Michael-Jackson-Doku:Neverland ist abgebrannt

Michael-Jackson-Doku: Seit Leaving Neverland beim Sundance Film Festival in den USA vorgestellt worden ist, sorgt die Doku über Michael Jackson für Wirbel.

Seit Leaving Neverland beim Sundance Film Festival in den USA vorgestellt worden ist, sorgt die Doku über Michael Jackson für Wirbel.

(Foto: Sundance Institute)

In "Leaving Neverland" sagen Zeugen aus, von Michael Jackson missbraucht worden zu sein. Die BBC will seine Lieder nun nicht mehr Spielen. Über eine Doku und ihre Folgen.

Von Bernd Graff und Jürgen Schmieder

Michael Jackson, der "King of Pop", ist ein Großverdiener in der Branche. Daran hat sein früher Tod im Sommer 2009 nichts geändert. Laut einer jüngeren Forbes-Liste hat Michael Jackson, haben seine Erben im Jahr 2018 etwa 400 Millionen Dollar an Tantiemen eingenommen, zehnmal mehr als die Hinterbliebenen des anderen musikalischen Blaublüters, des "King of Rock 'n' Roll", Elvis Presley. Michael Jackson, dessen Trauerfeier im Staples Center zu Los Angeles damals 20 000 Fans wie ein letztes Pop-Konzert begingen, ist also auch zehn Jahre nach seinem Tod äußerst populär. Er war und bleibt ein Ausnahmekünstler, und also solcher wird er auch zu Recht bewundert.

Doch Denkmal und Ruf zerbröseln gerade. Der britische Radio-Sender "BBC Radio 2" hat erklärt, er wolle alle Songs von Jackson aus seinem Programm verbannen. Denn Jackson, so lauten frische Vorwürfe, soll sich notorisch an kleinen Jungen vergangen haben. Wieder einmal, so muss man sagen, tauchen diese Vorwürfe auf. Denn schon zu Lebzeiten wurde deswegen gegen Jackson behördlich ermittelt, er sah sich mit Justizverfahren wegen Kindesmissbrauchs konfrontiert.

1993 erklärte ein Vater öffentlich, sein minderjähriger Sohn sei von Jackson sexuell missbraucht worden. Man einigte sich außergerichtlich mit einer Millionen-Abfindung, die angelaufenen polizeilichen Untersuchungen wurden ohne Anklage wieder eingestellt.

Im Jahr 2005 kam es wegen neuer Anschuldigungen zu einem Verfahren. Man erinnert sich, Jackson unterhielt damals in Anspielung an die Peter-Pan-Fantasie ewiger Kindheit eine "Neverland" genannte Ranch voller minderjähriger Gäste. Dort, so warfen ein Junge und seine Familie dem Künstler vor, habe Jackson das Kind mit Alkohol gefügig gemacht und wiederholt sexuell missbraucht. In dem darauffolgenden Prozess traten die Jugendlichen Wade Robson und James Safechuck, beide waren ebenfalls Jackson-Schützlinge gewesen, als Entlastungszeugen auf. Das Verfahren endete mit Jacksons Freispruch in allen Punkten.

Doch seit dem Tod des Künstlers geben die mittlerweile 40- und 36-jährigen Safechuck und Robson keine Ruhe. Sie widerriefen ihre entlastenden Aussagen, vor allem Robson berichtet seitdem von Geiselnahme und jahrelangen sexuellen Übergriffen durch Jackson. Beider Versuche, zivilrechtlich gegen die Jackson-Erben vorzugehen, wurden noch 2017 von einem Richter abgewiesen, da man jene nicht für etwaige persönliche Verfehlungen des Künstlers haftbar machen könne.

Nun aber hat der amerikanische Bezahlsender HBO einen zweiteiligen Dokumentarfilm des britischen Regisseurs Dan Reed, "Leaving Neverland", gezeigt, in dem Wade Robson und James Safechuck vier Stunden lang über eine jahrelange Tortur sprechen, der sie auf Jacksons Fantasie-Ranch ausgesetzt gewesen seien. Im Januar wurde der Film auf einem Festival vorgestellt - schon damals schlugen die Wogen hoch. Und nun ist er im Fernsehen.

Sonntagabend zeigte der Sender HBO die erste Folge und veröffentlichte den zweiten Teil gleich darauf online. Darin gibt es beispielsweise diesen Moment: Man hat bereits von Zungenküssen, intimen Berührungen, Oralsex und Masturbation erfahren, nun geht es um einen Ring, den Michael Jackson einem damals etwa zehn Jahre alten Jungen an den Finger gesteckt habe, versehen mit einem heimlichen Eheversprechen. Mit zitternden Händen hält der inzwischen erwachsene James Safechuck diesen Ring in die Kamera. Er passt an keinen seiner Finger mehr, es ist ein mit Diamanten besetzter Kinderring.

Die Aufregung um den Film ist auch deshalb so immens, ja, so global, weil der Regisseur Dan Reed gar nicht erst so tut, als wolle er allen Perspektiven gerecht werden, als habe er ein journalistisches Produkt abliefern wollen, das sämtliche Blickwinkel präsentiert. Wade Robson ist mittlerweile Choreograf etwa für Britney Spears, die Band N'Sync und das Varieté Cirque du Soleil. Safechuck ist Leiter für Innovation bei einem Technikkonzern. In "Leaving Neverland" erzählen sie unter erkennbarer Anspannung, wie Jackson sie jahrelang missbraucht, erpresst und genötigt habe, wie sie erst als Erwachsene und Väter bemerkten, was damals geschah.

"Ich möchte jetzt endlich die Wahrheit sagen - so laut und so deutlich wie möglich"

"Ich habe so lange lügen müssen", sagt Robson, dessen Zeugenaussage 2005, beim damaligen Verfahren gegen Jackson, als ein wichtiger Beleg für dessen Unschuld herangezogen wurde: "Ich möchte jetzt endlich die Wahrheit sagen - so laut und so deutlich wie möglich."

Dieser Film ist einseitig, das will er auch sein, und das stört die Nachkommen von Michael Jackson, sie haben Time Warner, den Mutterkonzern von HBO, auf Schadenersatz in Höhe von 100 Millionen Dollar verklagt.

Jackson-Fans - Hashtag: #MJINNOCENT" - sehen ihren Star durch die Dokumentation verunglimpft. Eine, man möchte sagen, Abstreit-Routine hat längst eingesetzt. Allerdings fallen die neuerlichen Vorwürfe in eine Zeit der offensiv vorgetragenen Berichte von Missbrauchsopfern im globalen Showbiz. Will man also, muss man Jackson nun aus dem kulturellen Gedächtnis streichen wie den Schauspieler Kevin Spacey aus einem Ridley-Scott-Film oder wie die BBC die berühmten Songs aus ihrem Programm? "Wenn man den Anklägern glaubt, was sollen wir dann mit seiner Kunst machen? Und mit der Person Jackson?", fragen sich nicht nur die New York Times, der Guardian und die BBC.

Bevor man aber die Kunst vor dem Künstler verteidigen will und kann, sollte nun endlich Gewissheit darüber bestehen, was in Jacksons Kinderparadies tatsächlich geschehen ist. Gerüchte und Beschuldigungen gibt es seit Langem mehr als genug. James Safechuck nennt seine Beteiligung am Film einen Akt der Gegenwehr: "Das kann ich als Opfer tun, es ist mein Beitrag, für den kleinen James zu kämpfen."

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