Michael Sommer: "Dark Rome":Gangster, Giftmorde, Geheimkulte

Michael Sommer: "Dark Rome": Panoramablick auf Abgründe: Blick auf den Petersdom durch das berühmte "Heilige Schlüsselloch" Roms auf dem Aventin.

Panoramablick auf Abgründe: Blick auf den Petersdom durch das berühmte "Heilige Schlüsselloch" Roms auf dem Aventin.

(Foto: Alamy Stock Photos / Zoonar/Luis Pina/mauritius images)

Der Althistoriker Michael Sommer erzählt von Skandalen, Spionen, Verrätern, Mördern und Mysterien im antiken Rom.

Von Harald Eggebrecht

Dass die Antike weder in Griechenland noch im alten Rom nur in stiller Größe und edler Einfalt erstrahlte, dürfte hinlänglich bekannt sein. Dass all die Philosophen und Schriftsteller, deren Werke bis heute in Schulen gelesen und an Universitäten gelehrt werden, all die Erbauer imponierender Bauwerke, Bildhauer glänzender Statuen und Konstrukteure großartiger Straßen und Wasserleitungen die mächtige dunkle Seite und Welt der antiken Gesellschaften und ihres Alltags verdecken können, war immer zu ahnen, wenn man's nicht sowieso gewusst hat.

Der Oldenburger Althistoriker Michael Sommer erzählt nun in seinem Buch temperamentvoll und anschaulich von "Dark Rome", also von der Unter- und Schattenwelt der römischen Metropole mit Gangstern und Prostitution, berichtet von Giftmorden und Verschwörungen. Wie sich Kaiser und Kaiserinnen selbst prostituierten oder missliebige Personen aus dem Weg räumen ließen und auch sonst wenig sympathisch erscheinen, wie sich der Senat als permanentes Intrigenstadl entpuppt, oder gern Gifte gemischt und Drogen vertickt werden, es fehlt nahezu nichts an Abgründigem, Perversem oder abwegig Fürchterlichem. Jedenfalls erweckt die Lektüre nicht nur den Eindruck, dass alles an Gräulichem und Mörderischem schon mal da gewesen ist, sondern dass dieses alte Rom bei allen Unterschieden dennoch jederzeit mühelos neben heutigen Großstädten, ihren Sümpfen und Untiefen, ihren Glanz- und Dunkelzonen bestehen könnte.

Was kaum in Schulbüchern steht, davon berichtet Sommer, vergnügt und neugierig

Die Reihe von Sommers Gewährsleuten reicht, um nur die berühmtesten zu nennen, von den Erotomanen Ovid und Catull bis zu den Hofschreibern Vergil oder keineswegs unparteiischen Geschichtsschreibern wie Livius und Tacitus. Was kaum in Schulbüchern steht, davon berichtet Sommer, vergnügt und neugierig. Er versteht es dabei, die alten Quellen geschickt als Informationsmaterial für krude Sensationen zu nutzen, ohne ihnen zu verfallen oder sie zu verklären, wie es die Schulmeister an humanistischen Gymnasien so häufig getan haben und womöglich immer noch tun. Doch Sommer entgeht auch der Gefahr einer neuerlichen Mystifikation, indem er nun gewissermaßen eine schwarze Messe nach der anderen zelebrieren würde.

Michael Sommer: "Dark Rome": Gelehrter Sensationsreporter in den Abgründen Roms: Michael Sommer, geboren 1970, ist seit 2012 Professor für Alte Geschichte an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg.

Gelehrter Sensationsreporter in den Abgründen Roms: Michael Sommer, geboren 1970, ist seit 2012 Professor für Alte Geschichte an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg.

(Foto: Daniel Schmidt/Universität Oldenburg)

Denn natürlich gibt es zuerst die Haupt- und Staatsaktionen der römischen Geschichte, die den Hauptstrom ausmachen. Doch das Licht einmal in die dunklen Seitenstraßen und -kanäle zu richten, lohnt deshalb, weil es eben nicht altertümlich Fremdes, sondern das Gegenwärtige, ja, Moderne des Skandalösen und des Skandalisierens im antiken Rom zeigt. Aus diesem Bewusstsein heraus schreibt Sommer geradezu wie ein Sensationsreporter über die römischen Abgründe und Untaten.

Neben den Giftmischern, Verschwörern und bestellten Mördern, den Falschmünzern und anderen Schurken jeder Art, wendet er sich im letzten Kapitel seiner altrömischen chronique scandaleuse den unterschiedlichen Kulten und Mysterien zu, von denen das Christentum am bekanntesten wurde und sogar zur Staatsreligion aufstieg und die uralten Götterwelten und Geheimkulte verdrängte und ablöste. Sommer räumt allerdings mit vielen Vorstellungen auf, die seit "Quo vadis?" und anderen Erzählungen und Filmen wohl immer noch in den Köpfen nisten.

Nebenher wird mit vielen Klischees aufgeräumt

So dienten die Katakomben etwa an der Via Appia und anderen Straßen keineswegs als Verstecke für heimliche Gottesdienste, sondern als Begräbnisstätten. Christen konnten sich im Römischen Reich versammeln ohne Ansehen von Geschlecht, Klasse oder Herkunft, Sommer spricht daher von der "Niederschwelligkeit" der christlichen Botschaft. Systematische Christenverfolgungen gab es erst 249 n. Chr. unter Kaiser Decius, 257 n. Chr. unter Valerian und besonders grausam unter Diokletian. Nero jedoch, gewiss kein Waisenknabe bei Willkür, bestellten Morden und anderen Schandtaten, ist nur in Henryk Sienkiewicz' "Quo vadis?" ein erbarmungsloser Christenverfolger.

Michael Sommer: "Dark Rome": Michael Sommer: Dark Rome - Das geheime Leben der Römer. C.H. Beck, München 2022. 288 Seiten, 23 Euro.

Michael Sommer: Dark Rome - Das geheime Leben der Römer. C.H. Beck, München 2022. 288 Seiten, 23 Euro.

Auch Anhänger anderer Mysterien wie Isis- oder Mithraskulte hatten für ihre Riten keine Auflagen. Manche von ihnen pflegten aber eine gewisse Exklusivität ähnlich wie in späteren Jahrhunderten geheime Gesellschaften wie die Illuminaten oder die Freimaurer. Dergleichen führte auch in Rom schnell zu Verdächtigungen und Argwohn. Was mochte hinter den Mauern solcher Geheimklubs los sein? Tatsächlich gab es Einzelfälle von problematischen Orgien, sexuellem Betrug und Ähnlichem, weswegen beispielsweise Kaiser Tiberius den Isistempel dem Erdboden gleichmachen ließ, die Priester ans Kreuz schlagen ließ und den Kult verbot. Mit dem bis heute nicht zweifelsfrei aufgeklärten Mord am Wiederbeschwörer der Antike, Johann Joachim Winkelmann, endet Sommer sein schwungvoll geschriebenes Buch, in dem das ewige Rom so verrucht, verführerisch und gefährlich schillert wie nur die großen Metropolen unserer Zeit.

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