Mick Jagger:"Komischerweise werde ich immer älter"

Mick Jagger spricht über die Peinlichkeit zu enger Hosen, weitere Tourneen der Rolling Stones, über London und seine Entscheidung, nicht jung zu sterben.

Alexander Gorkow

Das Soho Hotel in London am Dienstag Abend. Eine Suite im zweiten Stock. Dieser Herr hat so schmale Schultern, dass man denkt, man kann ihn wie einen Speer durch die Gegend werfen. Das Gesicht erscheint nicht wie ein Gesicht - sondern wie die eine große trademark des Gottes namens Pop. Mick Jagger. Kurz fasst man es nicht. Und dann? Dann ist er einfach nur ein aufmerksamer, gut gelaunter Mann aus London. Sehr fester Händedruck!

Mick Jagger: Mick Jagger am vergangenen Donnerstag bei einem VIP-Dinner in London.

Mick Jagger am vergangenen Donnerstag bei einem VIP-Dinner in London.

(Foto: Foto: Getty)

SZ: Sir Mick, ich habe mich in meinen besten Anzug geworfen und dies mit Bedacht.

Mick Jagger: Sie sehen aus wie Memphis Slim. Kennen Sie Memphis Slim?

SZ: Der Bluesmusiker? War er nicht ganz leicht untersetzt?

Jagger: Er war großartig.

SZ: Memphis Slim war Afroamerikaner. Ich bin ein Weißer.

Jagger: Spielt keine Rolle. Er hat auch immer diese grauen Anzüge getragen - vielleicht erinnern Sie mich deshalb an ihn.

SZ: Ich dachte, ein guter Anzug ist die beste Art, Rache zu üben.

Jagger: Was habe ich verbrochen?

SZ: Jeder, der sich anzog wie Sie, machte sich zum Affen. Wenn man zum Beispiel nach einem Stones-Konzert 1982 mit einer gestreiften Hose in die Schule ging . . .

Jagger: Gut, ja, Sie haben eine einfache Regel nicht befolgt.

SZ: Welche?

Jagger: Dass es entscheidend ist, wann und wo man etwas trägt. Eine gestreifte Hose auf einer Bühne am Abend ist ein Utensil. Eine gestreifte Hose in der Schule am Morgen ist peinlich. Das tut mir leid für Sie. Wir haben hier bei uns in England Schuluniformen aus diesem Grund. Um die Jungen und Mädchen vor derartig dummen Peinlichkeiten zu bewahren.

SZ: Reden wir mal über Ihre unbestreitbare Klasse: Wieso schaden Ihnen Peinlichkeiten nicht?

Jagger: Hm . . .

SZ: Ich meine, Sie sind ohne Zweifel der berühmteste Popstar der Welt . . .

Jagger: . . . das ist ein übler Journalistentrick: erst kommt das Kompliment . . .

SZ: . . . das ist ja nicht nur ein Kompliment, sondern eine Tatsache: Sie sind nun mal stilbildend. Aber ich habe mir jetzt diese Bonus-DVD auf Ihrer neuen Best-Of-CD angesehen. Bitte verzeihen Sie: Sie haben da in einigen Videos Sachen an, dass man ja sofort blind werden möchte!

Jagger: Okay, also: Sie haben Recht. Ich sah diese Videos jetzt wieder. Bei "Let's Work" dachte ich: Ich sehe aus wie ein Irrer, verheerendste 80er-Jahre. "Dancing In The Street" mit Bowie, die flatternden Seidenhemden, wir hatten nur ein paar Stunden für das Video damals, aber so oder so: schlimm. Dann "Don't Look Back" mit Peter Tosh, 1978 in der Sendung "Saturday Night Life": Ich trage eine Hose mit silbernen Klebestreifen! Sie deuten an, einige dieser Videos seien peinlich. Sagen wir es, wie es ist: Sie sind vielleicht sogar alle peinlich.

SZ: Muss man sich im Popgeschäft gelegentlich einfach deshalb blamieren, weil es nunmal das Popgeschäft ist?

Jagger: Eine philosophische Frage. Also, ich muss darüber nachdenken. Ich denke nach, ich denke nach, ich denke nach . . .

SZ: Sie nehmen es jedenfalls mit Humor.

Jagger: Nun, Sie tragen keine Hosen mit Klebestreifen. Sie tragen einen smarten Anzug. Ich inzwischen auch, wie Sie sehen. Aber diese Videos sind nicht nur peinlich - sie sind ja auch wunderbar. Sie sind ein Dokument. Sie dokumentieren den state of the art - ihrer Zeit. Ich finde es sehr in Ordnung, das nochmal abzubilden. Ich meine, wen interessiert's, dass das peinlich ist nach 30 oder 20 Jahren?! Es sind gute Songs. Ich mag auch den Gedanken dahinter, dass David und ich für die Coverversion von "Dancing In The Street" nur ein paar Stunden Zeit hatten, Song und Video, das haben wir 'runtergehauen, weil es halt zu "Live Aid" schnell fertig werden musste, alles nicht perfekt, aber ich liebe beides, den Song und das Video. Beides hat eine sehr rohe, spontane Qualität. Sie sehen, ich nehme vieles mit Humor, vor allem meine Sünden. Was bleibt mir übrig.

SZ: Wenn Sie heutzutage das Drogen- und Sextheater um Leute wie Peter Doherty oder Amy Winehouse mitkriegen - was löst das aus? Vatergefühle? Langeweile?

Jagger: Hm, schwer zu sagen. Am ehesten Langeweile? . . . Aber Amy, sie ist eine wunderbare Künstlerin. Schreibt phantastische Songs, hat Klasse. Was löst es bei mir aus, sie auf Drogen in irgendwelchen tabloids zu sehen? Am ehesten, dass ich hoffe, sie bekommt die Kurve. Es wäre schade.

SZ: Auch Pete Doherty spielt unbeirrt den Alltag der frühen Stones nach, oder?

Jagger: Die Leute lieben Wiederholungen, Fortsetzungen, solche Sachen. Das Kino liebt sowas. Und die Presse natürlich auch. Doherty bedient, was man von ihm sehen will, eine Art Teufelskreis . . .

SZ: . . . in der Art, dass man aus dem Image nicht mehr 'rauskommt?

Jagger: Ja, er leidet an den tabloids, weil sie nur über Dreck berichten, nicht über seine Kunst. Das Schlimmste aber wäre nun, dass sie gar nicht mehr über ihn berichten. Also gibt er sich ständig zu erkennen.

SZ: Und die Kunst?

Jagger: Ich wüsste nicht, wie ich den Künstler Pete Doherty bewerten soll. Ich habe nicht ein Lied von ihm im Ohr . . . Bei Amy Winehouse ist das anders.

SZ: Das alles muss Sie an ganz, ganz alte Zeiten erinnern.

Jagger: Neulich haben mich hier in Soho einige Fotografen über den Haufen gerannt. Ich sagte zu einem Freund: Was ist denn mit denen los? Er: Da hinten geht Pete Doherty. Ich: Was macht er denn Irres? Mein Kumpel: Er geht in ein Hotel. Ich: Was ist daran so aufregend? Er: Mick, ich habe absolut keine Ahnung, aber sie finden es ziemlich aufregend, und Pete Doherty findet es ziemlich aufregend, dass sie es ziemlich aufregend finden.

SZ: Haben die Fotografen Sie nicht erkannt??

"Komischerweise werde ich immer älter"

Jagger: Ich habe meine dezente Methoden der Verschleierung, damit man mich nicht erkennt. Da ich ein relativ einmaliges Gesicht habe, könnte ich sonst auch gar nicht auf die Straße gehen.

Mick Jagger: "Was? Ich würde diese Frage, falls Sie sie stellen würden, niemals beantworten."

"Was? Ich würde diese Frage, falls Sie sie stellen würden, niemals beantworten."

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Ihre Stilikonen?

Jagger: Hm . . .

SZ: Andy Warhol?

Jagger: Andy? Nein!

SZ: Offenbar unpassend.

Jagger: Nein, nein, schon in Ordnung - aber er ist keine Stilikone für mich. Nie gewesen.

SZ: Sondern?

Jagger: Weiß nicht. Andy war halt eine Zeitlang da. Aber er war keine Ikone. Nicht für mich. Aber hier: Cary Grant hatte Klasse. David Niven. Fred Astaire. Coco Chanel für die Frauen. Ich habe diese Leute in meiner Jugend sehr verehrt. Später dann natürlich auch die klassischen Antihelden: John Cassavetes. Oder Marlon Brando in "On The Waterfront".

SZ: Leni Riefenstahl.

Jagger: Wie bitte?

SZ: Es gibt Fotos, wo man Leni Riefenstahl sieht, wie sie Sie und Bianca fotografiert.

Jagger: Sieh mal einer an. Nun, lange her. Sie wurde gelegentlich eingeflogen von diesem oder jenem, nicht? Aber von mir? Nicht, dass ich mich erinnere.

SZ: Man denkt jedenfalls nicht, dass einer wie Sie den distinguierten Stil von David Niven oder Cary Grant verehrte. Jedenfalls kann man Ihnen schwerlich vorwerfen, dass Sie diesen Stil kopiert hätten.

Jagger: Man sollte nie einen Stil kopieren, mein Lieber. Sondern einen schaffen. Sie haben ja gesehen, was passiert, wenn man einen Stil kopiert. Damals. 1982. Als Sie mit Ihrer gestreiften Hose in die Schule gegangen sind. Hahaha!

SZ: Der Stil, den Sie geschaffen haben . . .

Jagger: . . . verzeihen Sie, eine Ikone habe ich vergessen: Memphis Slim. Auch den habe ich sehr verehrt, auch optisch. Sie sind auf dem richtigen Weg, Sie sind auf dem Memphis-Slim-Way-Of-Life!

SZ: Der Stil, den Sie geschaffen haben, war aber ein anderer: Sie sahen mitunter aus wie ein Transvestit. Warum?

Jagger: Nun, um zu schockieren natürlich.

SZ: Nur? Also ausschließlich deshalb?

Jagger: Was glauben Sie denn?

SZ: Weiß nicht. Heute würde man sagen: Um sich in seiner Gänze auszudrücken, seine inneren Widersprüche zuzulassen, Blockaden zu lösen . . . solche Sachen.

Jagger: Unsinn. Vergessen Sie diesen Unsinn! Das ist Psychoratgeberzeugs aus den Zeitschriften.

SZ: Sie lachen.

Jagger: Na klar, ich meine: Ich hatte keine inneren Widersprüche! Zumindest keine nennenswerten. Ich hatte Spaß. Und ich wollte berühmt sein. Reich. Begehrt.

SZ: Waren Sie dann auch, und zwar begehrt nicht nur von Frauen. Die Leute dachten: Jagger muss wohl bisexuell sein.

Jagger: Das sollten sie ruhig. Hören Sie, wir waren talentierte, hart arbeitende Musiker. Aber wir wollten auch berühmte und reiche Musiker sein. Gut können Sie auch als Hotelpianist sein. Aber berühmt nur, wenn Sie sich noch einen Dreh einfallen lassen. Zu schockieren zum Beispiel.

SZ: Das klingt nach Betriebswirtschaft.

Jagger: Das klingt nicht nur so. Wobei man sagen muss, dass es für einen jungen, fröhlichen Mann keine Tortur ist, sondern eine Freude, sich so zu benehmen wie wir uns nunmal benommen haben.

SZ: Finden Sie das manchmal vielleicht - in der Rückschau - peinlich. Diese Frauenfummel auf der Bühne . . .

Jagger: Aber keine einzige Sekunde davon finde ich peinlich. Würde ich es peinlich finden, wenn wir nach zwei Hits wieder weg gewesen wären? Allerdings. Aber meine songlist kann sich sehen lassen. Die Leute machen sich das oft etwas einfach, verstehen Sie?

SZ: Inwiefern?

Jagger: Mit schlechten Songs können Sie keine Karriere machen, okay? Zumindest keine dauerhafte, egal, ob Sie als Mann auf der Bühne Lippenstift tragen oder nicht. Ich denke, dass die Leute - vor allem hier in England - den Begriff Talent nicht richtig einschätzen. Es heißt immer, zum Talent müsse noch die Arbeit kommen. Wenn Sie mich fragen: Wenn man sehr talentiert ist, dann beinhaltet dieses Talent schon die Erkenntnis, dass jede Begabung ohne massive Selbstzweifel und sehr harte Arbeit nichts wert ist.

SZ: Endlich, da spricht nun das Ehrenmitglied der London School Of Economics, der Betriebswirtschaftler Mick Jagger!

Jagger: Wer auch immer da spricht: Jeder, der sagt, die Stones waren nur ein Haufen Wilder in zu engen Hosen, übersieht was. Es reicht ja auch nicht, einfach nur einen guten Anzug zu tragen - das war nur die eine Seite von Memphis Slim, die andere war: er war sehr, sehr, sehr gut!

SZ: Gut, die Stones haben absolut brillante Songs geschrieben und phantastische Konzerte gegeben . . .

Jagger: Und zwar über einen sehr langen Zeitraum. Und wenn das oft lapidar aussah, so steckte halt sehr harte Arbeit dahinter. Schauen Sie mal, wie ich mich aufrege!

SZ: Ja, wieso eigentlich?

Jagger: Weil es die Leute oft nicht kapieren. Wissen Sie, wieso England so lange schon nicht mehr Weltmeister war? . . . Also, Frank Lampard oder wer auch immer schießt aus dem Zentralmittelfeld - sagen wir: aus 50 Metern - ein Tor. Okay?

SZ: Okay.

Jagger: So. Was ist nun los? Eine Nation ist besoffen. Alle rasten aus. Überall Fahnen. Und dann? Zack! England ist ausgeschieden! Warum? Weil wir dachten, wer ein so sagenhaftes Tor schießt, ist schon durch. Aber das ist er nicht. Er bekommt - während er noch feiert! - zwei Dinger 'rein. Es ist harte Arbeit für Lampard gewesen, so einen Schuss hinzukriegen. Aber es wäre nun eben auch harte Arbeit gewesen, gottverdammte harte Arbeit, ein ganzes Turnier durchzustehen.

SZ: Ihr Turnier dauert bald 50 Jahre.

Jagger: So ist es. Und es ist immer wieder harte Arbeit bis es soweit ist, dass es leicht klingt, leicht aussieht, leicht wirkt.

SZ: Okay. 64 Jahre alt zu sein - Strafe oder Geschenk?

Jagger: Oh, Mann!

SZ: Sie wenden sich ab.

Jagger: Naja, herzlichen Glückwunsch.

SZ: Das will man halt wissen.

Jagger: Also, die Frage stellt sich doch gar nicht, ich habe mir diese Frage überhaupt noch nie gestellt, ob das eine Strafe oder ein Geschenk ist, 64 Jahre alt zu sein.

SZ: Sie sind nicht so der Melancholiker, oder?

Jagger: Nein.

SZ: Gut.

Jagger: Ich meine, die Antwort ist doch klar: Entweder du stirbst jung. Ich habe mich entschieden, nicht jung zu sterben. Also werde ich komischerweise immer älter. That's all . . .

SZ: Mann, ich kenne 30-Jährige, die sind melancholischer als Sie. Sie finden das Thema ja sogar regelrecht lustig . . .

Jagger: Ja, weil . . . schauen Sie: Ich rege mich nicht darüber auf, dass es morgens hell wird und abends dunkel. Wieso sollte ich mich also aufregen, dass ich Morgen für Morgen in meinem Bett erwache. Im Zweifel sollte ich eine gewisse Demut üben und dankbar dafür sein. Eine gewisse Restintelligenz hatte mich immer fest im Griff, und die sagte mir an gewissen Momenten meines Lebens: Lass es nun hiermit oder damit gut sein.

SZ: Einige Freunde sind jung gestorben.

Jagger: Das ist bekannt, ja.

SZ: Haben Sie Glück gehabt?

Jagger: Nicht nur. Ich sagte schon: Es hing auch mit etwas Intelligenz zusammen. Außerdem habe ich gute Gene, ich bin gesund. Trotzdem habe ich neulich 'was absolut Sonderbares gehört!

SZ: Was?

Jagger: Dass wir alle eines Tages möglicherweise sterben werden! Es stand in der Zeitung.

SZ: Wundern Sie sich manchmal, dass Keith Richards noch lebt?

"Komischerweise werde ich immer älter"

Jagger: Man könnte sich manchmal wundern. Die Leute tun das. Ich nicht. Keith ist zäh. So war er immer schon.

SZ: Okay, das ist hier ist ganz lustig: 1976 schrieben die trotteligen Popkritiker zum ersten Mal, die Stones seien zu alt, sie sollten sich auflösen und sowas. Das vermutlich beste Konzert, das ich je gesehen habe, war das Club-Konzert der Stones im Circus Krone in München - und das war 2003.

Jagger: Das war ein toller Abend in München, ich erinnere mich an dieses Konzert sehr genau, da war wirklich etwas in der Luft - es war übrigens brüllend heiß, oder?

SZ: Es war brüllend heiß! Jedenfalls dachte ich danach: Sollen sie halt weitermachen bis sie 80 sind oder so. Ich meine, John Lee Hooker, Oscar Peterson, alles keine Frage des Alters, oder?

Jagger: Ja, einerseits. Andererseits muss man natürlich aufpassen.

SZ: Auch eine Frage der Klasse, oder?

Jagger: Ja. Sich aufzugeben, nur weil man über 60 ist, ich meine, wieso? Andererseits sollte man nicht wie ein 20-Jähriger, na, ich weiß nicht . . .

SZ: . . . sich, sagen wir, an die Eier fassen.

Jagger: Exakt! Das wäre falsch, das ist ab einem gewissen Alter peinlich. Also geht es eher - und noch mehr - um die Musik als um das ganze Rock n' Roll-Theater, Sie verstehen, vielleicht geht es also um eine etwas distinguiertere Darstellung.

SZ: Zeit für Las Vegas.

Jagger: Nein, nein, niemals. Also: Nein!

SZ: Sie könnten da so als elder statesman des Rock 'n Roll . . .

Jagger: Nein! Hören Sie auf! Sonst komme ich noch auf dumme Gedanken: Man verdient in Vegas nämlich sagenhaft viel Geld! Mit verhältnismäßig bequemer Arbeit! Nicht der Künstler kommt zu den Leuten, die Leute kommen zum Künstler - das ist bequem. Grrrr, verführerisch!

SZ: Wird es eine neue, weitere Tournee der Stones geben?

Jagger: Keine Ahnung. Ich nehme mal an.

SZ: Langweilige Frage?

Jagger: Nein, nein . . .

SZ: Doch, oder?

Jagger: Nein, nur mehr so wie: Werden Sie bald mal wieder, ich weiß nicht, eine Bar besuchen oder: indisch essen gehen? Was würden Sie antworten?

SZ: Dass ich es annehme.

Jagger: Sehen Sie. Ich kann diese Fragen immer schlecht beantworten. Weil ich nicht weiß, was morgen ist. Journalisten sind auch immer mächtig wütend, wenn's anders kommt. Wie oft habe ich gesagt: Es gibt nie mehr eine Stones-Tour! Einen Monat später haben wir eine neue Tour bekanntgegeben. Und zwar nur, weil wir plötzlich Lust dazu hatten - und natürlich weil wir die dummen Gesichter der Journalisten sehen wollten.

SZ: Ein Kumpel von mir, der überhaupt keine Klasse hat, hat mir eine Frage mitgegeben, die absolut nicht langweilig ist. Wollen Sie sie hören?

Jagger: Na los.

SZ: Ich selbst würde sie niemals stellen.

Jagger: Okay.

SZ: Die Frage wäre also gewesen: War es in erotischer Hinsicht damals aufregender mit Helmut Berger oder mit Uschi Obermeier?

Jagger: Was? Ich würde diese Frage, falls Sie sie stellen würden, niemals beantworten. Das ist absolut unglaublich.

SZ: Finde ich auch.

Jagger: Also, ich meine, ich kannte Helmut Berger gut, aber nein, wir hatten kein erotisches Verhältnis! Hehehe . . .

SZ: Lustig, oder?

Jagger: Nicht übel, nicht übel.

SZ: Wenn wir über Klasse sprechen, wer in England hat heute noch welche?

Jagger: Keine Ahnung. Ich? . . . Ich!

SZ: Außer Ihnen.

Jagger: Keine Ahnung.

SZ: Gordon Brown?

Jagger: Gordon Brown! Ja, sehr gut. Nun, ich würde ihn nicht als Stilikone bezeichnen. Andererseits wird er offenbar gerade eine, eben weil er so non-glamourous ist. Er sollte schnell Wahlen anmelden. Sonst merken die Leute, dass er viele Jahre bei Blair im Kabinett war.

SZ: Sagen Sie, die Zeit drängt, können wir am Ende kurz über London sprechen?

Jagger: Gerne.

SZ: Finden Sie, diese Stadt hat noch die Klasse, die sie mal hatte?

Jagger: Natürlich! Was glauben Sie denn?

SZ: Sie ist kalt geworden. Und es geht nur noch und ausschließlich um Geld.

Jagger: Oh no, nicht diese Platte bitte! Lassen Sie die Sentimentalitäten! Das ist nicht cool. In London ging es immer um Geld, und es gab immer in dieser Stadt diese Dynamik, diesen Irrsinn ums Geld . . .

SZ: . . . Sie haben gut reden.

Jagger: Na, meinetwegen, aber das ist doch nicht der Punkt. Das ganze Chaos, der Kampf ums Überleben, das alles machte immer schon die Klasse Londons aus. Dass Sie hier nie wissen, was der nächste Tag bringt. Auch diese immanente Brutalität ist das Geheimnis dieser Stadt, verstehen Sie? Immer gewesen! Fallen Sie nicht auf diesen 60er-Jahre-Kitsch herein. Wenn Sie in London ein neues Lieblingsrestaurant gefunden haben, so werden Sie sich schon eine Woche später wundern.

SZ: Weil es nicht mehr da ist.

Jagger: Genau. Der Londoner hat immer alles ertragen, mit allem gerechnet, war meistens pleite - und hat sich seine gottverdammte Coolness nicht mal von ein paar durchgedrehten Terroristen nehmen lassen. Nein, nein, wenn man es weniger dynamisch, eher statisch mag, muss man halt nach, sagen wir . . .

SZ: . . . Paris . . .

Jagger: . . . ziehen. Da können Sie sicher sein, dass die Brasserie an der Ecke noch ein paar Jahrezehnte erhalten bleibt. In London ist einen Monat nach der Eröffnung der Koch arbeitslos, und da, wo das Restaurant war, ist eine chinesische Reinigung.

SZ: Danke, Sir, dann machen wir mal Schluss jetzt.

Jagger: Ich danke Ihnen. Machen Sie's gut!

Michael Phillip Jagger hatte im Sommer 1962 mit den Rolling Stones seinen ersten Auftritt - im Londoner Marquee Club. Seit 45 Jahren nimmt die Band Platten auf und tourt. 2003 wurde Jagger vom Königshaus zum Sir geadelt. Auf ihrer letzten Tour im Jahre 2006 machten die Stones einen Reingewinn von 217 Millionen Dollar, mehr als jede andere Band je zuvor. Abseits seines zeitweise skandalösen Privatlebens gilt Jagger als hoch disziplinierter Arbeiter und fürsorglicher Vater relativ vieler Kinder, die alle gefüttert werden wollen - falls sie nicht, wie seine schöne Tochter Jade Jagger, schon selbst gut verdienen. Bei Warner erscheint jetzt die CD "The Very Best Of - Mick Jagger", die einige Höhepunkte seiner Solokarriere von 1970 bis 2004 versammelt, darunter drei bisher unveröffentlichte Lieder und der 1973 von John Lennon produzierte Song "Too Many Cooks (Spoil The Soup)".

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