#MeToo in Schweden:Und dann musste sie seinen Penis halten

#MeToo in Schweden: Das Königliche Dramatische Theater (Dramaten) in Stockholm. Auch hier soll es sexuelle Übergriffe gegeben haben.

Das Königliche Dramatische Theater (Dramaten) in Stockholm. Auch hier soll es sexuelle Übergriffe gegeben haben.

(Foto: imago stock&people)
  • In Schweden haben 600 Schauspielerinnen ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung öffentlich gemacht.
  • Die Kulturministerin ruft die Chefs der drei großen Stockholmer Theaterbühnen zur Krisensitzung. Es müsse "etwas richtig Radikales" geschehen.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Sie hatten zunächst nur unter sich gesammelt. Ein Dutzend schwedische Schauspielerinnen und die Frage, ob sie gemeinsam eine Erklärung abgeben wollen, so hatte es angefangen. Kein "MeToo", ein "WeToo", das schnell größer wurde. Innerhalb eines Tages, schreiben sie, hätten sich 1100 Menschen gemeldet und von Übergriffen in der schwedischen Unterhaltungsindustrie berichtet. Vergangene Woche hat das Svenska Dagbladet einen Teil dieser Schilderungen veröffentlicht. Opfer und Täter bleiben anonym. Fast 600 Schauspielerinnen haben ihre Namen unter den Text gesetzt.

Eine Frau beschreibt, wie ihr einer der "prominentesten Filmschauspieler, in Schweden und im Ausland" während einer Party in ein Hotelzimmer folgt, sie auf den Boden drückt und sich auf sie wirft. Sie kann sich freikämpfen, erzählt später dem Regisseur davon. Doch nichts passiert. Eine andere erinnert sich an eine Theaterproduktion: Der betrunkene Hauptdarsteller habe sie in einem Restaurant zu den Toiletten gezogen und gezwungen, seinen Penis zu halten, während er sich ins Waschbecken erleichterte. Ein Dirigent fragt eine junge Frau zwischen den Proben, ob er ihren Rücken massieren dürfe. "Ich habe gespürt, dass ich das nicht will, aber nicht Nein sagen kann", schreibt sie. Er habe sich auf sie gesetzt, sie massiert, sich dabei selbst befriedigt, ihr Oberteil hochgezogen und auf ihren Rücken ejakuliert.

Es ist nicht so, dass die Missbrauchsdebatte, die der Fall Harvey Weinstein ausgelöst hat, erst jetzt in Schweden angekommen wäre. Im Gegenteil: Auch in dem Land, in dem sich der Premierminister stolz einen Feministen nennt, sind seither immer neue Fälle ans Licht gekommen. Ein bekannter TV-Moderator soll seine Assistentin vergewaltigt haben. Ein prominenter Comedian hat wegen ähnlicher Vorwürfe seinen Vertrag verloren. Der Kolumnist einer großen Tageszeitung wurde gefeuert, und so weiter.

Doch die Veröffentlichung im Svenska Dagbladet entfaltet eine neue Wucht, weil sie so viele Beispiele fast nüchtern aneinanderreiht. Kulturministerin Alice Bah Kuhnke rief die Chefs der drei großen Stockholmer Bühnen zur Krisensitzung. Sie sei "schockiert, angeekelt, traurig und wütend", sagte sie, die Regierung fordere Veränderung. Premierminister Stefan Löfven erklärte, es müsse nun "etwas richtig Radikales" geschehen. Die Schilderungen seien "fürchterlich", das Ganze so viel größer, als man habe glauben können.

Nun müssen die Bühnenchefs reagieren. Viele zeigen sich entsetzt - und ahnungslos

Eine Schauspielerin beschreibt, wie sich der "männliche Star" nach späten Proben zu ihr ins Bett gelegt, sie geküsst und bedrängt habe. Sie war damals 13 Jahre alt. Eine andere schreibt, wie ihr ein betrunkener Kollege nach der Vorführung buchstäblich an den Hals geht und schimpft, dass alles, was sie tue, Mist sei, er aber Kunst schaffe. Eine dritte erhielt per SMS von einem berühmten Schauspieler die Ankündigung, er werde sie "mit seinem 'Opa-Schwanz' in jedes Loch ficken".

"Wir werden mit den Verantwortlichen abrechnen"

"Männliche Stars und Regisseure werden als Genies betrachtet und geschützt", schreiben die Frauen. Regisseure, Produzenten, Theatermanager, Politiker hätten versagt. "Wir werden mit den Verantwortlichen abrechnen." Es folgt die Liste der Unterzeichnerinnen, die seit Erscheinen noch länger geworden ist. Zuletzt waren es 585 Namen, darunter der von Oscar-Preisträgerin Alicia Vikander und Serienstar Sofia Helin aus "Die Brücke".

Einige der Frauen erklären, sie hätten dem Regisseur oder Theaterdirektor von den Vorfällen berichtet. Eine Betroffene schreibt, ihr Schauspielkollege habe sie vergewaltigt, doch der Regisseur habe nur Witzchen gerissen, als er davon erfuhr. Nun werden die Bühnenchefs wohl kaum daran vorbeikommen, auf die Enthüllungen zu reagieren. Viele haben sich bereits geäußert, alle zeigen sich entsetzt - und ahnungslos.

Eirik Stubø etwa spricht von zwei Fällen verbaler sexueller Belästigung, seit er das Nationaltheater Dramaten leite. Es sei nie um Vergewaltigung gegangen. Das Theater hat nun eine interne Untersuchung angekündigt. Opernchefin Birgitta Svendén berichtet, wie ihr einst ein Kollege in den USA bei Proben an die Brüste griff und niemand etwas dagegen unternahm. "Ich kann unterschreiben, was alle berichten - dass man Angst bekommt. Was geschieht, wenn ich das melde?"

Ingrid Dahlberg hat das Dramaten von 1996 bis 2002 geleitet. Ihr habe auch niemand von den Übergriffen erzählt, sagt sie dem Svenska Dagbladet, spricht von Machtstrukturen, von männlichen Hauptrollen, die Männer zu Stars machten. Es müsste mehr Dramatikerinnen geben, sagt sie, die Frauen in ihren Stücken Raum geben, um die Machtbalance zu verschieben. Dahlberg vermutet auch, dass es manche Männer nun schwer haben werden, weil man ihnen keine Rollen mehr geben wolle. "Jetzt, wo man es weiß."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: