"Frankie" von Michael Köhlmeier:Die Verwandlung

"Frankie" von Michael Köhlmeier: Michael Köhlmeier hat mit "Frankie" ein Buch zwischen Roadnovel, Thriller und Komödie geschrieben.

Michael Köhlmeier hat mit "Frankie" ein Buch zwischen Roadnovel, Thriller und Komödie geschrieben.

(Foto: Horst Galuschka/Imago)

In dem raffinierten Coming-of-Age Roman "Frankie" erzählt Michael Köhlmeier von der Beziehung eines 14-Jährigen zu seinem eigenwilligen Großvater.

Von Kristina Maidt-Zinke

Großvater und Enkel: Das weckt gemütvolle, ja gemütliche Assoziationen. Kennt doch so gut wie jeder Beispiele dafür, dass diese Paarung, über den Graben der mittleren Generation hinweg, starke Allianzen hervorbringen kann, die das Leben der Älteren wie der Jüngeren bereichern. Großeltern haben Zeit, sind rüstig, und Eltern sind unter stetig anschwellendem Arbeits- und Freizeitdruck mehr denn je auf die Unterstützung von Oma und Opa angewiesen, die auf die rebellischen Phasen ihrer Enkel gelassener reagieren. In bürgerlichen Verhältnissen kann das alles harmonisch ineinandergreifen.

Die Geschichte, die Michael Köhlmeier in seinem neuen Roman "Frankie" erzählt, könnte auf den ersten Blick eine solche Konstellation nahelegen. Wie weit sie davon entfernt ist, stellt sich im Laufe einer zunächst fast heiteren, dann immer beklemmender voranschreitenden Handlung heraus, die dem Autor Gelegenheit gibt, seine Stil- und Darstellungskunst in komprimierter Form vorzuführen. Denn das Buch kommt mit zweihundert Seiten aus, auf denen sich (im Wortsinn) unheimlich viel ereignet: Es ist insofern das exakte Gegenstück zu dem fast tausendseitigen Katzen-Epos "Matou", mit dem Köhlmeier vor zwei Jahren selbst die ihm wohlgesonnensten Kritiker ein wenig überforderte.

Frank Thaler, der knapp vierzehnjährige Ich-Erzähler, lebt in Wiens viertem Bezirk mit seiner Mutter, die als "Garderoberin" an der Volksoper arbeitet, was bedeutet, dass sie nicht für Zuschauermäntel, sondern für Sängerkostüme zuständig ist. Der Vater hat sich aus dem Staub gemacht und wird nicht vermisst. Frank mag es, seine Mutter zu bekochen, mit ihr sonntags im Prater spazieren zu gehen und dann am Abend den "Tatort" zu schauen. Allein sieht er sich gern Tierfilme an, die oft vom Fressen und Gefressenwerden handeln. In der Schule versucht er, Konflikten aus dem Weg zu gehen, schließt aber auch keine richtigen Freundschaften. Und es nervt ihn, wenn jemand seinen Vornamen zu "Frankie" amerikanisiert.

Der Junge lässt sich vom cowboyhaften Auftreten des Opas vereinnahmen

Genau das aber tut sein Großvater, der in das Familien-Idyll eindringt, als er nach achtzehn Jahren Haft vorzeitig entlassen wird. Er treibt es sogar auf die Spitze mit: "Frankie Boy, ha! Little Frankie Boy!" Insgesamt hat der 71-Jährige 26 Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. Warum er gesessen hat, bleibt im Dunkeln; dem Strafmaß nach kann es keine Bagatelle gewesen sein. Entsprechend nervös und ängstlich reagiert Franks Mutter, deren Leben durch die kriminelle Karriere ihres Erzeugers überschattet wurde: Sie hält ihn immer noch für gefährlich. Frank hingegen lässt sich, aus Langeweile und Neugierde, wie er behauptet, vom cowboyhaft coolen Auftreten des langen, dünnen Mannes faszinieren, dessen Gestalt der Autor, sehr bildkräftig, auch noch mit einer physischen Schieflage versehen hat.

Als Erstes will der Großvater seinem Enkel das Schachspielen beibringen, ein strategisches, vom Ursprung her kriegerisches Spiel. Und das ist bereits ein Hinweis auf den zuerst subtilen, dann offenen Machtkampf, auf den diese Beziehung hinauslaufen wird. Die Lebensphilosophie des Großvaters gründet auf einem Männlichkeitsbild, das irgendwo zwischen Brutalo-Existenzialismus und Wildwest-Mentalität siedelt, also durchaus amerikanische Züge trägt.

Er hat sich vorgenommen, den Enkel damit zu infiltrieren und aus Frank einen "Frankie" zu machen. Wobei ihm entgegenkommt, dass seine Tochter durch eine frische Affäre abgelenkt ist: Sie kann nicht verhindern, dass der Senior den Junior aus der mütterlichen Einflusssphäre oder, wenn man so will, der ödipalen Bindung herausholt.

"Frankie" von Michael Köhlmeier: Michael Köhlmeier: Frankie. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2023. 206 Seiten, 25 Euro.

Michael Köhlmeier: Frankie. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2023. 206 Seiten, 25 Euro.

(Foto: Hanser)

So gleitet Frank, anfangs noch hin- und hergerissen zwischen Anziehung und Abwehr, Mitgefühl für den Alten und Erschrecken über dessen gewalttätige Anwandlungen, innerhalb weniger Wochen in Opa Ferdinands skrupellose Welt hinüber, in der Autos, gern geklaute, und Schusswaffen eine zentrale Rolle spielen. Und siehe da, der Knabe, der bis dahin altklug, aber auch etwas bieder wirkte, kennt sich mit beidem schon ganz gut aus. "Ein Schlauer" sei er, hat der Großvater gleich beim Kennenlernen festgestellt, und er selbst attestiert sich kühn das Denken eines Siebzehnjährigen.

Vielleicht deshalb schleicht sich zuweilen das Gefühl ein, diese junge Erzählerfigur sei nicht ganz stimmig. Aber es ging Michael Köhlmeier, dem großen Märchen- und Mythenspezialisten, hier offensichtlich nicht um psychologischen Realismus, sondern um die virtuose Schilderung eines inneren und äußeren Schwellenübertritts. Franks Verwandlung, die wir aus seiner eigenen Sicht erleben, vollzieht sich mit atemberaubender Beiläufigkeit, in einem Setting, das zwischen Coming-of-Age-Roman, Roadnovel und Psychothriller changiert und dabei auch noch Raum für Komik hat.

Die Spannung wird raffiniert gesteigert, die Katastrophe ist unausweichlich und geradezu antiken Ausmaßes, bleibt jedoch im Detail so vage wie vieles in diesem schmalen, sehr artistischen Stück Literatur. Eine bravouröse Leistung, zweifellos, die allerdings das Gemüt verdüstern kann -weil zur Entscheidung für das Böse hier kein Gegenentwurf vorgesehen ist. Als Jugendbuch jedenfalls sollte man "Frankie" nicht missverstehen.

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