Süddeutsche Zeitung

Meinungsfreiheit an Unis:Feindschaft und das Politische

  • Sollten umstrittene Redner wie Thilo Sarrazin oder Götz Kubitschek in Seminare eingeladen werden? Darüber wird an deutschen Universitäten wieder erbittert gestritten.
  • Man kann daraus eine Debatte um die Meinungsfreiheit machen, um die Lage der Demokratie im Jahre 2019.
  • Wichtiger ist aber etwas anderes: Die Demokratie muss Dissens, Debatte und Streit aushalten - aber auch Grenzen verhandeln.

Von Janne Knödler

Die Debatte um die Meinungsfreiheit war nie weg und ist wieder da. Immer wieder bringt sie ein Aufgeheul in alten und neuen Medien, schlägt sich in Kommentarspalten und aufgebrachten Diskussionen nieder, bis sich schließlich alle ermüdet zurückziehen. Das nächste Mal kommt bestimmt. Dabei geht es weniger um spezifische Fälle; Versuche, klarzustellen oder zu differenzieren, laufen ins Leere, und immer wieder wird eines deutlich: die Unsicherheit der öffentlichen Institutionen im Umgang mit rechten und rechtsradikalen Akteuren.

Im Zentrum stehen diesmal die Bildungseinrichtungen. Der erste Fall: In Siegen, einer Universitätsstadt in Nordrhein-Westfalen, fand im Wintersemester ein Seminar statt. "Denken und Denken lassen" hieß es, John Stuart Mill wurde gelesen, und es gab eine Reihe von Vorträgen, zu denen der Dozent Dieter Schönecker mit Thilo Sarrazin und dem AfD-Politiker Marc Jongen zwei bekannte Köpfe der Neuen Rechten einlud. Die Philosophische Fakultät der Universität stellte sich in einer Stellungnahme gegen das Seminar und untersagte die Nutzung der fakultätsinternen Mittel für das Honorar der Redner. Alle Vorträge fanden statt, teilweise unter Polizeischutz, während Studierende vor dem Gebäude im Regen protestierten. Im Februar wiederum wurde bekannt, dass Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes, des größten Begabtenförderungswerks des Landes, den rechtsradikalen Verleger Götz Kubitschek zu einem Seminar eingeladen hatten. Um "Feindschaft und das Politische" sollte es gehen. Als andere Mitwirkende ihre Teilnahme aus Protest zurückzogen, sagte die Stiftung die ganze Veranstaltung ab.

Seit dem Einzug der Neuen Rechten in Parlamente und deutsche Öffentlichkeit finden sich Institutionen immer wieder in solchen Situation wieder. Eine Einladung zerrt sie in das Scheinwerferlicht, in dem sie unter dem prüfenden Blick aller Beobachter entscheiden müssen, wen sie in welchem Forum reden lassen wollen. Die Entscheidung muss in kürzester Zeit getroffen werden, denn der Aufruhr um eine Einladung verbreitet sich schneller, als die fundierte Stellungnahme formuliert werden kann, die alle erwarten, die die Institution möglichst nicht angreifbar machen soll, und doch in jedem Fall angegriffen werden wird.

Man kann daraus eine Debatte um die Meinungsfreiheit machen, um die Lage der Demokratie im Jahre 2019. Nur setzen sich fast immer alle Seiten für die Meinungsfreiheit ein, ob linke Fachschaften, emeritierte Professoren, Generalsekretäre oder konservative Zeitungsmacher. Wer die Diskussion darauf beschränkt, erzählt aber höchstens die halbe Geschichte. Und ordnet sich in ein Narrativ ein, nach welchem Akteure der Neuen Rechten Opfer einer Meinungsdiktatur sind.

"Wir möchten nichts verbieten. Das können wir ja auch gar nicht", sagt Alexander Steltenkamp. Er ist Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses in Siegen, der sich im November gegen die "einseitige Ausrichtung" des Seminars und die Einladung der Gäste Sarrazin und Jongen stellte. "Wir haben nie versucht, dafür zu sorgen, dass es nicht stattfindet", erklärt er. "Wir haben das Seminar in Ausrichtung und Inhalt kritisiert." Man müsse Sarrazin nicht einladen, um über den Fall Sarrazin zu diskutieren, ja, man könne darüber tatsächlich besser ohne Sarrazin reden. In einer Diskussion Gleichberechtigter, nicht als Fragesteller aus dem Publikum. Es gehe nicht mehr um die Frage, ob man das darf oder dürfen sollte, einen neurechten Akteur sprechen lassen. Sondern ob das im Rahmen eines Seminars sinnvoll ist, und welche Botschaft man damit sendet.

Der Siegener Dozent Schönecker sieht das zwar anders, "natürlich hat der persönliche Dialog einen Mehrwert", vor allem aber geht es ihm um das Prinzip. Er möchte seine Lehrveranstaltungen frei organisieren. Ohne Einschränkung der Mittel, die ihm, so Schönecker, erst zugeteilt wurden und dann aberkannt, und ohne Einschüchterungsversuche. Ohne Proteste? "Mit Widerspruch hatte ich gerechnet", erklärt er. "Und natürlich darf das Seminar kritisiert werden." Aber ein Dozent darf sein Seminar frei gestalten, sofern er sich damit innerhalb der Rechtsordnung bewegt. Schönecker meint, die Nicht-Gestattung der Fakultätsmittel, die ihm vorher zugeteilt wurden, sei rechtswidrig. Die Universität hält dagegen. Zur Finanzierung der Veranstaltung hätten ihm ausreichende Mittel zur Verfügung gestanden. Beide Gäste erhielten ihr Honorar.

Trotzdem bleibt für Außenstehende vor allem der Eindruck übrig, dass der Universität die Deutungsmacht über die Geschehnisse entglitt, dass aus Schöneckers Seminar statt einer akademischen Auseinandersetzung ein populistisches Drama wurde. Es war, als brauchte ein Sarrazin seine These des "Tugendterrors" in Deutschland nicht mehr verteidigen. Stattdessen konnte er vom Seitenrand zuschauen, wie sich die eine Seite zum Freiheitskämpfer stilisierte und es der anderen Seite nicht gelang, dieser Deutung viel entgegenzusetzen. Details wie die Finanzierung des Seminars wurden aufgegriffen, teilweise verzerrt wiedergegeben, Halbwahrheiten verbreitet, die Entrüstungsspirale befeuert.

Dass die Grenze fließend ist, heißt nicht, dass es sie nicht gibt

Warum Dieter Schönecker sich so einsetze für zwei bekannte Provokateure? "Jongen und Sarrazin gehören für mich zum normalen politischen Spektrum", sagt er, Rassisten seien sie nicht. Auf die Frage, wer diese Grenze ziehen darf zwischen konservativen Positionen und Rechtsradikalismus, gibt es keine Antwort. Aber dass die Grenze fließend ist, heißt nicht, dass es sie nicht gibt, und eine Universität, die verpflichtet ist, eine angemessene Lehratmosphäre für alle Studierenden zu schaffen, muss diese Grenze finden.

Wo sie verläuft, beschäftigt nun auch die Studienstiftung. Götz Kubitschek wurde von Stipendiaten eingeladen, die das Seminar selbst organisierten, die Stiftung genehmigte die Veranstaltung. "Ein Fehler", räumt man ein. Durch die öffentliche Erklärung eines vorgesehenen Gastes bekam der Fall Aufmerksamkeit; die Stiftung sagte die Veranstaltung ab. "Als sich herausstellte, dass das Podium in der geplanten Form nicht zustande kommen würde, war klar, dass das Seminar schon aus diesem Grund nicht stattfinden konnte," erklärt die Generalsekretärin der Studienstiftung, Annette Julius. Tags darauf sagte die Stiftung, man bedauere die Einladung Kubitscheks. An der Vereinbarkeit seiner Positionen mit dem Grundgesetz bestünden erhebliche Zweifel. "Unsere Herausforderung lag darin, in kürzester Zeit eine fundierte und belastbare Einschätzung zu Kubitschek und seinem Wirken zu erarbeiten", so Julius. Nun wolle man sich wieder grundsätzlicher damit auseinandersetzen, wie man ich solchen Fällen verfahren will.

Das fordern vor allem auch die Stipendiaten. Denn zwar ist es rechten Akteuren erlaubt, ihre Meinung zu äußern, ein Recht darauf, dies auf der einen oder anderen Veranstaltung zu tun, gibt es jedoch nicht. "Eine Einladung geht über die sachlich-argumentative Auseinandersetzung immer schon hinaus", heißt es in einem Schreiben kritischer Stipendiaten. Sie sei eine politische Handlung mit Signalwirkung, die Legitimierung einer Person und ihres Schaffens. Zumal rechtsradikale Akteure sich meist nicht auf der logisch-argumentativen Ebene bewegten. "Durch ein bestimmtes Vokabular, durch den gezielten Einsatz von Mehr- und Uneindeutigkeit und durch offene Lügen wird ein Stil gepflegt, gegen den Rationalität und Argumentation kaum ankommen", heißt es. Dass man nicht möchte, dass Götz Kubitschek auf einem Seminar doziert, heiße aber nicht, dass man sich abschotten wolle oder Angst vor unbequemen Meinungen habe.

Ein wichtiger Zusatz, denn besonders konservative Kritiker bescheinigen den Studierenden gerne eine solche Angst: als sei der Versuch, rechtsradikalen Meinungen keine Bühne zu bieten, eine Befindlichkeit. Eine Argumentation, die scheinbar aus den USA adaptiert ist, wo der Konflikt um die freie Rede an den Universitäten nicht aufhört. "Liberal Snowflakes" werden dort diejenigen genannt, die gegen Reden von rechten Provokateuren protestieren; ihnen wird vorgeworfen, "Safe Spaces" auf Kosten des freien Diskurses zu fordern, aus Angst vor der Berührung mit "toxischen" Meinungen. Tatsächlich taucht diese Rhetorik der Verletzung und Verletzlichkeit in der Argumentation der Siegener Studierenden oder der Stipendiaten der Stiftung aber gar nicht auf. Vielleicht, weil sie befürchten, ihre Position damit zu schwächen. Auch linke Studierende wollen hierzulande keine Snowflakes sein.

Die Demokratie, scheint man sich einig zu sein, muss Dissens, Debatte und Streit aushalten. Und doch gehört es zu einem aufgeklärten Diskurs, seine Grenzen zu verhandeln. Sie hängen vom jeweiligen Forum ab, in dem gesprochen werden soll, können also enger ausfallen als die gesetzlich festgelegten. Und müssen immer wieder verhandelt werden, auch an Einzelfällen. "Die Studienstiftung soll sich klar von rechtsradikalen Akteuren abgrenzen", sagt Georg Spoo, einer der Initiatoren des Protestbriefes, "und trotzdem muss klar sein, dass diese Abgrenzung nicht heißt, dass man nicht weiter diskutieren muss." Vorgaben von oben nämlich sehen nicht nur schlecht aus, sie machen auch angreifbar. Wer "Zensur" schreien möchte, wird das wohl so oder so machen. Zündstoff liefern muss man aber auch nicht.

Vielleicht wirkte das ganze Drama um die Einladungen rechtsradikaler Provokateure an Universitäten am Ende doch produktiv: Die Streitgespräche um den Umgang mit neurechten Akteuren erfassten die Studierendenschaft, die Fakultät, die Stipendiaten, die Medien. An der Universität in Siegen folgten öffentliche Diskussionsveranstaltungen, in der Studienstiftung soll die Debattenkultur verhandelt werden, gemeinsam. Eine Debatte darüber, wie weit die Meinungsfreiheit reicht und was sie in unterschiedlichen Foren bedeutet, fand also statt. Den Vortrag Thilo Sarrazins mit dem Titel "Tugendterror" musste dafür jedoch niemand anhören. Der nutzte seinen Besuch an der Uni Siegen auch gleich, um sein Buch zu vermarkten. Sein Verlag veranstaltete im Anschluss an den Vortrag eine Lesung, Signierstunde inklusive. Ob man das Seminar damit instrumentalisiert habe? "Nicht das Seminar", heißt es vom Verlag, "sondern die Aufregung darum."

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Quelle:
SZ vom 13.03.2019
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