Michael Kumpfmüller "Mischa und der Meister":Schneise der Liebe

Lesezeit: 3 min

Ist er das? Ein Jesus beim Karneval in Rio de Janeiro. (Foto: Buda Mendes/Getty Images)

In Michael Kumpfmüllers neuem Roman wünscht sich jemand Jesus zurück auf die Erde. Und schon ist er wieder da, im Berlin von heute. Kann er dort etwas ausrichten?

Von Christiane Lutz

Angenommen, Jesus käme heute in Berlin vorbei - was durchaus eine Möglichkeit darstellt, schließlich ist er laut Bibel ja auferstanden - was würde er wohl als Erstes tun? Die Kirchen niederreißen? Kriege beenden? Armut lindern? Wenn man Michael Kumpfmüller glaubt: nichts davon. Jesus, oder Jeschua, wie er heißt, ist ein eher schlichter Typ, der mehr rumhängt und Borschtsch isst denn Interesse an irgendwie gearteter Aufregung hat.

Kurz mal die Luft aus dem Jesus-Mythos lassen. Das tut Michael Kumpfmüller in seinem Roman "Mischa und der Meister" genüsslich, aber komplett nebenbei. Denn auch wenn es so im Titel und im Klappentext verkauft wird, in dem Roman geht es gar nicht wirklich um Jesus. Stattdessen geht es um alles Mögliche, und zwar gleichzeitig: das Magische, das Unerklärliche, um Liebe, Gut und Böse, um Berlin, den Teufel.

Und es geht sehr viel um russische Literatur, die Anspielung auf Bulgakows "Meister und Margarita" steckt ja schon im Titel. Michael Kumpfmüller krempelt die Ärmel hoch und zündet ein regelrechtes Zitate-Feuerwerk: ein Augenzwinkern Richtung Dostojewski hier, ein Borschtsch da, getanzt wird zu Musik von Schostakowitsch, der biblische Messias kommt dann eben auch vorbei. Man kommt kaum hinterher, die Bezüge zu entschlüsseln, was sich aber auch als nicht zwingend notwendig herausstellt.

In Berlin bricht dank seiner schieren Präsenz eine Liebesepidemie aus

Die Hauptfigur Mischa ist ein russischstämmiger Student in Berlin, der Autor werden will und für ebenjene russische Literatur schwärmt. So auch die artige Anastasia, in die er sich verliebt (und nicht in die mysteriöse Luna, mit der er ein paar Nächte verbringt). Anastasia äußert dann auch eher scherzhaft den Wunsch, Jesus möge doch wieder auf die Erde kommen. Das tut er dann eben, in Mischas Wohnung, ganz in echt, mit fein gestutztem Bart und leuchtenden Augen "so blau wie der Lago Maggiore". Kein Russe, sondern Aramäer, Jeschua.

Dieser Jeschua ist einer, der alle Jubeljahre mal irgendwo auftaucht und eine Schneise der Glückseligkeit hinter sich herzieht. In Berlin bricht dank seiner schieren Präsenz eine Art Liebesepidemie aus: Paare vertragen sich, Leute zahlen ihre Steuern pünktlich, grantige Literaturkritiker schwören dem fiesen Verriss ab. Keiner aber führt das auf Jeschua zurück. "Es kursierten unzählige Geschichten über ihn und seine Besuche: dass er nie auch nur eine einzige Kirche betreten hatte", schreibt Kumpfmüller. "Auch die Frauen nicht verachtete" und "seine üblichen Kunststücke zeigte, mit denen er alles durcheinanderbrachte". Doch Jeschua streitet "für überhaupt nichts". Mischa fragt: "Also stimmt nicht, was über dich geschrieben steht?", "Nichts von alledem, was dort geschrieben steht, habe ich je gesagt", antwortet Jeschua. Auch ein Bulgakow-Zitat, denn in "Der Meister und Margarita" offenbart sich Jesus bei seiner Verurteilung dem Römer Pontius Pilatus.

Die mögliche Rückkehr eines wie auch immer gearteten Messias in die Gegenwart ist vielleicht keine aktuell drängende Frage, aber doch ein nach wie vor verlockendes Gedankenexperiment, wenn man es ernst nimmt. Das tut Kumpfmüller nur halbherzig. Die Fragen nach der Sehnsucht der Menschen nach einem Erlösungsmoment, nach Versöhnung, die gegenwärtige Bedeutung von Glauben überhaupt und die theologisch Vereinnahmung einer zutiefst menschlichen Figur als Projektionsfläche reißt er nur an. Beziehungsweise scheint er zu beschäftigt zu sein, den Überblick über all seine Bezüge und Zitate zu behalten und noch weitere seiner zweifellos originellen Ideen und Figuren unterzubringen.

Michael Kumpfmüller: Mischa und der Meister. Roman. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2022. 368 Seiten, 24 Euro. (Foto: kiwi/sz)

Jeschua ist hier noch weniger als eine Projektionsfläche, weil ihn fast niemand erkennt, der überhaupt etwas auf ihn projizieren könnte. Nur die wilde Feste feiernden Teufel, hier zum Beispiel Zahnärzte, Steuerberater und ein Pudel (Goethe-Zitat!) werden aktiv, die neue heile Welt wieder aus den Fugen zu bringen. Jeschua dient dem Autor kaum mehr als Erzählanlass, als Figur bleibt er spektakulär egal und blass. Fast schon so, als demonstriere Kumpfmüller hier die Antiprojektion. Das aber ist nicht mal provozierend, es entlastet auch nicht den historischen Jesus, sondern wirkt angesichts der sehr vielen Einfälle und Figuren eher wie die Konsequenz aus der Unentschlossenheit des Autors, der zu viel erzählen will und deshalb wenig erzählt. Irgendwann verschwindet Jeschua wieder, so leise, wie er kam.

Michael Kumpfmüller hat in seinem letzten Roman "Ach, Virginia" einfühlsam von Virginia Woolf erzählt, sein Kafka-Buch "Die Herrlichkeit des Lebens" wurde ein Bestseller. "Mischa und der Meister" fühlt sich wie ein Abend mit wild gezündeten Tischfeuerwerken an: Man lacht, man staunt ob der Farben, es knallt schön, aber am Ende verpufft alles doch recht schnell.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFaszination Monarchie
:Unsere Elisabeth

Zwei Serien, zwei Filme und Karen Duves Roman "Sisi": Was wollen eigentlich gerade jetzt wieder alle von der dekadenten Kaiserin?

Von Marie Schmidt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: