Meinungskampf um Papst Pius XII.:War Schweigen Gold?

War Papst Pius XII. ein Held, der im Stillen Juden vor den Nazis rettete - oder ein Feigling, der zum Holocaust schwieg? An seinem 50. Todestag geht es um die Frage, ob er selig gesprochen wird.

S. Ulrich

Es wirkt, als habe Pius XII. geahnt, wie umstritten sein Bild in der Geschichte stehen wird. So schrieb er in sein Testament: "Die Vergegenwärtigung der Mängel und Fehler, die während eines so langen Pontifikates und in solch schwerer Zeit begangen wurden, hat mir meine Unzulänglichkeit klar vor Augen geführt."

Meinungskampf um Papst Pius XII.: Drohte den Nazis nicht mit Exkommunikation: Papst Pius XII.

Drohte den Nazis nicht mit Exkommunikation: Papst Pius XII.

(Foto: Foto: AP)

Diesen Donnerstag jährt sich sein Todestag zum 50. Mal, und bis heute sind sich Historiker und Theologen uneins, wie dieser Pontifex zu bewerten ist.

War Pius, der seine Kirche von 1939 bis 1958 regierte, ein Held, der im Stillen so viele Juden wie nur möglich vor den Nazis rettete? Oder war er ein Opportunist, der zum Holocaust schwieg, ein "satanischer Feigling" gar, wie sich der Dramatiker Rolf Hochhuth ausdrückte?

Eine Bastion in diesem Meinungskampf hält der Jesuitenpater Peter Gumpel. Papst Johannes Paul II. hat den Geschichtsprofessor einst zum Untersuchungsrichter im Seligsprechungs-Verfahren für Pius ernannt. "Weil ich ein Deutscher bin und meine Familie von den Nazis verfolgt wurde", sagt Gumpel.

Ein Gedächtnis wie eine Datenbank

Seitdem hat er "mehr als 100.000 Seiten durchgearbeitet, die ganze Literatur pro und contra gelesen". Dutzende Mitarbeiter hätten weltweit für ihn recherchiert. "Zudem bekam ich Zugang zu allen Dokumenten der Vatikan-Archive, auch zu denen, die noch nicht freigegeben sind."

Der Pater empfängt in einem Palazzo am Borgo Santo Spirito, einer ruhigen Straße nahe des Petersplatzes.

Sein Büro entspricht der Vorstellung, die man sich von einem vatikanischen Amt macht: ein stiller Raum voller alter Aktenschränke, ein Holzschreibtisch mit akkurat ausgerichteten Papieren, eine Schreibmaschine mit Schonüberzug. An der Wand hängt ein Stich von Sankt Peter.

Hier arbeitet der 84-Jährige "so zehn, zwölf Stunden am Tag". Im Gespräch fischt er Namen, Zahlen und Zitate aus seinem Gedächtnis wie aus einer Datenbank.

Angenommen, er könnte mit all seinem heutigen Wissen Pius XII. zur Zeit der Naziherrschaft beraten - würde er ihm empfehlen, etwas anders zu machen, den Holocaust offen anzuprangern? "Absolut nicht", sagt Pater Gumpel. "Öffentliche Proteste hätten keinen Sinn gehabt." Sie hätten vielmehr die stille Hilfe des Papstes etwa für Tausende von der Deportation bedrohte Juden Roms gefährdet.

Jedenfalls sei er am Ende seiner Forschungen zum Ergebnis gekommen, Pius könne selig gesprochen werden. "Wenn ich in den Akten etwas Belastendes gefunden hätte, hätte ich die Sache nie unterschrieben", versichert er. "Schließlich habe ich als Untersuchungsrichter ja auch ein Gewissen."

Lesen Sie auf der zweiten Seite, was Benedikt XVI. dazu sagt.

War Schweigen Gold?

Hätte ein flammender Protest des Papstes nicht viel mehr Juden gerettet? Keinesfalls, sagt der Pater. Er selbst habe 1942 erlebt, wie die holländischen Priester die Deportationen von den Kanzeln herab verdammten. "In der Folge beschleunigten die Nazis die Verschleppungen. Hat der Protest einen einzigen Juden gerettet? Nein, er hat die Lage verschlimmert. Pius XII. wusste das."

Aber hätte der Papst nicht schon Jahre vorher die Hitler-Diktatur attackieren müssen? Hätte er nicht aktiven Nazis die Exkommunikation androhen und den Widerstand stärken können? Der Pater lächelt nachsichtig: "Schon rein kirchenrechtlich können sie nicht Hunderttausende exkommunizieren. Zudem hätten solche Schritte eine Kirchenverfolgung ohne Ende ausgelöst."

Aber war damals wirklich Schweigen Gold? Pius habe nicht geschwiegen, widerspricht der Pater. Er habe etwa in seiner Weihnachtsansprache 1942 der Hunderttausenden gedacht, die, so Pius wörtlich, "bisweilen nur aufgrund ihrer Nationalität oder Rasse dem Tod oder fortschreitender Vernichtung preisgegeben sind".

Dann räumt er ein, aus der Sicht der Nachgeborenen sei es schwierig, sich die damalige Lage vorzustellen. "Meine Großneffen besuchen mich manchmal in Rom und fragen mich: 'Aber Onkel, warum habt ihr denn damals nicht mehr gemacht?' Ich sage ihnen dann: 'Ich habe unter Lebensgefahr geholfen, Juden über die Grenze zu bringen. Ihr habt dem Tod noch nicht ins Auge geschaut." Die Nachgeborenen sollten vorsichtiger sein, wenn sie die Generation ihrer Vorfahren verurteilen.

Jüdisches Lob

Nun aber geht es nicht um eine Verurteilung, sondern darum, ob Pius XII. so vorbildhaft handelte, dass er selig gesprochen werden sollte.

Pater Gumpel betont, in der Kurie hätten eine Historiker-Kommission und eine Gruppe von Theologen den von ihm aufbereiteten Fall genau geprüft. Danach hätten ihn 13 Kardinäle und Bischöfe begutachtet. "Im Mai vergangenen Jahres gaben alle 13 eine positive Antwort. Damit war meine Arbeit als Untersuchungsrichter beendet."

Das letzte Wort hat nun der Papst. Benedikt XVI. nehme den Fall sehr ernst und wolle ihn persönlich studieren. "Der Papst möchte nichts unternehmen, was die Beziehungen zwischen Juden und der Kirche belasten könnte", meint Pater Gumpel.

"Bestimmte jüdische Kreise" versuchten, Benedikt unter Druck zu setzen. Allerdings hätten sich auch etliche jüdische Gelehrte lobend über Pius geäußert, zuletzt im September bei einem Kongress der amerikanisch-jüdischen Stiftung "Pave the way" in Rom.

Benedikt sagte da zur Rolle Pius XII.: "Seine Interventionen waren geheim und still, weil es in der gegebenen Situation des schwierigen historischen Momentes nur so möglich war, das Schlimmste zu verhindern und die größtmögliche Zahl von Juden zu retten." Am Donnerstag will er im Petersdom eine Messe für Pius feiern.

Sind das Vorzeichen, dass Benedikt seinen umstrittenen Vorgänger nun bald seligsprechen wird? Pater Gumpel klopft wieder auf seinen Schreibtisch und sagt: "Sehen Sie hier irgendwo eine Kristallkugel herumstehen? Ich bin weder ein Hellseher noch ein Prophet."

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