Was setzen Sie dem entgegen?
Zunächst einmal glaube ich, dass Gewaltbereitschaft keinesfalls ein männliches Monopol ist. Frauen sind ja nicht friedfertiger, das halte ich für eine Illusion. Solchen Gedanken begegne ich mit einer psychoanalytischen Herangehensweise. Dabei interessiert mich ein angeblich veraltetes Konzept: die Triebtheorie. Die wird leider oftmals falsch verstanden, nämlich biologisch à la "Der Mann als Tier". Als würde die Sexualität des Mannes wie ein Dampfkessel funktionieren, als würde der Mann einen Urdruck haben, explodieren und sich eine Frau schnappen.
Wie verstehen Sie denn die Triebtheorie?
Das Entscheidende am Trieb ist nicht dieser biologische Aspekt, sondern vielmehr seine weitgehend gesellschaftlich bestimmten Äußerungsformen. In der heterosexuell geprägten männlichen Sexualität gehen damit Überlegenheitsanspruch, Macht und sexuelle Lust eine unselige Mischung ein, die nur den Anschein von Naturhaftigkeit hat.
Sie bemängeln, dass vor allem von sexualisierter, weniger aber von sexueller Gewalt die Rede ist. Worin besteht für Sie der Unterschied?
Der Begriff der sexualisierten Gewalt suggeriert, Sexualität wäre ein Werkzeug, das benutzt wird, um Macht durchzusetzen. Als hätte das mit sexuellem Begehren nichts zu tun. Das ist naiv: Fast alle Formen von Vergewaltigung dienen auch der sexuellen Befriedigung. Es gibt diese Formen sexualisierter Gewalt, beispielsweise wenn bei Folter Gegenstände eingeführt werden. Daran können sich übrigens auch Frauen beteiligen, das wissen wir spätestens seit den Vorfällen im Foltergefängnis Abu Ghuraib. Aber wenn sexuelle Befriedigung im Vordergrund steht, spreche ich von sexueller Gewalt. Da ist die Sexualität das Hauptziel, die Gewalt wird lediglich zu ihrer Durchsetzung benutzt.
Wie kann man diese komplizierte Problemlage um Sexualität und Gewalt auflösen?
Das ist die Kardinalfrage. Ich habe kein Rezept parat. Ich denke bloß, dass männliche Sexualität thematisiert werden muss - aber eben nicht als dieses archaische Erbe, das der Mann überwinden muss. Wenn man meinen Thesen folgt, lautet die Antwort: Männer müssen lernen, Abhängigkeiten zu ertragen. Frauen haben damit auch Probleme, können das aber meist besser, weil sie Abhängigkeit und Autonomie nicht als Gegensatz begreifen. Männer denken oft: Ich muss meine Überlegenheit bewahren, sonst gehe ich verloren, sonst geht meine Männlichkeit verloren.
Im Nachklang von "Me Too" war ja viel von verunsicherten Männern die Rede.
Ja, da wurde so getan, als seien Männer jetzt total hilflos: Bekommt man nun sofort eine Anzeige an den Hals, wenn man mal eine nett gemeinte Bemerkung macht? Wenn man so denkt, ist man nicht bereit zu sehen, dass ein Flirt ein wechselseitiges Spiel auf Augenhöhe ist. In dem Moment, in dem ein Part das Spiel verlässt, ist das Spiel zu Ende. Und wenn ein Part - und das ist in der Regel der Mann - das nicht akzeptiert, dann ist die Grenze durchstoßen. Dann sind wir beim Sexismus.
Die "Me Too"-Debatte scheint einen Graben zwischen den Geschlechtern aufgemacht zu haben.
Ich halte diese Verunsicherung für wichtig. Entscheidend ist aber, was man daraus macht. Die Gefahr ist, dass eine Projektion stattfindet: dass man nun Frauen für diese Verunsicherung verantwortlich macht und nicht die Männer. So wird das in überregionalen Medien momentan häufig diskutiert. Dabei sollten Männer diese Verunsicherung erst einmal zulassen, aushalten und ihr auf den Grund gehen: Warum fühle ich mich denn nicht sicher? Wie kann ich vermeiden, Frauen für schuldig zu erklären? Und dann käme man darauf, dass Männlichkeit kein erhabener, sondern ein grundsätzlich krisenhafter Zustand ist.
Männlichkeit ist per se krisenhaft?
Behauptet wird ja immer: Der Mann gerät nicht in die Krise, sondern die Frauenbewegung, der Feminismus, das Feminat, der Femi-Faschismus, der ganze Genderkram treiben ihn in die Krise. Dabei sollte man sich eher darauf konzentrieren, dass Männer unter einem unglaublichen Druck stehen, sich immer als das wichtigere Geschlecht zu sehen. Und das ist natürlich ein krisenhafter Zustand. Hinzu kommen gesellschaftliche Krisen, die auch an einem Männlichkeitsbild kratzen können. Die Transformationen in der Erwerbssphäre zum Beispiel, der Verlust der Vorstellung, dass Männlichkeit mit einer Erwerbsbiografie verbunden sein muss.
Wenn von Männlichkeit in der Krise gesprochen wird, wird immer wieder das Feindbild des alten weißen Mannes bemüht. Halten Sie diese Kategorie für sinnvoll?
Ich halte diese Kategorie für genauso wenig sinnvoll wie beispielsweise die Quotendiskussion, in der man sich nur auf die großen DAX-Unternehmen konzentriert. Das ist verkürzt, weil ein Alltagssexismus, der überall stattfindet, dabei ignoriert wird. Natürlich gibt es diese Figur des alten weißen Mannes, die Ecclestones, die Trumps, die Berlusconis, die Strauß-Kahns, die Brüderles. Die Diskussion darauf zu fokussieren, ist jedoch ein fataler Fehler, denn dahinter versteckt sich der Gedanke: Die sterben doch bald aus. Und dann kommt eine ganz neue, fortschrittliche Generation. Aber das stimmt nicht! Wir ziehen eher gegenteilig mit jeder neuen Generation auch eine neue Generation von Sexisten heran.