Geschichte der Sklaverei:Der Preis menschlicher Körper

Captives Being Brought On Board A Slave Ship On The West Coast Of Africa (Slave Coast) C1880

Sklavenschiff aus Westafrika, um 1880.

(Foto: Hulton Archive/Getty Images)

Früher waren es Kindersklaven in China oder "Hofmohren" in Preußen, heute sind es ausgebeutete Billiglöhner in Belgien, Großbritannien und Portugal. Ein neues Buch dokumentiert die Universalgeschichte der Sklaverei.

Rezension von Thomas Speckmann

Im April 2018 schlug der Europarat Alarm: Menschenhandel und Sklavenarbeit seien auf dem Vormarsch. Und dies geschehe nicht irgendwo auf der Welt, sondern in ganz Europa. Auf dem Kontinent breite sich Menschenhandel aus mit dem Ziel, seine Opfer als billige Arbeitskräfte auszubeuten. Diese Form der modernen Sklaverei habe nicht zuletzt in Belgien, Großbritannien und Portugal die sexuelle Ausbeutung als drängendstes Problem abgelöst.

Dabei werden nach dem jüngsten Jahresbericht der Expertengruppe des Europarates gegen Menschenhandel (GRETA) Männer häufiger als billige Arbeiter missbraucht als Frauen. Männliche Opfer finden sich etwa in der Gastronomie, Landwirtschaft, Fischerei und im Baugewerbe. Dagegen wird die Arbeitskraft von Frauen eher im Verborgenen ausgenutzt: in der Hausarbeit und Pflege.

Gemeinsam ist den Opfergruppen nicht nur, dass sie oft unter furchtbaren Bedingungen arbeiten müssen, sondern auch, dass sie vielfach nicht wagen, sich Hilfe zu suchen, zu sehr fürchten sie sich vor Abschiebung oder vor der Rache krimineller Netzwerke. Daher können Täter nur selten zur Verantwortung gezogen werden.

Gewalt von Menschen über den Körper anderer Menschen

Dürfte in der Öffentlichkeit kaum bekannt sein, wie aktuell das Thema in Europa ist, so lässt das Stichwort Sklaverei in der kollektiven Erinnerung der westlichen Welt in der Regel an Arbeitskräfte aus Afrika auf Plantagen in den amerikanischen Südstaaten denken. Umso erhellender ist Michael Zeuskes Globalgeschichte der Sklaverei.

Der Professor für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte an der Universität Köln erinnert daran, dass es Verschleppungen und Zwangsarbeit nicht nur schon gab, als die Menschen gerade erst sesshaft geworden waren, sondern dass es sie so gut wie überall gab.

Zeuske begibt sich auf eine Reise durch die gesamte Historie der Sklaverei in allen Regionen der Welt. Bislang einer größeren Öffentlichkeit eher unbekannte Stationen auf diesem Weg dürften chinesische Kindersklaven, osmanische Elitesklaven oder die "Hofmohren" in preußischen Residenzstädten sein.

Davon ausgehend spannt Zeuske den Bogen bis in die Gegenwart, in der Menschen auch weiterhin wie Waren behandelt und gehandelt werden - von Zwangsprostituierten bis Kindersoldaten.

Woher kommt diese Konstanz? Warum gibt es Sklaverei, den Besitz von Menschen, obwohl offiziell weltweit abgeschafft und verboten, in vielen Teilen der Welt immer noch? Wie kam und kommt es zu diesem globalen Phänomen - heute genauso wie durch die gesamte Weltgeschichte hindurch?

Bei der Suche nach Antworten auf diese Fragen hilft zunächst die Definition von Sklaverei, wie sie Zeuske vornimmt, da sie zugleich die Bereiche und Märkte beschreibt, in denen Sklaverei bis heute eine Rolle spielt: Es geht hier um Gewalt von Menschen über den Körper anderer Menschen, es geht in den allermeisten Fällen um körperlichen Zwang zu schwersten und schmutzigsten Arbeiten oder zu Dienstleistungen sowie Mobilitätseinschränkung.

Hinzu kommen sämtliche Formen und Folgen von Statusdegradierungen, wie besonders der entwürdigende Kauf und Verkauf von Menschen. Dabei existieren einzelne dieser Dimensionen - auch in Kombinationen - weiterhin. Heute werden sie in der Regel nicht mehr begründet mit der in Zeuskes Augen falschen, aber wirkungsvollen Theorie von eingefrorener "äußerer" Statusdegradierung im Sinne von Rassismus, sondern eher durch andere soziale oder ethnische Rangzuschreibungen.

Sexuelle Verfügung ist nach Zeuskes Analyse sogar noch immer verbunden mit einem der Hauptmerkmale formeller Sklaverei - dem Kauf und Verkauf sowie der des Zur-Ware-Werdens menschlicher Körper, oft im Rahmen irgendeiner Art illegaler Verschleppung oder Entführung. Jedoch bedeutet Sklaverei in Zeuskes Definition nicht nur sexualisierte Gewalt.

Auch die schlicht durch exzessive Gewalt erzwungene Arbeit für die jeweiligen Halter mache die Opfer zu Sklaven. Zeuske beklagt, dies sei heute meist keinen Medienbericht mehr wert. Allerdings erscheint diese Klage nicht vollends berechtigt angesichts der regelmäßigen Berichterstattung zumindest westlicher Medien über men-schenunwürdige Arbeitsbedingungen irgendwo auf der Welt.

Wie ein Motor aus menschlichen Körpern

Was hingegen in der Tat nicht mehr existiert, ist die Legitimierung und Institutionalisierung von Sklaverei durch formale Rechtssysteme sowie der Anspruch, ein einmal erworbenes Eigentum über das Mutterrecht - "Sklavenbauch gebiert Sklaven" - sozusagen legal zu verewigen. Aber selbst dies gilt nach Zeuskes zutreffender Beobachtung nur bedingt, womit er zum fundamentalen Problem vordringt: Sklavenstatus und Sklaverei scheinen ein nicht-evolutionäres Phänomen der Welt- und Globalgeschichte zu sein.

Sklaverei ist zwar in bestimmten Gesellschaften stärker in vorherrschende Wirtschaftssektoren wie Hauswirtschaft, Bergbau oder Plantagen eingebunden und wurde entsprechend geregelt, in der Antike etwa oder auf den Südstaatenplantagen. Nicht institutionalisiert hat sie jedoch in allen Gesellschaften bis heute existiert und existiert weiterhin.

Eine Erklärung hierfür könnte sein, was Zeuske die verschiedenen Epochen hindurch beobachtet: Sklavereien und unfreie Arbeit trieben wie ein Motor aus menschlichen Körpern die Dynamiken von Wirtschaft und Reichtum an. Demnach gibt es keine Epoche der "Sklavereigesellschaft", die ein für allemal überwunden ist, sondern nur Gesellschaften mit mehr oder weniger ausgeprägten, mehr oder weniger institutionalisierten Sklavereien. Grund genug, Alarm zu schlagen, nicht nur für den Europarat.

Michael Zeuske: Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute. Reclam Verlag, Stuttgart 2018. 303 Seiten, 28 Euro.

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