Süddeutsche Zeitung

Metropoltheater:Menschenliebesleid

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Jochen Schölch inszeniert Joël Pommerats bittersüßes Stück "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas"

Von Egbert Tholl

Nein, um Politik geht es nicht. Sondern um das, was Theater am schönsten kann: um die Liebe. Und das mit dem Titel ist so: Ein Mann, gespielt von Butz Buse, besucht seine Frau in der Klinik. Die Frau, rührend gespielt von Nikola Norgauer, ist dement. Er besucht sie jeden Tag, und jeder Tag ist ein neuer Tag, weil sie nicht einmal weiß, wer er ist. Es ist herzergreifend, aber auch lustig. Da keimt auch noch eine Begierde, jeden Tag neu, und der Mann erinnert sich: "Als wir uns kennenlernten, war es perfekt. Es war, als wenn Nordkorea und Südkorea ihre Grenzen öffnen und sich wiedervereinigen würden."

Joël Pommerats sieben Jahre altes Stück "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" vereint 20 Szenen über die Liebe, wie sie schwierig und schön ist, wie sie scheitert und man ohne sie nicht sein kann. Ein kluges, schönes, trauriges, lustiges Stück, das Jochen Schölch am Metropoltheater mit stupender Präzision und feiner Poesie inszeniert: 20 Szenen, in denen er die Liebe und das Leben als ein Lied begreift. Tatsächlich gibt es zwischen den Szenen viel Musik, von Asaf Avidan. 27 Frauen und 24 Männer, gespielt von fünf großartigen Frauen und vier Männern, die verdutzt sind, überfordert und oft stumm. Das Schweigen der Männer ist Quell der Komik ebenso wie deren Verzweiflung und die Explosivität der Frauen. Schölch verschärft das, rhythmisiert den Abend virtuos, stellt keine Figur bloß. Der Regisseur liebt die Menschen auf seiner leeren Bühne.

Dascha von Waberer verlässt mitten in der Nacht ihren Mann, weil Liebe allein nicht reicht. Lucca Züchner pulverisiert die Hochzeit ihrer Schwester Vanessa Eckart und Eli Wasserscheid lacht dazu mit dem besten Amüsement des Aberwitzes. Im nächsten Moment ist Züchner die brodelnd liebevolle Geliebte eines Priesters und Wasserscheid die reine Sehnsucht zwischen zwei Männern. Jede Szene erzählt in Minuten einen Roman, den man im Kopf weiterschreibt.

Und schließlich ist da die wundervolle Vanessa Eckart. Wie die meisten hat man sie schon öfters im Metropol gesehen, was sie nun macht, ist reiner Zauber. Sie spielt die Braut der zerstörten Hochzeit, sie spielt ein behindertes Mädchen, das schwanger ist von einem offenbar sehr zweifelhaften Typen, aber das Kind zur Welt bringen will. Ein Meisterstück, auf einem extrem schmalen Grat der Empathie erschaffen. Sie ist auch die Babysitterin eines Paares, das gar keine Kinder hat, sie ist die Hure am Rande des Volksfests und ringt dabei mit Verve um Würde - ein strahlendes Ereignis.

Die Wiedervereinigung der beiden Koreas , Metropoltheater, Floriansmühlstraße 5, bis Mitte Februar

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SZ vom 18.01.2020
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