Messe:Eiskrem für Milliardäre

Messe: Künstleralltag zwischen Bett und Sofa: Stephen Shore: "July 22nd, 1969" (Detail).

Künstleralltag zwischen Bett und Sofa: Stephen Shore: "July 22nd, 1969" (Detail).

(Foto: The Artist, courtesy 303 Gallery, New York)

Die Besucher der New Yorker Frieze wissen: Der Wahnsinn ist immer dort, wo sie nicht sind. In der benachbarten psychiatrischen Anstalt etwa, oder in den Auktionssälen.

Von Peter Richter

Dass die New Yorker Ausgabe der Frieze auf der nur kompliziert zu erreichenden Randall's Island stattfindet, das liegt - darüber kann im vierten Jahr der Messe kein Zweifel mehr sein - daran, dass dort auch die geschlossene Psychiatrie zu finden ist. Jeder Rausch lebt von der Nähe des Abenteuers zu dem Abgrund, den es umkreist, steht irgendwo bei Ernst Jünger, nicht ganz wörtlich, aber sinngemäß. Außerdem kann auf Randall's Island nun jederzeit die Frage gestellt werden, in welchem Komplex eigentlich häufiger von Wahnsinn die Rede ist.

Wer einmal auf der entlegenen Frieze-Insel ist, kommt so schnell nicht wieder weg

In dem langen Zelt der Frieze wurde diese Diagnose bei der Preview am Mittwoch vor allem den Auktionsergebnissen dieser Woche ausgestellt. Christie's hat es nun also geschafft, dass die Kunstwelt ihre erste "Billion Dollar Week" erleben darf: Mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz in nur drei Tagen. Zu den 705,9 am Montag eingespielten Millionen für Kunst des 20. Jahrhunderts kamen bis Mittwoch noch einmal 658,5 Millionen für Zeitgenössisches dazu. Dass keiner weiß, wie viel davon wirklich bei dem Auktionshaus hängen bleibt und ob dieser Wahnsinn also überhaupt profitabel ist - das ist das eine, was hier für Kopfkratzen sorgt.

Das andere ist die Frage, wo die offenbar unbegrenzten Geldmittel eigentlich herkommen. Die brutale Shopping-Power aus entferntesten Teilen der Welt macht selbst New Yorker Normalmilliardäre inzwischen ratlos. Wahnsinn sei das, und in diesem "Wahnsinn" geben sich sportliche Rekordbegeisterung und leichte Sorge vor der Irrationalität dessen die Hand, was da auf dem sogenannten Secondary Market los ist. Auf der Messe selbst, dem First Market, hält man sich hingegen für normal und gesund. Aber auch das, wissen die Ärzte von nebenan, kann ja eine böse Täuschung sein.

Es ist nicht so, dass es ruhig wäre, oder gar lau, aber was stimmt, ist: Das ganz große, hysterische Gebrumme fehlt diesmal, der sogenannte buzz. Trotzdem behauptet gleich eines der ersten Titelschildchen am Eingang, dass es ausschließlich darum gehe: "It's The Buzz, Cock!, 2015" Herrlich: Linder aka Linder Sterling aka Linda Mulvey aus Manchester, die Grande Dame des Punk in Kunst, Musik und Feminismus, hat die Nackerte mit dem Bügeleisenkopf, die 1977 die Buzzcocks-Single "Orgasm Addict" schmückte, noch einmal in groß auf einen Leuchtkasten gezogen.

Die Galerie Modern Art aus London hat in einer Einzelpräsentation alte und neuere Collagen der Britin nach New York gebracht. Die Buzzcocks selber sind schließlich auch dauernd da und spielen trotz ihres beträchtlichen Alters unverdrossen ihre Pubertierendenhymnen. Und weil man sich auf so einer Messe den roten Faden durch den Wust an sehr auf New Yorker Wohnungsgrößen berechneten Flachformaten und Objekten grundsätzlich selber legen muss, könnte man von hier aus nach weiteren visuell unerschrockenen englischen Feministinnen Ausschau halten.

Man würde dann zum Beispiel bei der Galerie Silberkuppe aus Berlin Halt machen, die jetzt die jetzt 71-jährige Margaret Harrison vertritt, die einst Hugh Hefner als Playboy-Bunny karikierte. Die erste Arbeit, die am Eröffnungstag verkauft wurde, zeigt ein irgendwie kastriert wirkendes Wesen mit Pumps und Echsenschwanz.

Das ist übrigens auch ein probater Weg, sich einen Überblick zu verschaffen: Aus sportlichem Interesse fragen, was als allererstes wegging. Bei Zwirner war das eine weiße Skulptur aus dem Nachlass von Franz West, von dem man es jetzt auch Möbel im Angebot hat, die Sessel zu 30 000, das Sofa zu 70 000 Dollar. Der eigentliche Wahnsinn aber: Die Nachfrage nach dem gelackten Minimalismus aus dem Nachlass von John McCracken. Lecker Lackiertes, das auf Sammler eine Anziehungskraft zu haben scheint wie Eiskrem auf Kinder: Auch das wäre ein ergiebiges Thema für einen Messerundgang.

Aber zurück zu dem, was zuerst wegging: Bei Johann König war es eine Sitzbank von Jeppe Hein, der gerade im Brooklyn Bridge Park einen großen öffentlichen Auftritt hat. Bei Sprüth Magers ein Gemälde von Walter Dahn. Bei Ropac eine Skulptur von Tony Craig - und drei Warhols von der Hand Elaine Sturtevants. Und bei Gagosian war der komplette Stand lange vor der Messe ausverkauft, was daran liegt, dass es sich um sexy Selfies handelte, die Richard Prince bei Instagram heruntergeladen und auf Leinwand gedruckt hat. Diejenigen, die für diese Fotos posen, würden vermutlich noch viel größere Augen machen, wenn sie wüssten, was sie auf dem Kunstmarkt wert sind.

Beachtlich, dass die New Yorker Frieze in ihrer kurzen Geschichte bereits sieben Nebenmessen hervorgebracht hat, darunter auch erstmals eine für zeitgenössische Kunst aus Afrika. Einer derjenigen, der diese Messe mit auf den Weg gebracht hat, ist der Londoner Architekt David Adjaye, der gerade in Washington das Museum für afroamerikanische Geschichte baut.

Aber die Macher der Frieze, der neuen Haupt- und Zentralmesse von New York haben schon dafür gesorgt, dass kaum jemand, der bei ihnen ist, irgendwoanders hinkommt: durch den Standort Randall's Island. Stundenlang stockt der Verkehr auf der kleinen Insel, Superreiche, Beobachter und Lieferanten in einem einzigen Dauerstau egalisierend. Uber-Chauffeure beißen ins Lenkrad vor Verzweiflung, in den Fonds der Limousinen sieht man Milliardäre in ihrer Ohnmacht tonlos schreien. Die einzige freie Ausfahrt führt direkt zu den Gittertoren der Psychiatrie; man fände Ruhe dort.

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