"Menschen bei Maischberger": Religion:Etwas, das wir nicht verstehen

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Schutz, Elfenbeinturm, Kasperletheater, Kindheitstrauma - in einer TV-Diskussion bei Sandra Maischberger ringen die Gäste um die Frage "Vergiftet Religion die Welt?".

Irene Helmes

"Oberfundi" kontra Gebärmaschinen. Ein Kardinal als angeblich homophober "Hassprediger". Edmund Stoiber will gar Tiger und Bär des "falschen Propheten" Janosch aus den Kinderzimmern verscheuchen. Mitten in einer turbulenten Diskussion hat Sandra Maischberger Menschen in ihre Sendung geladen, um zu fragen: "Vergiftet Religion die Welt?"

Sandra Maischberger lässt über Religion diskutieren (Foto: Foto: dpa)

Gleich zu Beginn zwei Jesuitenzöglinge, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Der streng gläubige Journalist Peter Scholl-Latour und der Kinderbuchautor Janosch. Vorbei die Zeiten, als dieser nur mit Tiger, Bär und Panama gleichgesetzt wurde. Er hat ein Kind gezeichnet, dem über dem Taufbecken ein Kreuz ins Herz genagelt wird.

Indem man ihm einst "als Erstes den Teufel vorstellte" und ihn dann Gott fürchten lehrte, erlebte Janosch "pure Furcht". Scholl-Latour erinnert sich an eine völlig andere Kindheit im Jesuitengymnasium. Um halb sechs aufstehen, Messe, trockenes Brot - eine "extrem strenge Erziehung", ja. Doch er habe "Kirche als etwas Schützendes empfunden".

Karikaturenstreit

An Scholl-Latour sind religiöse Schreckensbilder abgeperlt. Sie seien zwar ausgiebig geschildert worden damals, doch eine Hölle à la Dante habe er sich "nicht vorstellen können", "nicht ernst genommen".

Tief gelitten hat dagegen Janosch. "Man glaubt das, wozu man gezwungen wird", sagt er. Was sei das für ein Unsinn zu sagen, Gott habe nach dem Paradies die Menschheit verflucht? "Ich wurde ungefragt getauft, das beleidigt mich bis heute noch", sagt Janosch.

Die Runde wird erweitert. Im Halbkreis nun auch die Dominikanerin Schwester Jordana. "Verletzen die Janosch-Karikaturen Ihre religiösen Gefühle?", fragt Maischberger. Es mache sie vor allem "einfach nur traurig, das so was passiert mit Kindern", erklärt die Nonne.

Matthias Matussek, Kulturchef des Spiegels, liefert ein überfälliges Stichwort: Dies sei wie ein Karikaturenstreit - im Islam wären die fraglichen Zeichnungen längst indiziert, sagt er, "da würde die Hütte brennen"."Mir wird das Herz traurig, wenn ich diese Leidensgeschichte, diese Gottesvergiftung höre."

Für Matussek ist Kirche Schutz, Ministrant zu sein, sei als kleiner Junge begeisternd für ihn gewesen. Ja, "die Lust an der Theatralik". "Jetzt muss ich etwas ganz Gemeines sagen: Er weiß nichts über den Katholizismus", unkt Janosch.

Wer die Rute schont

Horst Herrmann, Religionssoziologe und ehemaliger Kardinalsanwärter, trat 1981 aus der Kirche aus. Die Kirche sei "ein elfenbeinerner Turm, der eigentlich nichts mehr bringt". Ein schädlicher Einfluss für Kinder? Herrmann bejaht.

Denktabus, Gefühlstabus - "wenn man das alles ernst nimmt", komme man in schwere Nöte. Er sei geplagt durch die Straßen gegangen und habe mit dem Teufel geredet, habe Menschen im Beichtstuhl erlebt, die "geschüttelt waren vor Angst" vor dem Freitagsgebet. "Die Liebe und Zuneigung Gottes kann doch nicht an einer Frikadelle hängen!".

Die Enddreißigerin Schwester Jordana, einziger weiblicher Gast, stellt fest, zu einer anderen Generation zu gehören. Sie habe auch vom Teufel gehört, ja, aber "immer einen starken Gott" an der Seite gehabt, ein anderes Sündenverständnis, einen "Gott als ein Helden".

In ihrem Kinderdorf erlebe sie Freude und Befreiung, wenn sie einen solchen Gott näherbringen könne. "Das ist aber nicht Katechismus", findet Janosch. "Wer hat denn die Kinder befreit?", moniert Herrmann. Zum Beispiel Rousseau, sagt er.

Maischberger lässt neuen Diskussionsstoff einblenden. Oktober 2006 in Deutschland: Der strenggläubige 60-jährige Polizeibeamte Karl K. ersticht seinen 22-jährigen aufmüpfigen Sohn. Passendes Zitat: "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn, wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn" (Bibel, Sprüche Salomos, 13,24).

Wie zu erwarten, katapultiert sich die Diskussion in neue Dimensionen. Man soll einen Verrückten nicht zum Beispiel einer Religion machen, findet Scholl-Latour, schimpft zugleich auf die "lasche Entwicklung" infolge eines 68er-Erziehungs- desasters.

Und was wäre eine Fernsehdiskussion ohne Selbstmordattentäter, endlich werden sie auch hier Thema. Ein Exkurs in afghanische Ausbildungslager - doch dann holt Herrmann in eine ganz andere Richtung aus.

Es kann Gift sein

Kirche sei längst zur Marktmacht geworden, sagt er, "von US-Fundamentalisten" mit viel Geld über die Welt verbreitet. Religion als Machtspiel und Lückenbüßer nach dem Motto: "unser Leben ist völlig leer, deshalb werden wir katholisch". "Christentum ist wirklich eine Religion der Toleranz geworden", sagt dagegen Matussek. Er sieht sich wie jeder Gläubige als Mensch mit vielen Zweifeln.

Maischberger will auf ihre Frage hinaus, ob die Welt ohne Religion friedlicher wäre. Matussek glaubt, dass eine Welt ohne festen Glaubenskern gefährlich wäre. Er wirft sich mit Herrmann Zitate zu, Schwester Jordana glaubt, "dass Religion oft missbraucht wird" und "Gift" sein kann - "also immer", lästert Herrmann, nein, es würden auch Menschen geheilt, befreit, sagt Jordana. Ihrem eigenen Kinderwunsch entsagt sie, auch wenn es weh tue, freiwillig.

Schwenk zur Regensburger Rede des Papstes. "Sachlich falsch", meint Scholl-Latour trotz aller Islam-Kritik. Vernunft als Gottesgeschenk sei der Kern "dieser grandiosen Rede" gewesen, kontert Matussek.

Unter den Top-Ten-Bestsellern seien derzeit drei, die sich mit der Frage nach Gott befassen, so Maischberger. Die Diskussion schweift von Europa über Amerika, die Gräber der Pharaonen bis zu den Kreuzzügen und zurück zum Konflikt zwischen Islam und Christentum. "Aggressor" sei der Islam, findet Matussek, schuld daran die "Mittelalterlichkeit und Nichtaufgeklärtheit des Islam". Scholl-Latour verweist auf Aristoteles.

Was das noch mit Glauben zu tun habe, fragt Schwester Jordana. Sie findet diese Art der Diskussion "fast unpassend". Man beginnt von guten Werken in der Kirche zu sprechen, Janosch kratzt an der Ikone Mutter Teresa. Scholl-Latour sagt, die Heiligen hätten "furchtbar unter Gott gelitten". Matussek erzählt den Witz vom Gott, der sich "eigentlich nie so viel aus Religion gemacht hat".

Nicht wegen des Papstes

Schließlich Vorhang auf für den Vatikankritiker Hans Küng, zugeschaltet aus Tübingen. Die Kirche sei "viel zu weit weg vom Evangelium", erklärt der Theologe. Wenn nicht "das mittelalterliche Kirchenrecht" regieren würde, wären "viele Probleme erledigt". Doch sei auch viel gelungen im Laufe der Zeit, etwa im Bereich der Laien, im Verhältnis zum Judentum.

Das Zölibat sei letztlich nur "ein Randproblem, nur ein Kirchengebot". Das Elend sei, dass immer mehr Gemeinden ohne Seelsorger blieben, "die Menschen laufen davon". Küng, durch eigene Entscheidung bis heute selbst zölibatär, hadert weiter mit dem Verbot im Konzil, das Thema zu besprechen. Im Zwist mit dem Vatikan einfach evangelisch zu werden sei für ihn aber nie eine Lösung gewesen. "Ich bin ja nicht wegen dem Papst katholisch!"

Ein Seitenhieb auf Johannes Paul II., der nie auf Briefe reagierte, schnelle Hähme gegen "lächerliche atheistische Vertreter von diesen Büchern", ein Kompliment an seinen einstigen Weggefährten Ratzinger, der als Papst trotz aller Differenzen zum Gespräch bereit war.

Als Küng wieder aus der Diskussion ausgeblendet ist, zeigt sich Hermann "stolz", dass er als Erster die Lehrerlaubnis entzogen bekam. Er achte Hans Küng hoch. Dennoch hält er Kirchenkritik allein für "zu wenig", er will Glaubenskritik, Religionskritik, Gotteskritik.

Eine anständige Religion

Wozu braucht man den Papst, fragt Maischberger. "Glaube ohne Ritual ist gestaltlos", findet Matussek. Entsprechender Mangel tue den Protestanten weh, "gerade in der Mediengesellschaft". Selbst "die hartgesottensten Kollegen" beim Spiegel hätten etwa beim Tod des letzten Papstes gesagt: "Mensch, das ist ein heiliges Spektakel". "Wer bunte Bilder mag, muss katholisch werden", lästert Herrmann. "Kasperletheater", sagt Janosch.

Scholl-Latour redet über Stalinismus und Nationalsozialismus als Ersatzreligionen, Herrmann hadert noch mit seiner Idee zur alternativen Gestaltung der Kirchensteuer, die sich inzwischen in mehreren europäischen Ländern durchgesetzt hat. "Ich bin ganz traurig darüber, dass ich der Kirche Millionen zugeschanzt habe".

"Einstein sagt, nichts ist größer als die menschliche Dummheit und ich sage, die Religionen werden gewinnen", schließt Janosch. Wenn möglich, würde er eine anständige Religion zur Verfügung stellen, die sei noch nicht erfunden. Was glauben Sie denn, fragt Maischberger. "Ich glaube, dass es etwas gibt, was wir nicht verstehen", sagt Janosch.

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