Michael Bublé im Gespräch:Hundert Adjektive für die Liebe

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Ein seltenes Foto ohne Krawatte: Der Sänger Michael Bublé. (Foto: Warner)

Michael Bublé ist zurück und hat soviel Liebe dabei, dass es einen ratlos macht. Ein Treffen mit dem erfolgreichsten Weihnachtssänger der Welt.

Von Jan Stremmel

Es ist Advent in München, und Michael Bublé spricht über Gefühle. "Wissen Sie", sagt er, "Liebe ist nicht kostenlos." Er lässt den Satz nachklingen, sein Blick schweift aus dem Fenster, über die noch schneefreien Dächer der Stadt. Michael Bublé, 43 Jahre, hockt in einer Hotelsuite am Münchner Hauptbahnhof auf der Kante eines Designerstuhls und sieht aus wie immer: perfekt sitzender Anzug mit Krawatte. Perfekt sitzende Frisur. Die Augenbrauen über der Nase leicht nach oben gekippt, was sein Gesicht auf eine welpenhafte Art sympathisch macht. Er fokussiert sein Gegenüber: "Liebe kommt zu einem enorm hohen Preis!"

Der erfolgreichste lebende Weihnachtssänger der Welt ist in der Stadt. Man hat eine halbe Stunde und viele Fragen. Aber der Mann wirkt seltsam nachdenklich. Man wird in diesen dreißig Minuten Zeuge eines Schauspiels, das sich erst nachträglich, als man das Tonband abhört, in seiner ganzen absurden Pracht entfaltet: Bublé gibt kein Interview. Er hält einen Monolog über die Liebe. Teils zusammenhängend, teils assoziativ. Als würde er live ein Gedicht schreiben, vielleicht einen Liedtext, einen neuen Weihnachtshit?

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Kurz zur Erinnerung: Bublés Album "Christmas" aus dem Jahr 2011 ist eine der meistverkauften Weihnachtsplatten der Geschichte und fast so beliebt wie "Elvis' Christmas Album" von 1957 und Bing Crosbys "Merry Christmas" aus dem Jahr 1945. Wie auf einen unhörbaren Startschuss hin klettert Bublés Album Jahr für Jahr Ende November aus dem Nichts in fast sämtliche Charts der westlichen Welt. In Deutschland steht es diese Woche mal wieder auf Platz 28.

Wäre das nicht schön, war also der Gedanke: ein kleines Gespräch mit Bublé über Weihnachten, über Romantik, über Kitsch? Aber Bublé ist nicht zu stoppen. Und am Ende bleibt das Gefühl, man sei versehentlich Zeuge einer Therapiesitzung geworden.

Der Kanadier wird für gewöhnlich in die Kategorie Schmusesänger verortet. Kein Wunder: Seit Beginn seiner Karriere lässt er sich ausnahmslos mit dem Bublé'schen Welpenblick fotografieren, manchmal kombiniert mit lasziv gelockertem Krawattenknoten. Seine Stimme klingt, wie sich eine dicke Kaschmirdecke anfühlt - warm, weich, dabei aber auch angenehm robust. Der Lieblingsvergleich aller Journalisten lautet nicht ohne Grund Frank Sinatra. Wobei Bublé im Anzug fraglos viel besser aussieht.

Seine Geschichte ist Teil seines Images: Er wurde entdeckt, als er auf der Hochzeit der Tochter eines ehemaligen kanadischen Premierministers auftrat. Vom selben Produzenten wie seine Landsfrau Céline Dion. Zuvor hatte er sich mit Cover-Auftritten im Stil von Dean Martin durchgeschlagen, zwei erfolglose Alben auf eigene Kosten produziert.

Die Liebe ist nie auserzählt

Seither trägt ihn sein Schwiegersohnimage durch die Hallen der Welt. Seine Alben haben dezidiert verschmuste Namen, in denen Liebe fast immer eine tragende Rolle spielt, zum Beispiel "Crazy Love" (2009), oder "To Be Loved" (2013). Die neue Platte, für die er gerade auf Promotour ist, trägt als Titel ein Herz-Emoji. Was man, wie der Pressetext erklärt, natürlich "Love" ausspricht.

Wer sich insgeheim fragt, ob das Thema nach bald einem Dutzend Alben nicht bald mal auserzählt ist, wird von Bublé allerdings eines Besseren belehrt. Wie als Gegenbeweis rattert er die Kalendersprüche ins Aufnahmegerät, Sätze wie: "Liebe ist ein extrem komplexes Gefühl." "Liebe ist verrückt." "Liebe ist schmerzhaft!" Man muss kurz an Eskimos denken, von denen ja fälschlicherweise behauptet wird, sie hätten Dutzende Worte für Schnee. Was hingegen stimmt: Bublé hat Hunderte Adjektive für die Liebe.

Er habe, erklärt er, mit dem Album eine Art Kurzgeschichtensammlung über das Thema machen wollen. "Es gibt darauf Songs voller Wut und Trauer, voller Sehnsucht und Hoffnung. Das Wort Liebe verbindet all diese Emotionen. Egal, ob du alt oder jung bist, hetero oder schwul, Mann oder Frau - es ist das inklusivste Wort überhaupt." Deshalb auch das universal verständliche Emoji.

Michael Bublé während der Dreharbeiten zur Graham Norton Show (Foto: dpa)

Bublé hat eine zweijährige Pause hinter sich. Im Jahr 2016 wurde bei seinem damals dreijährigen Sohn Leberkrebs diagnostiziert. In den letzten Interviews vor der Auszeit deutete der Sänger an, seine Karriere für immer beenden zu wollen. Nun ist er zurück, dem Sohn geht es offenbar besser - und es wirkt, als habe sich Bublé in der Zwischenzeit sehr viele Gedanken über sich selbst gemacht. Und als wolle er die möglichst geballt loswerden. Ohne dass man gefragt hat, erzählt Bublé, wie die Krankheit ihn verändert habe: "Vorher war ich nur mit mir beschäftigt. Gefangen in einem Strudel aus Eitelkeit und Unsicherheit." Jetzt hingegen, nach dem Schock, "lasse ich nur noch Liebe in mein Leben. Und nur noch Liebe hinaus." Seine Social-Media-Kanäle, die er als Hauptquelle seiner früheren Eitelkeiten und Unsicherheiten ausgemacht hat, pflegen jetzt andere.

Irgendwas arbeitet in dem Mann. Nur, was genau? "Ich wünsche allen Zynikern auf der Welt, sie könnten die Welt mit den Augen ihrer Kinder sehen." Nanu, wie kommt er denn jetzt darauf? Kürzlich hat er in einem Interview angedeutet, das glatte Bublé-Image habe sich damals die Plattenfirma ausgedacht. Bereut er das? "Ich kann mir keinen Kopf über Dinge machen, die ich nicht ändern kann. Alles was ich tun kann, ist morgens aufstehen und Michael Bublé sein." Er blinzelt, und es wirkt, als erwache er gerade aus einem Traum. "Und überhaupt, wer gibt einen Scheiß darauf, was andere denken?"

Sehr richtig. Und natürlich auch sehr gut. Man hätte noch so viele Fragen gehabt. Aber die Zeit ist um, und Bublé geht, irgendwo wartet ein Auftritt. Und Weihnachten ist wieder eine halbe Stunde nähergekommen.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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