Süddeutsche Zeitung

Metoo-Debatte:Warum Belästigungsvorwürfe bei Trump keine Konsequenzen haben

"Die Wähler entscheiden, welches Verhalten sanktioniert wird": die amerikanische Politikwissenschaftlerin Melissa Deckman über die Doppelmoral in der Politik - und im Volk.

Interview von Kathleen Hildebrand

Während in Hollywood gerade ein berühmter Mann nach dem anderen wegen Vorwürfen sexueller Belästigung gefeuert wird, sitzt einer weiter im Weißen Haus ohne sich rechtfertigen zu müssen: Donald Trump. Wie kann es sein, dass die Geschichten der mehr als zwölf Frauen, die ihn beschuldigen, sie gegen ihren Willen angefasst, geküsst und gegen Wände gedrückt zu haben, in dieser Debatte nicht wieder Aufmerksamkeit bekommen? Trump und seine Sprecher bleiben dabei: alles erlogen. Währenddessen twittert der Präsident fröhlich Kritik an allen anderen Beschuldigten - so lange sie auf der politischen Gegenseite stehen. Seinen Parteifreund Roy Moore in Alabama, dem mehrere Frauen vorwerfen, sie als sie Teenager belästigt zu haben, unterstützt er. Melissa Deckman, Professorin am Washington College in der Nähe der amerikanischen Hauptstadt, forscht über das Verhältnis zwischen Religion und Politik. Im Interview erklärt sie, wieso Wähler und Politiker ihm das durchgehen lassen.

SZ: Glauben Sie, dass die Debatte über sexuelle Belästigung in den USA gerade mit genauso viel Energie geführt würde, wenn Donald Trump nicht Präsident wäre?

Ich glaube, wir würden trotzdem über dieses Thema reden. Die Vorwürfe gegen Harvey Weinstein hätten auch ohne Trump im Weißen Haus großes Gewicht gehabt. Und die Debatte über sexuelle Belästigung ist ja schon älter. Im Grunde hat sie mit dem Fall Clarence Thomas begonnen. Er wurde 1991 zum Richter am Obersten Gerichtshof ernannt, obwohl ihn eine frühere Mitarbeiterin beschuldigt hatte, sie sexuell belästigt zu haben. Dann kam das Thema immer wieder auf, zum Beispiel mit Bill Clinton. Ich glaube aber schon, dass die Wahl von Donald Trump viele Menschen aufgeschreckt hat, vor allem Frauen. Sie sagen jetzt: Wir lassen uns Frauenfeindlichkeit nicht mehr gefallen. Unter diesem Präsidenten hat die Debatte über sexuelle Belästigung mehr Wucht.

Harvey Weinstein, Kevin Spacey, Louis C.K. - in der Unterhaltungsbranche geht gerade eine Karriere nach der anderen zu Ende. Auch Trump haben mehr als zwölf Frauen beschuldigt, sie sexuell belästigt zu haben. Wieso haben die Vorwürfe gegen ihn keine Konsequenzen?

Politik und freie Wirtschaft funktionieren in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich. Die Unterhaltungsbranche versucht mit den schnellen Entlassungen auch, Zuschauer und damit Kunden zu halten. In der Politik funktioniert das anders. Dort entscheiden die Wähler, welches Verhalten sanktioniert wird. Und dabei spielen dann eben immer auch Parteizugehörigkeiten und Machtkalkül eine Rolle.

Das führt dazu, dass Trump zwar den demokratischen Senator Al Franken für Belästigungsfälle kritisiert, aber den Republikaner Roy Moore verteidigt - obwohl dem sogar Belästigung von minderjährigen Mädchen vorgeworfen wird.

Genau. In der Politik werden solche Vorwürfe dann oft als Verleumdungskampagne abgetan, die von der politischen Gegenseite lanciert wird. Viele Republikaner gehen außerdem nicht so weit, sich gegen einen Kandidaten zu stellen, der von Donald Trump unterstützt wird. Sie fürchten um ihre eigenen Sitze im Kongress und wollen Trumps Kernanhängerschaft nicht gegen sich aufbringen. Diese Kernanhängerschaft bildet keine Mehrheit der Wähler, aber diese Leute stehen zu ihm, egal was passiert.

Ist das eine Strategie, die Erfolg verspricht - auch auf längere Sicht?

Sie hat ein Risiko: Die Republikaner haben schon lange Probleme damit, Wählerinnen für sich zu begeistern. Diese Vorwürfe gegen hochrangige Politiker und der Umgang der Partei damit könnten sie dort weitere Stimmen kosten. Bei den Wahlen, die es kürzlich in Virginia gab, haben Demokraten gewonnen. Das ist sehr ungewöhnlich, normalerweise gewinnen bei Wahlen im ersten Jahr der Präsidentschaft einer neuen Partei immer die neuen Machthaber. Ob das ein schlechtes Omen für die Republikaner war, wird sich nächstes Jahr bei den Kongresswahlen zeigen.

Die Republikaner haben immer betont, dass sie für konservative, religiöse Werte stehen. Dazu gehört auch der Schutz der traditionellen Familie, von Kindern. Wie rechtfertigt die Partei, dass ihre Wähler trotzdem für jemanden stimmen sollen, dem Übergriffe auf Mädchen im Teenageralter vorgeworfen werden?

Da gibt es verschiedene Lager. Viele glauben einfach nicht, dass die Vorwürfe wahr sind. Das lässt sich noch einigermaßen nachvollziehen. Auch wenn im Fall von Roy Moore nichts dafür spricht, dass die Frauen, die ihn beschuldigen, lügen. Das zweite Lager glaubt den Frauen zwar, so wie Kay Ivey, die Gouverneurin von Alabama. Aber Ivey ruft trotzdem dazu auf, Roy Moore zu wählen, weil sie die republikanische Mehrheit im Senat um jeden Preis erhalten will. Das ist logisch nicht mehr nachvollziehbar. Aber es wird mit rhetorischen Tricks scheinbar plausibel gemacht. Zum Beispiel, indem man darauf hinweist, dass auch die politischen Gegner nicht moralisch einwandfrei sind.

Zur Wählerschaft der Republikaner gehören traditionell die evangelikalen Gemeinden in den USA. Wie ist denen diese Abwendung von moralischen Prinzipien zu erklären?

Die meisten Oberhäupter von evangelikalen Gemeinden sind heute Republikaner. Und die stellen Parteipolitik über ihre religiösen Werte. Es ist ihnen wichtiger, dass die Republikaner konservative Richter an die obersten Gerichtshöfe berufen als dass ihre politischen Vertreter moralisch leben. Ihnen gefällt, dass Roy Moore in seiner Zeit als Richter eine Tafel mit den zehn Geboten im Gerichtsgebäude aufgestellt hat - auch wenn das gegen die Verfassung verstieß. Oder dass er Beamte anwies, homosexuelle Paare nicht zu trauen, obwohl der Oberste Gerichtshof die Ehe für alle ermöglicht hat. Für sie heiligt der Zweck die Mittel, auch wenn sie das so nicht formulieren würden. Es gibt vereinzelt ein paar sehr fromme Evangelikale, die Trump und andere Republikaner kritisieren. Aber die sind in der Minderheit.

Sehen die Gemeindemitglieder das genauso?

Das Public Religion Research Institute, für das ich arbeite, hat dazu eine interessante Studie gemacht. Eine Umfrage unter Evangelikalen ergab im Jahr 2011, dass nur 30 Prozent der Meinung waren, dass eine Person, die im Privatleben unmoralisch handelt, in ihrer öffentlichen Funktion trotzdem moralische Entscheidungen treffen kann. 2016, kurz vor der Wahl, haben wir die Umfrage wiederholt und plötzlich waren es 72 Prozent, die das glaubte. Die Argumente, die Politiker und Kirchenvertreter anführen, um die Republikaner trotz Skandalen als einzig wählbare Partei zu präsentieren, fruchten also.

Können Sie sich vorstellen, dass die Vorwürfe der Frauen gegen Donald Trump irgendwann doch noch Konsequenzen haben werden?

Nein, das glaube ich nicht. Weil er gewählt wurde, obwohl die Vorwürfe bekannt waren. Falls die Demokraten wieder beide Kongresskammern übernehmen, könnte es sein, dass eine Untersuchung angestrengt wird. Ich habe aber trotzdem Hoffnung. Seit Trump im Amt ist, stellen sich auf allen politischen Ebenen an vielen Orten viel mehr Frauen zur Wahl - aus Wut. Es ist wichtig, dass mehr Frauen in der Politik sind, denn das wird auch den Umgang mit Themen wie sexueller Belästigung verändern.

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