Solange Larry Gagosian der Art Cologne mit seiner Galerie fernblieb, musste Messedirektor Daniel Hug dafür immer neue Ausflüchte erfinden. Als der mutmaßlich mächtigste Galerist der Welt dann vor zwei Jahren endlich kam, war es vielen auch wieder nicht recht; zu protzig der Auftritt, zu aalglatt die Präsentation. Jetzt ist Gagosian wieder stiften gegangen, und die Begründung dafür klingt einigermaßen kurios: Gleich nach Eröffnung der letzten Messe, so Hug, schmiss eine unvorsichtige Besucherin am Gagosian-Stand eine kippelige Franz-West-Statue um, dann belagerte die berüchtigte Nacktkünstlerin Milo Moiré das Areal, und schließlich versuchte der Hund eines Besuchers eine lebensechte Hundeskulptur von Piero Golia zu verbellen. Offenbar dachten die Gagosian-Mitarbeiter, sie wären unter die Banausen und Barbaren gefallen.
Der Markenkern der Messe bleibt das Rheinland als Sehnsuchtort
Vermutlich ist Gagosian, der sich persönlich in Köln nie blicken ließ, ohnehin der falsche Gradmesser für die anhaltende Renaissance der Art Cologne. Als älteste, aber schon lange nicht mehr wichtigste Kunstmesse der Welt zehrt diese von einer Vergangenheit, in der sich der Markt an der Kaufkraft von Ärzten, Mittelständlern und sammelsüchtigen Schokoladenfabrikanten orientierte und multinationale Großgalerien mit neunstelligen Umsatzzahlen schlichtweg undenkbar waren. Mit diesem Selbstverständnis bildet die Art Cologne auch heute den deutschen Kunstmarkt perfekt ab, der, so eine jüngere Erhebung, lediglich ein Prozent zum weltweiten Kunsthandel beiträgt.
Statt Gagosians Weltfirma grüßt jetzt die Berliner Galerie Neu am Eingang zur 53. Art Cologne, die noch bis Sonntag geöffnet ist. Der Stand ist deutlich kleiner, die Kunst dezenter (der Blickfang ist ein Cappuccino-Flecken-Bild von Manfred Pernice) und Cosima von Bonins mit Schaumstoff ausgepolsterte Zaun-Skulptur gegen Sturzschäden weitgehend immun.
Ansonsten bietet der erstaunlich weitläufige Eingangsbereich der von drei auf zwei Stockwerke verdichteten Messe das gewohnte Stelldichein international führender Galerien. David Zwirner hat Großformate von Neo Rauch und einen Schlitten mit Joseph Beuys'scher Grundausstattung (Fett, Filzdecke, Taschenlampe) mitgebracht. Bei Daniel Buchholz lässt Isa Genzken mit Abfall behängte Schaufensterpuppen vor vergoldeten Spiegeln tanzen. Und Karsten Greve zeigt ein Schwarzbild von Pierre Soulages in Kombination mit einer hingekrakelten Venus von Cy Twombly. Alles vom Feinsten und nicht gerade billig. Um sich stilvoll zu ruinieren, muss niemand nach Basel, London oder Maastricht fahren. Das geht auch in Köln.
So weit die schillernd-bunte Theorie. In der Praxis hat Daniel Hug die Messe von zuletzt 210 auf 176 Galerien verkleinert, um den bislang unterm Dach geparkten Neumarkt junger Galerien besser an die Besucherströme anzubinden. Das funktioniert auf Anhieb so gut, dass selbst der verpeilteste Nachwuchshändler den Blick mitunter von Laptop oder Smartphone heben muss.
Bei Rob Tufnell gibt es in dieser Sektion outsiderische Fantasie-Geldscheine von Andreas Maus zu sehen, Ghislaine Leung zeigt bei Essex Street zwei Säulen aus schwarzen und weißen Luftballons (allerdings ohne Haltbarkeitsdatum) und bei Emalin stößt der Besucher auf Aslan Gaisumovs "Household", eine der wenigen offen politischen Arbeiten der Messe. Gaisumov blockiert den Stand mit zwei hölzernen Transportkisten, an der Wand findet sich der Hausrat von Kriegsflüchtlingen penibel aufgelistet. So verwischt die Grenze zwischen Lebensdrama und Werkangaben, und selbstredend bleibt dabei ungeklärt, ob sich in den Kisten überhaupt etwas befindet.
Die Großgalerie Hauser & Wirth hat aus ihren Kisten nur eine einzige Künstlerin ausgepackt und mit einer atelierfrischen Soloschau zu Rita Ackermann den Messehöhepunkt geliefert. Die gebürtige Ungarin spielt virtuos mit dem Widerspruch von gegenständlicher Zeichnung und abstrakter Übermalung, sie lässt skizzenhafte Figuren in einem Meer leuchtender Farbtöne versinken (oder daraus wieder auftauchen) und verwandelt die Leinwand in eine beinahe klassische Arena. Linie kämpft gegen Farbe, Gedanke gegen Emotion. Am Ende siegt die Malerei.
Solchen Epiphanien zum Trotz bleibt der Markenkern der Art Cologne das Rheinland als Sehnsuchtsort. Wer in der Abteilung für Nachkriegskunst noch Zero oder Gerhard Richter hat, stellt sie in die erste Reihe, und Sprüth Magers, vor Jahren aus Köln nach Berlin abgewandert, bekräftigt mit Großformaten von Astrid Klein, Walter Dahn und Rosemarie Trockel ihre Heimatkompetenz.
Mitunter nimmt diese Sehnsucht nach der vergangenen Größe des Rheinlands tatsächlich historische Züge an. So zeigt Julian Sander Aufnahmen seines Urgroßvaters August Sander, darunter zwölf, die nach seiner Überzeugung bereits 1927 im Kölnischen Kunstverein an den Wänden hingen. Mit der damaligen Ausstellung wurde aus dem Betreiber eines kleinen Kölner Fotoateliers der Schöpfer der epochalen "Menschen des 20. Jahrhunderts", und ganz nebenbei kehrt man vor den Aufnahmen in eine Zeit zurück, in der es ausweislich der Sander'schen Originalnotizen den schönen Beruf des "Kunstgelehrten" gab.
Die Standmiete liegt um 17 Prozent höher, doch von Enteignung spricht niemand
Am Ende geht es aber auch bei dieser Messe ums Geschäft - und in das starteten sämtliche Galerien dieses Jahr mit einer nicht unbedeutenden Hypothek. Um die Ausfälle durch die geringere Teilnehmerzahl auszugleichen, erhöhte Daniel Hug die Standmiete um 17 Prozent, was doch verdächtig nach Luxussanierung klingt. Trotzdem scheint dieser Köln-Soli selbst bei den zahlreich aus Berlin angereisten Händlern vorerst keine Enteignungsfantasien zu entfachen.
Ähnlich entspannt (oder auch nur defätistisch) wurde das zuletzt heiß diskutierte Thema Mehrwertsteuer abgehandelt. Zuweilen machte sich sogar spöttische Erheiterung darüber breit, dass derselbe deutsche Staat, der den Galerien vor einigen Jahren den vollen Steuersatz aufbürdete, nun auf europäischer Ebene für die ermäßigte Mehrwertsteuer auf Kunstobjekte werben will. "Ob ich das noch erlebe?", fragte Johannes Schilling von Boisserée und gab sich selbst die Antwort, indem er für die Messe ein massives Hoffnungszeichen von Robert Indiana aus Paris einfliegen ließ. Am zweiten Tag steckte das Ding zwar noch im Kölner Zoll fest. Aber auch das lehrt die Geschichte der Art Cologne: Nur wer aufgibt, hat verloren.