harnischen, Orden, Schlachtengemälden und Ähnlichem.

Was gibt es hier zu lernen?

Was gäbe es hier, im Sinne de Maizières, zu lernen? Dass vor dem 20. Jahrhundert aller Krieg eigentlich nur dessen Vorgeschichte gewesen sei, ehe er, technisch immer perfekter, zu seiner modernen Vollgestalt erwuchs? Dass er gleichwohl eine unabänderliche Konstante jeglicher Geschichte darstellt, wenigstens unserer Geschichte?

Libeskind Bundeswehr Museum Press Day

Verrostet: Ein Hakenkreuz und ein Reichsadler aus der Nazi-Zeit.

(Foto: Getty Images)

Einzeln passieren die Kriege Revue, in die Deutschland seit der Französischen Revolution verwickelt war, besonders die drei, die zur Reichsgründung 1871 führten. Sie galten, belehrt eine Tafel, "rückblickend als eine Abfolge heldenhafter Taten". Darüber, ob sie als solche immer noch gelten dürfen, äußert sich die Tafel nicht. Diese Zurückhaltung berührt erst einmal angenehm. Aber es fehlt hier doch auch etwas, denn an die Stelle von Siegesgebraus tritt ein schalltoter historischer Raum.

Die beiden Weltkriege fasst die Ausstellung in eine einzige Abteilung "1914 - 1945" zusammen. Daran ist historisch vieles richtig. Und doch bewirkt diese Entscheidung, dass das Zeitalter der Weltkriege dem Besucher als eine nahezu verschollene Epoche entgegentritt. Dass ab 1941 mit dem Vernichtungskrieg im Osten eine neue Qualität erreicht war, wird zwar festgehalten. Die Zäsur verwischt trotzdem. Stärker als bei den früheren Epochen hat man den Eindruck, dass ein Museum - jedes Museum - durch seine unausrottbare formale Eigenart, Geschichte in isolierten Objekten abzubinden, verharmlosend wirken muss, und zwar selbst dann, wenn es sich ausdrücklich das Gegenteil zum Ziel setzt.

Der Erste Weltkrieg stellt sich als eine Ansammlung von Landkarten, Schiffsglocken, Propellerschrauben und Ballongondeln dar. Der Zweite, in seine Einzelkampagnen zerlegt, dokumentiert den Blitzkrieg gegen Frankreich durch Fotos, Stiefel, Zeitungen, einen Kompaniewimpel und eine Flasche Champagner. Alles tendiert in dieser Umgebung zum Zinnsoldatenspiel. Ein maßstabsgerechtes Modell bildet das Schützengräbensystem an der Westfront nach - jene Schützengräben, in denen die Soldaten, auch wenn kein Schrapnell sie traf und ihnen Nase und Unterkiefer aus dem Gesicht riss, vom ununterbrochenen Kanonendonner wahnsinnig wurden. Das detailreiche Modell aber führt vor allem die Lust des Bastlers vor. Und solche Modelle, von Schiffen, Burgen, Flugzeugen, gibt es viele.

Die Grenzen der Multimedialität

Militärhistorisches Museum der Bundeswehr

Provozierend: Mode von Vivian Westwood im Militärlook

(Foto: dpa)

Bemerkbar werden hier auch die Grenzen der Multimedialität. Zwar gibt es genug Fotos und kleine Filme, die den Schrecken des Ersten und die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs ungeschminkt zeigen. Aber sogar die grässlichsten unter ihnen kommen gegen die Präsenz der authentischen Objekte nicht an. Die Objekte jedoch, und gerade die stärksten - der Strick, mit dem in Griechenland Geiseln gehängt wurden oder die schwarz verfärbten Schuhe der Ermordeten von Majdanek - verwandeln sich in etwas, das sie nicht sein sollten und doch unausweichlich werden: in Reliquien, in Überbleibsel vergangener Martyrien, deren einstiger Gewaltcharakter ganz in die Andacht aufgehoben ist.

Diese Normal-Musealität wird allerdings immer wieder durchschlagen von einzelnen Gegenständen, die sich dem Blick anbieten wie ein unerwartetes melancholisches Emblem der Geschichte. Anbieten, nicht aufdrängen - der Betrachter muss schon selbst darauf kommen, dass das Elend der Verstümmelung sein abgekürzt angeschautes Bild weniger in den ungezählten Prothesen erhält als vielmehr in der ingeniösen Erfindung des "Gabelmessers" gleich daneben, die einem Einarmigen hilft, beim Essen allein zurechtzukommen, ein Ding von traurigem Nutzwert.

Es gibt auch eine Arche Noah der Tiere im Krieg, vom vier Meter hohen Kampfelefanten allmählich absteigend bis zu den Gänsen, von denen das US-Militär in Deutschland noch bis in die neunziger Jahre seine Munitionsdepots bewachen ließ. Ein Abzeichen trägt die Inschrift "Kriegskamerad". Es wurde Pferden verliehen, die nach dem Einsatz im Ersten Weltkrieg wieder auf ihre Höfe heimkehrten: ein in seiner linkischen Verfehltheit anrührender Versuch zur Sühne.

Aber man muss solche Dinge selber finden, sie gehen unter im Vielzuviel, das nichts auslassen möchte, weder die Militärmusik noch den Genozid in Ruanda. Nach viereinhalb Stunden hat man das Gefühl, sich eigentlich nur einen oberflächlichen Überblick verschafft zu haben, und kann doch keine Stiefel, Granaten, Standarten mehr sehen.

In der Nähe der Desinformation

Libeskind Bundeswehr Museum Press Day

Auch ein im Afghanistan-Einsatz beschädigtes Fahrzeug der Bundeswehr ist ausgestellt.

(Foto: Getty Images)

Entlastend wirkt, was auf 1945 folgte. Hier liegen mit Bundeswehr und Nationaler Volksarmee zwei Streitkräfte vor, die nie zum vorgesehenen kriegerischen Einsatz kamen und schon darum nostalgisches Flair verbreiten. Man sieht einen jungen Verteidigungsminister Helmut Schmidt, der die Frisur der Rekruten zur Disposition stellt und Haarnetze bei Überlängen empfiehlt. Natürlich ist auch ein Original-Haarnetz dabei. Auch der Wehrdienstverweigerer Günter Wallraff wird großmütig bedacht. Die Bundeswehr der frühen Sechziger sei "überfordert" gewesen mit diesem "Querdenker". Querdenker heißt er, nicht Querulant. Legt man einen historischen Durchschnitt der Armeen zugrunde, kommt die Bundeswehr von heute ihren Kritikern bestimmt außerordentlich weit entgegen.

Dabei bleibt es aber doch ganz klar ein Museum der Bundeswehr. Groß wird eine heute fast vergessene Evakuierungs-Aktion 1997 in Albanien herausgestellt, mit einer BamS-Doppelseite über die "Helden von Tirana". Sehr viel kleiner heißt es in einer Beischrift zum Kosovo-Krieg: "Auch soziale und kulturelle Einrichtungen wurden zerstört, darunter Krankenhäuser, Schulen, Kirchen und Klöster." Gerät eine so genuschelte Wahrheit nicht in die Nähe der Desinformation? Bilder, die dankbare afghanischen Kinder gemalt haben sind zu sehen, die deutsche Soldaten zeigen. Und auch hier liefert erst das Kleingedruckte die Komplettierung: "...kommt es immer wieder zu Gefechten mit einem schwer fassbaren Gegner. Dies hat auch Opfer in der Zivilbevölkerung zur Folge." Hier haben wir es wieder, das verschleierte Passiv der Gewalt, an dem das Beste gewiss sein schlechtes Gewissen ist.

Das oberste Stockwerk trägt den Namen "Dresden" und enthält die Spitze von Libeskinds vieldeutiger Pfeil-Architektur. Sie zeigt genau auf das Stadion im Ostragehege, das den Bomberpiloten 1945 als Zielmarkierungspunkt diente. Von hier geht der Blick über die wiedererstandene Stadt in all ihrer Herrlichkeit. Seht her, heißt das, wir feiern nicht mehr Triumphe des Kriegs, sondern eines nunmehr fast siebzigjährigen Friedens! Man registriert es mit leichtem Unbehagen. Ob man aus der Geschichte lernen kann oder nicht war an diesem Tag offen geblieben. Aber eine Lehre lautet bestimmt: Wenn einer sich allzu sehr als ihr Sieger fühlt, kann er Gift drauf nehmen, dass währenddessen schon ein anderer an seinem Thron sägt.

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