Porträt der Regisseurin Mia Hansen-Løve::Insel der Gespenster

Porträt der Regisseurin Mia Hansen-Løve:: "Alle Filme sprechen zueinander: Die französische Filmregisseurin Mia Hansen-Løve hat mit "Bergman Island" ihren siebten Film gemacht.

"Alle Filme sprechen zueinander: Die französische Filmregisseurin Mia Hansen-Løve hat mit "Bergman Island" ihren siebten Film gemacht.

(Foto: Lionel Bonaventure/AFP)

Wie eine französische Regisseurin am Rückzugsort des Kinomeisters Ingmar Bergman neue Inspiration fand.

Von Susan Vahabzadeh

Es ist ganz schön zuzusehen, wie jemand in keine Schublade passt. Mia Hansen-Løve ist eine zarte, blonde Frau, die noch jung ist und noch jünger aussieht, immer noch ein wenig wie in ihrer ersten größeren Rolle in dem Film "Ende August, Anfang September" von 1998. Aber man sollte daraus keinerlei Rückschlüsse ziehen. Der Typus im französischen Kino, den sie wahrscheinlich auf der Leinwand verkörpert hätte, wäre sie Schauspielerin geblieben, hätte nicht zu ihr gepasst. Sie fing stattdessen an zu schreiben, wurde Filmkritikerin bei den Cahiers du Cinéma. Und dann, wie viele ihrer Vorgänger, Truffaut oder Éric Rohmer, machte sie selbst Filme, die voller Philosophie-Verweise sind und Referenzen an das Kino, das sie liebt, furchtlos vor maximal großen Fußstapfen. Sehr bald wurde sie zu einer der wichtigsten Stimmen des französischen Kinos.

Mia Hansen-Løve, die ihren skandinavisch klingenden Nachnamen einem dänischen Großvater verdankt, ist Tochter einer Philosophie-Lehrerin. Sie spricht langsam und in gesetzten Worten und gibt lange Antworten. Sie analysiert alles, eine klassische französische Intellektuelle. "Bergman Island" heißt der neue Film, mit dem sie zum Festival Viennale in Wien gekommen ist, die Premiere war im Sommer in Cannes. Inzwischen ist Herbst, im Park in der Nähe der Festivalbüros färben sich die Blätter gelb, und alles wirkt ein wenig ruhig und gedämpft - das kommt ihr sehr entgegen. Sie hat ihre Tochter zum Festival mitgebracht, die beim Interview in einer Zimmerecke Vokabeln lernt, während sie selbst über ihr Verhältnis zu den Filmen von Ingmar Bergman sinniert.

Am Anfang von "Bergman Island" kommt ein Paar auf die Insel Fårö in der Ostsee, wo Bergman gelebt und zum Teil auch gedreht hat. Chris, gespielt von Vicky Krieps, ist eine junge Regisseurin, Tony (Tim Roth) ihr Lebensgefährte, ein bekannter und deutlich älterer Filmemacher. Sie wohnen in einem der früheren Häuser des schwedischen Kinomeisters, die dank der Bergman-Stiftung alle noch unverändert sind - das ist das Bett aus "Szenen einer Ehe", sagt Chris bei der Ankunft, kein gutes Omen.

Beide haben Arbeitsstipendien der Stiftung, beiden schreiben an Drehbüchern, auf sehr unterschiedliche, unvereinbare Weise. Ihm fällt das Schreiben leicht, ihr nicht. Bei allem anderen scheint er aber immer auf ihre Anwesenheit, ihre Unterstützung angewiesen zu sein. Chris dagegen ist bei der Arbeit auf sich gestellt, und in dem, was sie da aufschreibt. Man sieht es irgendwann als Film im Film: Eine Frau trifft in Fårö auf ihren früheren Freund und ist bereit, alles aufzugeben, um wieder mit ihm zusammen zu sein.

Ein Filmemacher-Paar mit großem Altersunterschied, da geht es natürlich auch um Hansen-Løve selbst und ihre Beziehung zu Olivier Assayas, dem Regisseur, der sie als Schauspielerin für "Ende August, Anfang September" entdeckt hat. Jahre später ist sie ihm wieder begegnet, dann wurde er ihr Lebensgefährte und Vater ihrer Tochter - und manche ihrer Filme schienen miteinander zu kommunizieren. Sie machte "Eden" über das Erwachsenwerden in der Rave-Ära der Neunziger, er "Die Wilde Zeit" über seine Jugend im Schatten von 1968. Ihr "Alles was kommt", für den sie bei der Berlinale 2016 den Regiepreis gewann, und sein kurz darauf gedrehter Film "Zwischen den Zeilen" erzählen beide davon, wie sich das intellektuelle Verlagswesen in Frankreich verändert. Sein Film eher heiter, ihrer mit Wehmut. Inzwischen sind sie schon länger getrennt, beide haben das sehr privat gehalten.

"Ich war noch nie so nah dran, an Gespenster zu glauben"

Mia Hansen-Løves Geschichten sind persönlich, wirklich autobiografisch sind sie nicht. Man könnte sagen: Sie selbst und ihr Leben schimmern durch in ihrem Werk. Fast immer geht es darin um Menschen in der Krise - keine lauten Ausbrüche, eher leise, erschütternde Bestandsaufnahmen. Hansen-Løve hat tatsächlich mehrere Stipendien-Aufenthalte auf Fårö gehabt und dort geschrieben. "In zwei verschiedenen von Bergmans Häusern. Im Film sieht man auch nur zwei, aber es sind fünf oder sechs. Soweit ich weiß, war es das erste Mal, dass jemand auf der Insel zum Schreiben war und dort tatsächlich über Bergman geschrieben hat."

Und eben auch über sich selbst: In "Bergman Island" sieht man eine Beziehung, die noch nicht am Ende ist, aber Auflösungserscheinungen zeigt. Der Film im Film verschmilzt mit der Rahmenhandlung, bis man nicht mehr unterscheiden kann, was real ist und was nicht. Entweder, es gibt den Ex-Freund wirklich und er taucht auf Fårö auf, oder er ist eine Figur aus einem Drehbuch, die durch das Leben ihrer Erfinderin spukt.

BERGMAN ISLAND 2021 de Mia Hansen-Love Vicky Krieps Tim Roth. Arte France Cinema - CG Cinema - Dauphin Films - Film Capi

Ein Filmemacher-Paar auf Arbeitsurlaub in den Häusern Ingmar Bergmans: Vicky Krieps und Tim Roth in "Bergman Island".

(Foto: imago images)

"Ich war noch nie so nah dran, an Gespenster zu glauben, wie auf dieser Insel", sagt Mia Hansen-Løve. "Bis zum Ende des Drehs habe ich die Präsenz Bergmans gespürt und die seiner Filme, aber nicht auf eine beängstigende Art." Im Gegenteil - diese Präsenz hätte sie eingeladen, an ihrem Film zu arbeiten. "Ich habe keinen Lieblingsfilm von Bergman, ich habe zehn Lieblingsfilme von Bergman", sagt sie. "Sarabande" gehört beispielsweise dazu, und "Szenen einer Ehe".

"Bergman Island" musste sie neu besetzen, als der Dreh sich verschob und die ursprünglichen Schauspieler nicht mehr verfügbar waren. Eigentlich sollten John Turturro und Greta Gerwig die Hauptrollen spielen, dann übernahmen Tim Roth und Vicky Krieps, "und natürlich hat das den Film total verändert. Andererseits hatte ich diese Geschichte schon länger mit mir herumgetragen, und das ganze Projekt hat einen Reifungsprozess durchgemacht". Es ist nämlich so, erklärt sie dann: "Die Amerikanerin Greta Gerwig verschob diese Geschichte mehr in die Fiktion. Vicky Krieps ist Europäerin, näher an meinem eigenen europäischen Empfinden, näher an meiner eigenen Melancholie." Zur Umbesetzung von Tony sagt sie nichts - aber selbst physisch ist Tim Roth dem Filmemacher Assayas wesentlich näher als John Turturro.

Ihr selbst falle, wie Chris im Film, das Schreiben schwer: "Obwohl es jedes Mal ein Kampf ist, macht es mich auch stolz." Alles muss auf der Suche nach Klarheit durch ihren Schreibprozess hindurch. Der Rest ist Filmemachen, Dialoge in eine Szene einpassen, mit Schauspielern arbeiten, Bilder finden. Wie jenes, als Isabelle Hupperts Figur in "Alles was kommt" vor dem Bücherregal steht, überall sind Lücken, diese Bücher hat ihr Mann mitgenommen, als er zu seiner jungen Geliebten gezogen ist - und die angesehene Professorin steht vor dem durchlöcherten Stückwerk ihrer Existenz.

"Große Künstler sind oft Egoisten, das ist halt so."

Irgendwo stand, Mia Hansen-Løve arbeite an einer Fortsetzung von "Alles was kommt", aber das kann man sich gar nicht vorstellen. Der ganze Film ist von einer tiefen Melancholie durchzogen, er handelt davon, wie diese Frau im Mittelpunkt mit all ihrer Energie und Lebenslust nirgendwo mehr hingehen wird, weil man sie in die Rolle einer zurückgelassenen Großmutter drängt. "Das mit der Fortsetzung stimmt auch nicht ganz", sagt Hansen-Løve. "Es ist eher ein Diptychon, ein Projekt, das danebenstehen und damit zu tun haben wird. Alle Filme sprechen zueinander, und diese beiden werden auf besondere Art in einen Dialog eintreten."

Eva Sangiorgi, die Leiterin der Viennale, hat in diesem Jahr viele von jenen Filmemacherinnen eingeladen, die 2021 zu einem Filmjahr der Frauen machten. Andrea Arnold beispielsweise, die mit "Cow" wie Hansen-Løve in Cannes war, und Audrey Diwan, deren Abtreibungsdrama "L' évènement" die Filmfestspiele in Venedig gewann. Mia Hansen-Løve, die zwar gerade erst vierzig Jahre alt geworden ist, ihren ersten Film drehte sie 2007, den zweiten, "Der Vater meiner Kinder", zeigte sie 2009 in Cannes, hat schon andere Zeiten erlebt. "Mir haben früher Festivalchefs gesagt, meine Filme seien zu 'girlie'. Damit kämen sie heute nicht mehr durch. Ich denke, dass man es Frauen nicht mehr vorwirft, wenn sie Filme mit einer femininen Sensibilität drehen - aber verstehen Sie mich nicht falsch, auf die haben Frauen kein Monopol." Hat sie damals zurückgefragt, was "girlie" überhaupt heißen soll? "Nein. Dafür wollte ich mich gar nicht interessieren. Ich wollte mich nicht einschüchtern lassen."

Ingmar Bergman sei, sagt die Regisseurin und junge Mutter Chris am Anfang von "Bergman Island" tadelnd, ein lausiger Vater gewesen. Ist Hansen-Løves eigenes Verhältnis zu Bergman zwiespältig? "Große Künstler sind oft Egoisten, das ist halt so. Mich hat es interessiert zu zeigen, wie eine Frau, die selbst ihre Filme machen will und trotzdem ihre Kinder aufzieht, das sieht: Kann man Künstler sein mit einem Werk und doch diesen Egoismus vermeiden? Ich habe darauf keine Antwort, aber ich denke, die meisten kreativen Frauen stellen sich diese Fragen, und mich beschäftigen sie zutiefst. Ich möchte das zeigen. Gibt es Filme von Männern mit dieser Fragestellung? Ich wüsste nicht. Das ist kein Thema, das sie interessiert. Aber ich will das nicht moralisch bewerten - ich habe Bergman nicht gekannt. Wie immer er sein Leben gelebt hat, es hindert mich nicht daran, seine Filme zu lieben. Und man kann es ja trotzdem selbst anders machen wollen." Wie ernst sie es damit meint, zeigt sich, als das Interview kurz darauf endet. Mia Hansen-Løve wird jetzt anderswo gebraucht. Zum Vokabelabfragen, in der Zimmerecke.

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