Michel Friedman:"Wieder da!"

Ohne Sünder kein Spaß - das Fernsehcomeback des Ex-Fernsehmoderators bei "Christiansen". Wie lange muss einer büßen, der im Fernsehen eine Größe war und sich schuldig gemacht hat?

Von Hans Leyendecker

(SZ vom 4.11.2003) - Vor siebeneinhalb Jahren teilte Michel Friedman im FAZ-Fragebogen sein Lebensmotto mit: "Solange du lebst, lebe!!! Nie schweigen!!!" Am Sonntagabend schrieb der inzwischen 47-Jährige ins Gästebuch bei Sabine Christiansen: "Nie schweigen!!! Auch wenn es schmerzt."

Alles wie gehabt? Wer schmerzt wen?

Der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden, ehemalige Präsident des European Jewish Congress, ehemalige Fernsehmoderator, der im Juli 2003 nach einer Kokain- und Prostituierten-Affäre von allen Ämtern zurückgetreten war, sah bei seinem Fernsehcomeback fast wie der alte Friedman aus. Der blaue Anzug mit den feinen Streifen war klug gewählt.

Das Einstecktuch passte perfekt. Die Haare sahen ein wenig verändert aus. Kein Gel, kein Lack. Naturwelle, geföhnt.

Rhetorisch war Friedman wie immer voll auf der Höhe. Das ist seine große Stärke. Er betont besser als andere, er spricht seine Sätze zu Ende. Da können ihm nur ganz wenige das Wasser reichen, auch Guido Westerwelle nicht, der neben ihm saß und seit Schülertagen zu allem etwas zu sagen hat.

Für das Christiansen-Thema "Politik in der Krise" war Westerwelle eine hervorragende Besetzung. Auch die übrigen Diskutanten - Oskar Lafontaine (Anti-Kanzler-SPD), Olaf Scholz (SPD), Ole von Beust (CDU) und Arnulf Baring (Geistes-Catcher) - bewiesen, dass kein Gegenstand so groß und tragisch genug ist, dass er von einer solchen Runde nicht zu Brei, zur politischen Kost für Zahnlose, zerplauscht werden könnte.

Es wird drauflos schwadroniert

"Es sind notwendige, strukturelle Reformen auf den Weg zu bringen", "es geht um einen notwendigen Systemwechsel in vielen Bereichen", "es muss eine Entwicklung zur Vernunft über Parteigrenzen geben". Vieles verdunstete, bevor es ans Ohr drang. Bei solchen Anlässen wird nicht geredet, sondern drauflos schwadroniert.

Warum dennoch sechs Millionen Menschen eingeschaltet haben - eine Million mehr als gewöhnlich bei Christiansen - hing mit der Erscheinung des Wiedergängers Friedman zusammen. Wie würde er auftreten? Zerknirscht, reuig, überheblich? Warum schon jetzt? Wie lange muss einer büßen, der im Fernsehen eine Größe war und sich schuldig gemacht hat?

Am 8. Juli 2003 hatte Friedman öffentlich erklärt, er habe einen Strafbefehl wegen Kokainbesitzes akzeptiert, und "klipp und klar, ohne Wenn und Aber" sage er: "Ja, ich habe einen Fehler gemacht". Er entschuldigte sich "von ganzem Herzen für alles, was ich gemacht habe" und bat dann zum Schluss "um eine zweite Chance".

Ohne Sünder kein Spaß, vor allem nicht im Himmel, aber wann bekommt ein gewöhnlicher Reuiger seine zweite Chance?

"Sind Sie wieder glaubwürdig?"

Das Konzil von Trient hat für solche Fälle geregelt, dass der "Schmerz der Seele und die Abscheu über die begangenen Sünden" die Grundlage für die Umkehr seien. Martin Luther hat in seinen 95 Thesen von 1517 das Leben der Gläubigen auf die Buße gegründet. Der höchste der Feiertage der Juden ist der Yom-Kippur-Tag, der auch Schabbath der Schabbathe genannt wird. Er steht im Oktober am Ende einer vierzigtägigen Zeit der Reue und Buße.

Nach all diesen Regeln könnte es jetzt schon für Friedman reichen - nach den Gesetzen des politischen Betriebs ohnehin. Helmut Kohl erteilte sich selbst sofort Dispens. Da mag Friedman den Zeigefinger gleich wieder oben haben, aber er spielt wenigstens den Sünder.

"Sind Sie wieder glaubwürdig?" fragte Frau Christiansen den eigentlichen Hauptdarsteller der Sendung, und Friedman, dessen Antlitz seltsame Milde, Freundlichkeit, Sanftmut umspielten, setzte an: "Ich glaube schon. Ich habe alle meine Ämter zur Verfügung gestellt, ohne Wenn und Aber eine Strafe der Gesellschaft angenommen und ohne Wenn und Aber gesagt, dass ich nach wie vor an das glaube, wofür ich stehe."

Friedman ist mit sich, so scheint es, fast wieder im Reinen. Er hat sich entschuldigt, er teilt uns mit, dass er wieder länger schläft, er will zurück. "Friedman glaubt sich wieder" schrieb am Montag, sprachlich unbeholfen, aber irgendwie treffend, focus.de.

Die Christiansen-Zuschauer reagierten auf ihn wie früher. Ressentiments und Zustimmung wurden von Telefonanrufern abgeladen. CDU-Vereinigungen räsonierten, dass die Schamfrist nicht reiche und kritisierten - wie die "hessische CDU-Lehrervereinigung", die im besten Einvernehmen mit Roland Koch lebt - dass Friedman von der ARD rehabilitiert werde. Ein Missverständnis. ARD-intern wird die Sendung nicht in der Sparte Politik, sondern als Unterhaltung geführt.

Der Publizist Friedman ist wieder da

Achthundert Gäste waren schon bei Christiansen. Friedman steht als einziger zweimal in der Internet-Gästeliste: Als "Friedman, Michel, Publizist" und als "Friedmann, Michel, stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden". Der Schreibfehler, der zur Doppelung führte, gibt die Lage nicht schlecht wieder. Der Publizist Friedman ist wieder da. Er kommentiert im Rundfunk, schreibt in Max, ist Herausgeber des politischen Sachbuchprogramms beim Aufbau-Verlag, schnürt durch Talkshows.

Der andere "Friedmann", der mit den öffentlichen Ämtern, fehlt noch. Ob der Mann wieder eine Talk-Show bekommen wird, ist unklar. Anspruch darauf hat er nicht, und bei all seinem Ehrgeiz sollte ihm der letzte Gästebucheintrag seines Intimfeindes Jürgen W. Möllemann bei Christiansen Warnung sein: "Wieder da!" hatte der geschrieben - um ein paar Tage später schrecklich abzustürzen.

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