Süddeutsche Zeitung

Menasse-Debatte:Das fällt ihm im Traum nicht ein

Robert Menasse nimmt die Carl-Zuckmayer-Medaille entgegen und bedankt sich mit einer allzu launigen Rede.

Von Rudolf Neumaier

Er hat es wieder getan. Er hat schon wieder ein Zitat erfunden. Diesmal ist es ihm nachts in einem Traum gekommen, den er nach ausgiebiger Zuckmayer-Lektüre und einer gehörigen Menge Grünen Veltliners hatte. Robert Menasse liebt Weißwein. Als er darüber einnickte, lag Carl Zuckmayers posthum erschienener Geheimreport auf seinem Schoß - selbstverständlich hat man als Germanist den kompletten Zuckmayer griffbereit in seiner Bibliothek. Da erschien er, Zuckmayer, ihm, Menasse, im Traum und bezeichnete ihn als "Luftikus". Und dann maßregelte der kritische Geist den Träumer und trug ihm Sorgfalt auf: Sinngemäßes Zitieren sei nicht statthaft. Menasse gelobte Besserung. Im Traum.

Die ganze Menasse-Debatte - eine Luftikus-Nummer? Mit diesem Traumbild betört Robert Menasse, 64, sein Auditorium in der Dankesrede, mit der er in Mainz die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz entgegennimmt. Menasse spricht aus Zuckmayer spricht aus Menasse spricht aus Zuckmayer. Oder doch nur Menasse mit Zuckmayer aus Menasse? Keine Frage, dem Wiener Literaten bereitet dieses Spiel eine spitzbübische Freude.

Bei allem Respekt vor seiner Brillanz, für die er schon manchen Preis erhalten und, wie er am Freitag beim Applaus in Mainz sagt, die "Liebe der Leute" erfahren hat, klingt sein Traumdialog dann doch etwas sonderbar nach. Begreift sich dieser Dichter allen Ernstes als "Luftikus"?

Zumindest insinuiert er keck, dass Carl Zuckmayer, er lebte von 1896 bis 1977, ihn als Luftikus einstufen würde dafür, dass er in einem Roman einer wichtigen Figur aus den europäischen Geschichtsbüchern des 20. Jahrhunderts Zitate in den Mund legte und diese Äußerungen, weil's grad passte, in sein essayistisches Wirken übernahm. Zuckmayer hatte in seinen Berichten für den amerikanischen Geheimdienst alle möglichen deutschen Zeitgenossen von Gründgens über Furtwängler bis Jünger und Frau Riefenstahl scharf beurteilt, die Aufzeichnungen wurden erst im Jahr 2002 publiziert.

Tatsächlich nimmt nun Robert Menasse für sich in Anspruch, dass er beim Geheimdienst-Flüsterer Zuckmayer als unbedarfter Lausbube davongekommen wäre und sein Fehler wohl nur als Lapsus eines Lüftlings durchgehe. Und als schräger Vogel, denn das sind wir ja zweifellos alle, wie das Traumduett Menasse/Zuckmayer im Dialog feststellt. Das kann man als Anflug von Selbstironie verstehen, aber auch als dezenten Gegenangriff auf seine Kritiker. Ein Ausdruck von Demut - das sind schräge Vogelvergleiche allerdings eher nicht.

Als Künstler darf Menasse träumen, so viel er kann. Bis zum Erwachen. Doch er ist nicht nur Künstler. Die Resonanz und die teils unterirdische Häme für seinen Fauxpas, den er fahrlässig noch dadurch vergrößerte, dass er Fragen von Historikern nach den Hallstein-Quellen ignorierte, hätte ihn sensibilisieren können. Doch Gegenwind überfordert ihn offenbar.

Immerhin: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat ihn fürs Erste exkulpiert. Sonst hätte sie ihm die Zuckmayer-Medaille verweigern müssen. Sie lässt die Entschuldigung gelten, die Robert Menasse zwei Wochen zuvor verlautbart hatte, als der allgemeine Ärger über seine erfundenen Zitate des Europa-Politikers Walter Hallstein lauter wurde.

Am Freitag in ihrer Rede deutet Dreyer an, dass der Preisverleihung interne Diskussionen vorausgingen: "Es war wahrlich kein leichter Weg bis zu diesem Festabend, und ich danke allen, die dazu beigetragen haben, Argumente zu wägen und zu einer verantworteten Entscheidung zu kommen." Applaus erhält die SPD-Politikerin für den Appell, Menasses Entschuldigung zu akzeptieren. Darin werde sich "der Charakter und die Kultur unserer demokratischen Gesellschaft erweisen". Die rheinland-pfälzische Landtags-CDU lässt sich nicht blicken im Mainzer Staatstheater.

Ihr Fraktionsvorsitzender Christian Baldauf hatte die Auszeichnung für Menasse Mitte der Woche in einem Beitrag für die FAZ als "schweren Fehler" bezeichnet. Der von Menasse falsch zitierte Walter Hallstein (1901 bis 1982) war rheinland-pfälzischer CDU-Politiker. "Herrscht im Mainzer Hofstaat Narrenfreiheit für Linksintellektuelle, heiligt der Zweck jedes Mittel?", ätzte Baldauf unter der Rubrik "Fremde Federn" unter anderem.

Es ist eskaliert. Die Empörung wiederum empört diejenigen, die Menasse gewogen sind. Karl-Markus Gauß, der wegen einer Grippe verhinderte Laudator, schrieb seine Klage über "das große Geschütz, das aufgefahren wird" nieder. Ein Schauspieler trägt die Rede vor: "Lüge, Betrug, Geschichtsfälschung, darunter geht es nicht mehr." Ob die Angelegenheit zu Ende diskutiert ist? Gut möglich, dass sich der Historiker Heinrich August Winkler noch gern mit Menasse unterhalten würde. Winkler hatte die erfundenen Zitate entdeckt.

Am Vormittag nach der Verleihung der Zuckmayer-Medaille stellt sich Menasse einer Podiumsdiskussion mit der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und ZDF-Chefredakteur Peter Frey. Es gibt Weißwein und es geht um Europa. Und um Hallstein. Frey fragt nach. Robert Menasse antwortet. Er habe sich Hallstein nicht zurechtgebogen, es sei jedoch sein Fehler gewesen, Fiktionales in die Debatte einzubringen. Doch nun bitte er darum, "dass wir das endlich abhaken können". Er drängt mit flammender Ungeduld zurück zur Tagesordnung: Europa, das ist doch viel, viel wichtiger.

Dann will Peter Frey aber noch wissen, wie Menasse zu seiner ebenfalls breit kritisierten Entscheidung stehe, eine Hallstein-Grundsatzrede in Auschwitz zu verorten. Denn von Auschwitz muss authentisch erzählt werden, alles andere ist tabu. "Die Symbolik dieses Bildes hat mich fasziniert", sagt Menasse. Wer ihm einen Missbrauch von Auschwitz vorwerfe, der maße sich an, "der Oberrichter im Umgang mit Auschwitz zu sein, und ist vollkommen ahnungslos, was die Dimension dieser Geschichte ist". Der Luftikus kann ganz schön laut werden.

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SZ vom 21.01.2019
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