Messe für Video-Spiele:Ob hier geballert wird? Aber Halo!

1,13 Milliarden Euro Umsatz: Wenigstens der Markt der Videospiele boomt. So sonnt sich auch die Leipziger "Games Convention" in lauter Freude. Doch täuschen die großen Zahlen über die Probleme der Branche hinweg. Sie sind allerdings nicht nur ökonomischer Natur.

TOBIAS MOORSTEDT

Es ist einsam um den Mann am Stand H 14. Er sitzt im dunklen Anzug am Stand der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Auf den Sperrholztisch hat er Broschüren gelegt wie ein Full House. ¸¸Info zum Jugendmedienschutz" steht darauf. Niemand will sie lesen. Der Stand der Bundesprüfstelle befindet sich in seriöser Nachbarschaft, links präsentiert sich das Deutsche Kinderhilfswerk, rechts der WorldWildlifeFund. Die Halle 2 ist der Ort des guten Gewissens auf der Videospielmesse ¸¸Games Convention" in Leipzig. Dort gibt es Warnungen, pädagogische Spiele und den einzigen komplett analogen Ort, den Kindergarten, mit Bauklötzen und Schaukelpferd. Zu behaupten, die ¸¸Games Convention" würde die kontroversen Fragen des Medienphänomens Videospiele ignorieren, wäre deshalb falsch; dass diese Fragen nicht im Zentrum des Interesses stehen, ist hingegen empirisch leicht zu belegen.

Messe für Video-Spiele: Wer die letzten Jahre nicht auf einem fernen Mond verbracht hat und sich auch nur einen Wimpernschlag lang für Videospiele interessiert hat, der weiß: Das hier ist "Master Chief" - endlich angekommen in Folge II des Halo-Dramas.

Wer die letzten Jahre nicht auf einem fernen Mond verbracht hat und sich auch nur einen Wimpernschlag lang für Videospiele interessiert hat, der weiß: Das hier ist "Master Chief" - endlich angekommen in Folge II des Halo-Dramas.

Vor dem Stand A02 wartet eine lange Menschenschlange. Ein Mann schreit in ein Mikrophon. Aber er muss gar nicht locken, schließlich wird hier der lang ersehnte Nachfolger des Erfolgsspiels ¸¸Halo" vorgestellt, in dem der Spieler mal wieder die Welt mit der Plasmakanone retten kann. Mehr als 100 000 Videospiel-Fans waren dem Messe-Motto ¸¸Come:Play" gefolgt und besuchten die größte Videospiel-Veranstaltung in Deutschland - eine Leistungsschau für den ¸¸drittwichtigsten Markt" der Welt, der mit 1,13 Milliarden Euro Umsatz größer ist als der Kinomarkt. Doch die großen Zahlen täuschen nicht über die Probleme der Branche hinweg. ¸¸Games in der Krise?", fragt besorgt das Fachmagazin GEE. Und jeder, der diese Frage nicht nach rein ökonomischen Kriterien beantwortet, muss wohl sagen: Wahrscheinlich ja. Spielekonzerne wie Electronic Arts, Capcom oder Activision sind börsennotierte Unternehmen und teilen eine gravierende Blockbuster-Fixierung mit den Kollegen aus Hollywood. Zu den besten Spielen wurden in Leipzig dann auch ausschließlich Fortsetzungen von etablierten Spielkonzepten gewählt: ¸¸Metal

Gear Solid 3", ¸¸Grand Tourismo 4" oder ¸¸Resident Evil 42". Einige graphische Verfeinerungen und die Online-Option müssen als Kaufanreiz ausreichen.

Ob hier geballert wird? Aber Halo!

Auf mehr als 55 000 Quadratmetern wurde ein Vergnügungspark aufgebaut - Pappe und Plastik ersetzen dabei die Pixel und Polygone. Der Messestand der Firma Ubisoft etwa sieht aus wie ein US-Armeelager: Tarnnetze, Munitionskisten, Maschinengewehre. Der Spieler sitzt auf einem unbequemen Klappstuhl neben einem zerschossenen Jeep, die apokalyptische Kulisse dient dabei als Hilfsmittel zur totalen Immersion des Spielers in die Kampfzone. Es herrscht Krieg im Cyberspace, noch nie wurden so viele Kriegsspiele produziert wie 2004. Das Magazin Play schrieb angesichts der Flut von Spielen wie ¸¸Shellshock NAM"67" oder ¸¸Vietcong: Purple Haze" vom ¸¸Trend-Szenario Dschungelkrieg". Der Wüstenkampf war letzte Saison.

Der Sony-Messestand sieht aus wie ein U-Bahn-Wagon. Die Besucher sitzen auf abgewetztem Leder, blicken ihr Gegenüber nicht an, sondern hinein in die Leere des Bildschirms. Alles wie im Alltag also, und doch ein schönes Symbol für den gegenwärtigen Trend zur mobilen Unterhaltung. Sowohl Sony als auch Nintendo stellen auf der Messe portable Konsolen vor. Und auch die so genannten ¸¸Casual Games" für Mobiltelefone - kleine Puzzlespiele und Geschicklichkeitsübungen - bringen das Videospiel aus dem Wohnzimmer wieder auf die Straße. Diese neuen Produkte führen jedoch paradoxerweise zu einer Reduzierung von Komplexität und Qualität der Spiele. Ähnliches gilt auch für das laut Jury ¸¸innovativste" Produkt der ¸¸Games Convention", den 3D-Controller ¸¸Gametrak". Das Controller-System besteht aus zwei Handschuhen, die durch ein Kabel mit einer Box verbunden sind und so die realen Bewegungen des Spielers messen. Die Jury lobte, dass die neue Technologie dem Spieler neue Handlungsräume erschließe. Der Körper wird zum Joystick. Doch im Cyberspace spukt der Geist von Heidegger. Mehr Technik schafft nicht automatisch neue Freiheiten, sondern beschneidet die Superkräfte der Videospielfigur. Wer kann schon mit eigener Kraft wie Spiderman durch den urbanen Urwald turnen?

Auf der Messe programmieren Player, PR-Personen und Professoren am Bild der ¸¸neuen Spieler", keine pickeligen Teenager, sondern Menschen, die zusammen mit dem Medium erwachsen geworden sind. In Grußworten und Marktstudien loben Philosophen des Entertainment-Zeitalters wie der Zukunftsforscher Peter Wippermann ¸¸die Generation der Netzwerkkinder", die ¸¸gezielt die Möglichkeiten nutzt, welche die Medienvielfalt ihnen bietet". Auf der Messe aber verwandeln sich die Netzwerkkinder in tumbe Cyberpunks. ¸¸Hände hoch", befiehlt einer der Mikrophon-Menschen, und die Hände fliegen tentakelgleich aus der Masse, um sich Werbegeschenke zu greifen. Immer fliegt etwas - Schlüsselbänder, Aufkleber -, um die Leute bei Laune zu halten. ¸¸Wozu braucht ihr die ganzen Schlüsselbänder", fragt der Moderator. Er sagt nicht: Euch sind doch so viele Türen versperrt.

Am Ende des Abends liegen die Besucher wie bewusstlos vor den Monitoren. Die Controller bleiben liegen. Die Interaktivität lockt nicht mehr. Der Branchenführer ¸¸Electronic Arts" hat aus Leinwänden ein Haus gebaut - ein Theater der neuen Art. Die Softwarefirma zeigt ihre Werbetrailer in einer bislang einmaligen 360-Grad-Projektion, mit Boxen unter den Sitzen und Scheinwerfern, die bis in die Gehirne hinein blitzen. In der Lounge mit weißen Sesseln ist man nicht, um zu entspannen, sondern um sich hypnotisieren zu lassen. Hier zeigt sich die wahre Kraft des Videospiels: Die Maximierung der Spezial-Effekte.

In der Electronic-Arts-Lounge scheint ein Traum von Alfred Hitchcock endlich wahr zu werden, der sich wünschte, keine Filme mehr drehen zu müssen. Sondern: ¸¸There will be electrodes implanted in the audience-brain and we"ll just press different buttons and they"ll go oooh and aaah and we will frighten them and make them love. Won"t that be wonderful?"

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