Es sind die Dinge, die der Mensch sich selber schafft, die ihn im Höchstmaß erstaunen. Naturwunder langweilen uns ein wenig in ihrer endgültigen Grandiosität. Der Bedarf an frischem dramatischen Nachschub, den der Kulturmensch verspürt, ist immens. Früher haben Kunst und Magie die Menschen in Erstaunen versetzt. Nicht erst seit heute sind es Technik und Wissenschaft.
Damit hat vieles angefangen: Die Microsoft-Gründer Bill Gates (rechts) und Paul Allen (links), im Jahre 1978.
(Foto: dpa)Im Jahre 1863 weigerte sich der Rittergutsbesitzer Graf Stolberg, neben dem Industriellen August Borsig zu sitzen, weil er den Hersteller für Lokomotiven für ungebildet hielt. Heute gäbe es eine technische Lösung für das Problem: Man hielte sich vor Computern auf und könnte sich, körperlich separiert und ungestört von sozialem Rang, unterhalten. Die Ressentiments aber sind geblieben.
Der ehemalige Chefredakteur des Online-Magazins Salon, David Talbot, ist nicht der Einzige, der "Geistesmülllawinen" im Internet beklagt. In seinem aktuellen Traktat "Gadget: Warum die Zukunft uns noch braucht" sieht der Virtual-Reality-Pionier Jaron Lanier im expandierenden Online-Universum nicht kollektive Intelligenz am Werk, sondern einen digitalen Mob. Der amerikanische Autor Nicholas Carr befürchtet, dass durch die vernetzten Maschinen unsere Gehirne aufgeweicht und vor lauter Links, googlebaren Ablenkungen und Meteorschauern aus Mails und Tweets die Fähigkeit zu tiefer gehender Beschäftigung mit einem Text im Absterben begriffen sei: Untergang Abendland.
Der Mob denkt sich seinen Teil dazu: "Die teilweise auf Nietzsche aufbauende These einer ,Kulturverflachung' aufgrund zunehmender Bedeutung der ,Massen' gegenüber den ,kulturtragenden Eliten' früherer Epochen ist ein wesentliches Element von Ortega y Gassets 1929 erschienenem Werk ,Der Aufstand der Massen' sowie vieler seine Gedankengänge fortführender Autoren", vermerkt die Wikipedia-Gemeinde.
Skepsis und Sorge begleiteten jede neuen Technologie in ihren Anfängen. So war es auch bei der Einführung des elektrischen Lichts. 1882 hielt mit den ersten 65 Kunden der Edison Illuminating Company in New York die künstliche Beleuchtung Einzug in die USA. In Paris gingen die Damen damals nachts mit Schirmen durch die Straßen, da sie Angst vor dem stechenden Licht der Bogenlampen hatten. Hundert Jahre später begann sich wieder eine neue Technologie auszubreiten. Wie immer mit dabei: die Angst vor dem Ende bedeutender zivilisatorischer Errungenschaften durch ein neues Medium. Bereits 1878 hatte Nietzsche befunden: "Die Summe der Empfindungen, Kenntnisse, Erfahrungen, also die ganze Last der Kultur, ist so groß geworden, dass eine Überreizung der Nerven- und Denkkräfte die allgemeine Gefahr ist." Auftritt Frank Schirrmacher.
Mit seiner Streitschrift "Payback" hat der FAZ-Vordenker eine Art Skript für ein intellektuelles B-Movie vorgelegt, in dem sich ähnlich wie bei Carr gehirnfressende Maschinensysteme, verbunden zum Internet, über unser Bewusstsein und unsere Aufmerksamkeit hermachen. Da das entsprechende Grusel-Œuvre nicht neu ist - in den sechziger Jahren hieß es wahlweise "Reizüberflutung" oder "Managerkrankheit", später "Information Overload" oder "Trödelfaktor" -, bedient Schirrmacher sich eines rhetorischen Tricks. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen Waldspaziergang zu beschreiben. Man kann sich von der Wahrnehmung einer Unzahl von Blättern und Tannennadeln überfordert sehen und eine Rückkehr zur humanistischen Gehölzwahrnehmungstechnologie fordern. Man kann aber auch einen Spaziergang durch einen Wald machen und erholt wieder nach Haus kommen.
Lesen Sie weiter auf Seite 2, welche Schreckensszenarien schon verbreitet wurden.