Metoo-Debatte:Kann Hollywood sich selbst heilen?

Salma Hayek; Frida

Star, Produzentin - und doch öffentlich gedemütigt von Harvey Weinstein: Salma Hayek in "Frida".

(Foto: LMK Media/interTOPICS)

Salma Hayeks Vorwürfe gegen den Produzenten Harvey Weinstein zeigen, dass Machtmissbrauch und Sexismus in der Filmbranche nicht nur System haben, sondern sich gegenseitig bedingen.

Von Susan Vahabzadeh

Anstand ist ein dehnbarer Begriff. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences hat vergangene Woche einen neuen Verhaltenskodex veröffentlicht, und darin wird Anstand verlangt von allen Mitgliedern, denen die Ehre zuteil wurde, über die Oscars abstimmen zu dürfen - ansonsten, steht da, behalte sich die Academy disziplinarische Maßnahmen bis zum Ausschluss vor. Auch die Antwort auf die Verletzungen der ethischen Grundsätze ist also dehnbar. Die Filmbranche hat sich nach dem Skandal um die sexuellen Übergriffe des Filmproduzenten Harvey Weinstein, der über Jahrzehnte hinweg Frauen missbrauchte, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, fest vorgenommen, dass alles anders wird.

Es ist ja auch einiges zum Aufräumen da, es gab Skandale um Kevin Spacey, Produzenten, Fernsehschauspieler - sogar ein Fernsehkoch wurde diese Woche gefeuert wegen sexueller Übergriffe. Und auch über Weinstein gibt es immer wieder mehr zu berichten: Inzwischen haben sich etwa siebzig Frauen öffentlich gemeldet, nun auch die Schauspielerin Salma Hayek. Sie schreibt in der New York Times darüber, wie sie für ihr Herzensprojekt "Frida" (2002) einen Geldgeber und Co-Produzenten brauchte - und so bei Weinstein landete. Weinstein belästigte sie immer wieder. Auf ihr kategorisches Nein reagierte er so lange mit Wutanfällen und Strafaktionen, bis er fast den gemeinsamen Film kaputt gemacht hatte. Er sagte zu ihr, er könne sie umbringen, drohte immer wieder, das ganze Projekt platzen zu lassen. Dann fiel ihm eine Methode ein, wie er Salma Hayek richtig demütigen konnte, vor Publikum: Er nötigte sie, eine Sexszene zu drehen, nackt - sonst würde er ihren Film fallen lassen. So sieht Frauenfeindlichkeit aus: Eine erfolgreiche Schauspielerin, die es zu ihrer eigenen Filmfirma gebracht hat, sozusagen strippen zu lassen, damit sie ihre Arbeit machen darf.

Die Academy hat Weinstein mittlerweile hinausgeworfen, sie behält sich auch in Zukunft Einzelfallprüfung vor, wenn gegen jemanden Vorwürfe laut werden; auch, was die schweigende Duldung sexueller Übergriffe angeht. Eine leere Drohung ist das nicht. Kann Hollywood sich selbst heilen? Man will es wenigstens versuchen - auch weil die Frauen, die ja gerade bei den Nachwahlen in Alabama bewiesen haben, dass ihre Stimme eben doch zählt, sonst nicht gut zu sprechen wären auf das Kino. Und sie sind Publikum.

Die Filmbranche ist nun mal ein hochattraktives Terrain für Größenwahnsinnige

Die Filmbranche ist in einer Zwickmühle: In den USA der Ära Trump wird der ganzen Unterhaltungsindustrie vorgeworfen, sie sei elitär. Schon deswegen bemüht sich jeder zu betonen, dass es Belästigung überall gebe und Hollywood keine Sonderstellung einnähme. Das stimmt aber so nicht ganz. Die Filmbranche ist anders strukturiert, und sie ist nun mal ein attraktiveres Terrain für Größenwahnsinnige.

Eine ganze Reihe der Übergriffe, die in den vergangenen Wochen enthüllt wurden, fanden auf Festivals statt, viele der Fälle spielten sich in Cannes ab, oder beim Festival in Sundance, wo Weinstein Rose McGowan vergewaltigt haben soll, der spektakulärste Fall. Das hat gute Gründe. Festivals sind nicht von dieser Welt. Zwei Wochen lang bleibt die Branche da unter sich, und die Geschäfte sind eine willkommene Entschuldigung für einen Partymarathon auf Firmenkosten. In einem kleinen Ort wie Cannes oder Park City, wo das Sundance Festival stattfindet, dreht sich alles nur ums Kino - und in den Luxushotels thronen die wichtigsten Produzenten und fühlen sich wie Könige. In einer großen Stadt gibt es ein Korrektiv, das einen wie Weinstein daran erinnert, dass nicht mal jeder weiß, wer er ist. In der abgeschlossenen Welt eines Festivals wird so jemand ganztags hofiert, bis er selber glaubt, es gelte nur sein Gesetz.

Sundance wird nun im Januar das erste der großen Festivals sein, das in der Post-Me-Too-Ära stattfindet. Festivaldirektor John Cooper hat angekündigt, es werde einen Schwerpunkt zum Thema sexuelle Übergriffe geben - einen Dokumentarfilm über die Anwältin Gloria Allred, die oft solche Fälle übernimmt, hatte man sowieso schon im Visier, nun sollen Dokumentationen und Podiumsdiskussionen dazukommen. Viel mehr kann ein Festival nicht tun. Sundance bemüht sich ohnehin um einen hohen Frauenanteil unter den Regisseuren, deren Filme gezeigt werden. Und das rührt an das eigentliche Problem: Hinter der Kamera sind Frauen in Hollywood selten. Die Machtverteilung ist festgelegt.

Die Gleichstellungsbehörde ermittelt gegen die ganze Branche wegen Frauen-Benachteiligung

Es geht dabei nicht nur um die Führungsetagen der großen Produktionsfirmen und Studios, obwohl Salma Hayek mit einer Frau an Weinsteins Stelle andere Erfahrungen gemacht hätte. Man hat beim Sony-Daten-Hack vor zwei Jahren gesehen, wie wenig einzelne Frauen an der Spitze ändern. Die wichtigste Enthüllung damals war ein Mail-Verkehr, dem zu entnehmen war, dass die Oscarpreisträgerin Jennifer Lawrence bei "American Hustle" eine geringere Gage bekam als der objektiv unbekanntere Jeremy Renner - obwohl Sony damals von Amy Pascal geleitet wurde. Also von einer Frau.

Geld ist aber wichtig, es schafft nun mal Unabhängigkeit. So schrieb es die Schauspielerin und Filmemacherin Britt Marling unlängst für das Magazin The Atlantic auf - sie analysierte, wie Leute wie Harvey Weinstein und eine sehr ungleiche Verteilung des Geldes eine "Ökonomie der Zustimmung" erzeugen. Ihre These: Wo Geld und Macht so klar zugeordnet sind wie in Hollywood, lässt sich gar nicht mehr unterscheiden, wer aus freien Stücken mit wem im Bett war und wer gezwungen wurde. Sie selbst beschreibt da, wie auch sie von Weinstein aufs Zimmer gebeten wurde - und ging, als er ihr zu nahe trat.

Frauen in der Filmbranche sind immer noch eine Minderheit

Hollywood hat, was Frauen betrifft, in den letzten Jahren Fortschritte gemacht - aber sie bleiben überschaubar. Die Altersgrenze für Schauspielerinnen hat sich nach oben verschoben, und es gibt mehr Rollen für Frauen, die über Dekorationsobjekte hinausgehen. "Wonderwoman" wäre noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen, hätte als viel zu großes Risiko gegolten.

An der Präsenz auf der Leinwand insgesamt aber hat sich viel weniger getan. Martha Lauzen von der San Diego State University hat erst 2015 die 100 erfolgreichsten Filme des Jahres ausgewertet - nur ein Drittel der Rollen spielen Frauen. Weibliche Regisseure haben mehr weibliche Protagonisten in ihren Filmen, das kann man nachrechnen. Aber es gibt kaum Regisseurinnen in der Kino-Oberliga. Von den 1300 erfolgreichsten amerikanischen Kinofilmen, die zwischen 2002 und 2014 gedreht wurden, hatten nur 4,1 Prozent eine Regisseurin. Unter anderem deswegen ermittelt bereits seit 2015 die amerikanische Gleichstellungs-Bundesbehörde, die Equal Employment Opportunity Commission (EEOC), gegen die ganze Filmbranche wegen ihrer Einstellungspraxis und versucht, die systematische Benachteiligung von Frauen nachzuweisen.

Natürlich können sich Filmfirmen - in Kanada und in Großbritannien gibt es das schon - einen Verhaltenskodex für Dreharbeiten von Mitarbeitern unterschreiben lassen, um Belästigung einzudämmen. Effektiver wäre es, wenn Frauen nicht von vorneherein fast immer in den schwächeren Positionen in der Filmbranche wären. Das ist in Hollywood noch schwerer herzustellen als anderswo - weil fast alle Jobs von Agenten vermittelt werden. Jedes Mal, wenn für einen Film ein Regisseur oder Drehbuchautor engagiert wird, bekommt, wie auch bei Schauspielern, ein Agent seinen Anteil. Der Agent hat Interesse daran, seine teuersten Klienten zu vermitteln, weil das lukrativer ist - und wenn die Frauen geringere Gagen bekommen, werden sie zuletzt vorgeschlagen. Und so bleibt es dann auch bei den niedrigeren Gagen. Ein Teufelskreis.

Jessica Chastain hat das vor drei Wochen im Branchenblatt Hollywood Reporter beklagt - sie hat ihre eigene Produktionsfirma gegründet, aber wenn sie für ein Projekt darum bittet, dass die Agentur ihr eine Liste mit Autoren schickt, stehen nur Männernamen darauf: "Mir wird langsam klar, dass sie die Autoren anbieten, die höhere Gagen erhalten, weil sie Prozente dieser Gage bekommen. Da versteht man doch langsam, warum es so wenige weibliche Filmemacher gibt, oder? Bei Schauspielern verstehe ich das nicht: Warum ist eine erfolgreiche Agentur, die genau weiß, wer was bei einem Projekt bekommt, damit einverstanden, dass eine Klientin nur ein Drittel von dem bekommt, was ihrem männlichen Co-Star bezahlt wird? Nach ,Zero Dark Thirty' bekam ich viele Bücher mit weiblichen Hauptrollen. Und mein Deal wurde erst gemacht, wenn die männliche Hauptrolle besetzt war - damit man sieht, was übrig ist."

Eine Agentur hat nun erste Versuche beschlossen, sich selbst zu beurteilen - ICM, wo etwa die "Grey's Anatomy"-Erfinderin Shonda Rhimes unter Vertrag steht, will bis 2020 auf allen Ebenen eine Frauenquote von 50 Prozent einführen - in der Hoffnung, dass Frauen wenigstens nicht aus irrationalen Gründen die Interessen ihrer Klienten verraten.

Sonst hilft nur noch die Untersuchung der Gleichstellungsbehörde. Die Behörde kommentiert ihre Untersuchungen ausschließlich, wenn sie gerichtlich gegen eine Branche vorgeht - das ist bislang nicht passiert. Von der ganzen Untersuchung hat die Öffentlichkeit nur erfahren, weil die Regisseurin Catherine Hardwicke, die unter anderem "Twilight" inszeniert hat, die Presse informiert hat. Sie hatte vor den Ermittlern stundenlang ausgesagt, Mail-Verkehr zur Verfügung gestellt und beschlossen, auch dazu zu stehen. Sie ist damit ein hohes Risiko eingegangen - denn beliebt hat sie sich bei den Studios mit ihrer Offenheit nicht gemacht. Immer wieder berichten Schauspielerinnen und Regisseurinnen davon, wie gefährlich es ist, sich zu beschweren. Sogar Jennifer Lawrence, die derzeit zu den erfolgreichsten Stars überhaupt zählt, sagt im Interview mit dem Hollywood Reporter, dass sie immer Angst hat, als schwierig zu gelten. Schwierig, das ist so eine Art Codewort für schwarze Liste. Früher einmal durften Schauspielerinnen große Diven sein - aber damals war auch noch vollkommen klar, dass sie ansonsten nichts zu melden haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: