Meryl Streep wird 70:Sich selbst riskieren

Meryl Streep wird 70: Mit den Komödien "Der Teufel trägt Prada" und "Mamma Mia!" erfand sich Meryl Streep nochmal neu.

Mit den Komödien "Der Teufel trägt Prada" und "Mamma Mia!" erfand sich Meryl Streep nochmal neu.

(Foto: Amin Akhtar/laif)

Zum siebzigsten Geburtstag von Meryl Streep, die geehrt wird wie keine andere Schauspielerin und es doch schafft, sich in jeder Rolle wieder neu aufs Spiel zu setzen.

Von Tobias Kniebe

Einen Moment muss man ja herausgreifen zu Beginn, stellvertretend für diese ganze gewaltige Karriere. Also vielleicht Michael Ciminos "The Deer Hunter / Die durch die Hölle gehen", warum nicht? Die sehr junge Meryl Streep spielt da eine russisch-orthodoxe Stahlarbeitertochter in den Bergen von Pennsylvania, gleich zu Beginn schlägt die Faust des betrunkenen Vaters einmal krachend in ihrem Gesicht ein. Aber sie rappelt sich immer wieder auf, wartet auf die Rückkehr ihres Kerls aus Vietnam.

Eines Tages ist es so weit, Robert De Niro steht völlig unangekündigt vor ihrem kleinen Haus, hinter dem so dramatisch die Hochöfen aufragen. Und als sie die Tür öffnet, schießt ihr das Blut in die Wagen, es liegt eine derart echte Überraschung in ihrem Gesicht, dass sie wie entblößt wirkt, in all ihrer Lebensfreude und Verletzlichkeit und Weiblichkeit. Und darum geht es ja wohl im Kino, solche durchscheinenden Momente herzustellen. Und diese junge Schauspielerin, das kann man in dem Moment erkennen, ist da wirklich schon vollständig auf der Höhe ihrer Kunst.

Durchscheinend wirkt Mary Louise Streep, genannt Meryl, die an diesem Samstag ihren siebzigsten Geburtstag feiert, erstaunlicherweise auch dann, wenn man ihr direkt gegenübersitzt. Jede kleine Aufregung, jede Aufgelöstheit vor der nächsten Filmpremiere darf dann ausstrahlen und gleichzeitig, in aller Schönheit und Natürlichkeit, strahlen. Selbst die Hände dürfen nervös an einer schweren Goldkette nesteln. Sie wirkt dann wie eine Frau, die keinen Schutzpanzer hat und auch keinen braucht, oder besser, die trotz all der Zumutungen und Sexismen einer Hollywoodkarriere immer der Versuchung widerstanden hat, sich einen solchen zuzulegen. Weil sie eben sehr früh auch intellektuell begriffen hat, dass die magischen Momente dann einfach versiegen würden, die doch passieren müssen, um Großes zu schaffen und sich selbst zu riskieren. Und das tut sie nun ganz bewusst und mit erstaunlichstem Effekt und manchmal auch wirklich verrückt bis heute, bis hin zu ihren neuesten, wieder sensationellen Auftritten in der Serie "Big Little Lies".

21 Mal wurde sie für den Oscar nominiert, drei Mal hat sie ihn gewonnen - ein Rekord

Aber kann die Verletzlichkeit, die damit einhergeht, noch real sein? Gefeiert, hochgeehrt, ausgezeichnet vor allen anderen ist Meryl Streep nun schon den Großteil ihres Lebens, das am 22. Juni 1949 in Summit, New Jersey, begann. Schon an der Yale Drama School, erinnert sie sich, war sie es, die alle Hauptrollen bekam, und ihre Mitstudentinnen hatten das Nachsehen. Dieser Trend hat sich fortgesetzt, bis hin zu inzwischen 21 Oscarnominierungen, ein absoluter Rekord, und drei Siegen: als Nebendarstellerin in "Kramer vs. Kramer" 1978, als Hauptdarstellerin in "Sophie's Choice" 1982, und für ihre wieder einmal fast todesmutige Darstellung Margaret Thatchers in "The Iron Lady" 2011. Bei den Golden Globes waren es sogar 31 Nominierungen bei acht Siegen, und mit Titeln wie "größte Schauspielerin ihrer Generation" wird sie fast schon routinemäßig konfrontiert.

Aber Meryl Streep ist eben auch eine der Klügsten ihrer Generation. Sie weiß, dass solche Ehrungen wie Gefängnisse sind, wo dann "die Größte" und "die Bedeutendste" in gusseisernen Lettern über der Zelle steht. Betreten hat sie diesen Kerker nie, sorgsam vermeidet sie es, darüber auch nur nachzudenken. Ihre Durchlässigkeit und Verletzlichkeit sind vielmehr mit einem Willensakt verbunden, immer neu gesucht und hergestellt, auf dem Weg in ungesichertes Terrain, zu den echten Erfahrungen. Nur deshalb ist sie heute so relevant wie vor zwanzig und auch vor vierzig Jahren.

Wilde Luftsprünge in Latzhosen

Manche Leitlinien ziehen sich dabei durch die Jahrzehnte hindurch, etwa ihr Gefühl für ernste, politische bewusste Themenstoffe - das reicht von der Fernsehserie "Holocaust" (1978) über den Anti-Atom-Thriller "Silkwood" (1983) bis in die jüngste Vergangenheit mit Steven Spielbergs "The Post" (2017), eine Verteidigung des Journalismus als Korrektiv der amerikanischen Politik. Oder die großen Liebesfilme, die nicht vor der Komplexität realer Beziehungen zurückschrecken, angefangen bei "The French Lieutenant's Woman / Die Geliebte des französischen Leutnants" (1981) über Sydney Pollacks "Jenseits von Africa / Out of Africa" (1985) bis zu "The Bridges of Madison County / Die Brücken am Fluss" (1995).

Andere Elemente kommen später dann wirklich neu dazu - etwa der diabolische Spaß, den sie haben kann, wenn sie sich von der Vorstellung einmal befreit, Wichtiges für den Film und Menschheit und die Rolle der Frau zu tun, und mit ihrem ehrfurchtgebietenden Status zu spielen beginnt. "The Devil Wears Prada / Der Teufel trägt Prada" war da 2006 noch einmal ein Schlüsselfilm, das Vorbild für ihre Rolle war die legendäre Vogue-Chefin Anna Wintour, und aus diesem Clash der Ikonen wurde dann ihr bis dahin größter Erfolg, der ihr ganz neue Generationen von Fans bescherte. Darin lag auch ein Moment der Befreiung, der dann endgültig Früchte trug, als sie 2008 die Hauptrolle im verfilmten Musical "Mamma Mia!" annahm.

Wie sexistisch Hollywood sein kann, merkte sie beim Produzenten Dino De Laurentiis

Wilde Luftsprünge in Latzhosen, Abba-Songs grölend vor griechischer Inselkulisse, wilde Haarsträhnen ums erhitzte Gesicht wehend - so konnte man sich Meryl Streep bis dahin nicht wirklich vorstellen, es war ein Schock und eine Offenbarung zugleich. Donna Sheridan - alleinerziehende Mutter, promiske Griechenland-Touristin, Pensionswirtin, Gründerin der Girlgroup "Donna and the Dynamos" - wurde die Figur in diesem Riesenwerk, die von den Zuschauern bisher am meisten Liebe erfahren hat, der Film ein Gute-Laune-Klassiker für jede Lebenslage, von Junggesellinnenabschieden bis zu Silvesterpartys. Mehr als 600 Millionen Dollar hat "Mamma Mia!" weltweit inzwischen eingespielt - mit weitem Abstand ihr größter Hit.

Aber auch solche Momente des Triumphs versteht Meryl Streep dann gleich sehr geschickt wieder umzuleiten - auf Themen, die größer sind als sie. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft zum Beispiel, eine Debatte, die ihr immer sehr wichtig war, und zu der selbst eine Figur wie Donna Sheridan etwas beizutragen hat. Denn natürlich ist Meryl Streep Feministin, in Worten, in Taten und oft auch in der Rollenauswahl.

Warum das so ist und so sein muss, mag eine Begebenheit mit Dino De Laurentiis illustrieren, der einmal in Italien und auch in Hollywood ein wirklicher Großproduzent war. Im Jahr 1976, als Meryl Streep am Broadway bereits erfolgreich war, aber noch nicht in einem Film mitgespielt hatte, sprach sie bei De Laurentiis für eine Rolle in dessen Remake von "King Kong" vor. Bevor es aber losging, richtete De Laurentiis ein paar italienische Worte an seinen Sohn: "Sie ist hässlich. Warum bringst du mir dieses Ding?" Er erschrak, als Streep in fließendem Italienisch antwortete - aber der Schock des mächtigen Mannes, dem damals nicht das Geringste passieren konnte, wird nicht allzu tief gewesen sein.

Durchscheinend bleiben, Verletzlichkeit zulassen, die eigene Seele öffnen und vor der Kamera immer wieder Wunder passieren lassen - diese Lebensleistung in sieben Jahrzehnten kann man kaum würdigen ohne ein Bewusstsein dafür, wie hart Hollywood einst für Frauen war und - aller Beteuerungen und Reformen zum Trotz - immer noch ist.

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