Meinungsfreiheit:Der PEN schützt auch Unbekannte

Meinungsfreiheit: Sonja Zekri ist Leiterin des Feuilletons.

Sonja Zekri ist Leiterin des Feuilletons.

Das deutsche PEN-Zentrum hat eine neue Vorsitzende, die Schriftstellerin Regula Venske. Aber ist die Autorenvereinigung noch zeitgemäß?

Von Sonja Zekri

Das deutsche PEN-Zentrum hat am Freitagnachmittag, kurz vor dem Ende der Jahrestagung in Dortmund, einen neuen Präsidenten gewählt, und es ist eine Präsidentin: die Schriftstellerin Regula Venske. Eine Frau, zum zweiten Mal in der Geschichte der Organisation. Venske, geboren 1955 im westfälischen Minden, ist Krimi- und Jugendbuchautorin, bislang war sie Generalsekretärin des deutschen PEN-Zentrums. Zu ihren Vorgängern nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten der erste Nachkriegs-präsident Erich Kästner, später Heinrich Böll, Walter Jens, Carl Améry, dann über zehn Jahre Johano Strasser und seit 2013 Josef Haslinger. Die in Rostock geborene Ingrid Bachér hatte das Amt ein Jahr inne, gab es aber im Streit um die Vereinigung zwischen ost- und westdeutschem PEN-Zentrum vorzeitig auf. Nun also die zweite Frau. Dass das PEN-Zentrum die organisatorische Modernisierung überhastet betrieben hätte, kann man kaum sagen.

Ist das nicht exemplarisch? Ist der PEN nicht insgesamt in die Jahre gekommen? Gegründet nach dem Ersten Weltkrieg, wiedergegründet nach dem Zweiten, in Zeiten, in denen die Erinnerung an die Hetze gegen deutsche Schriftsteller, die Flucht deutscher Dichter, die Morde an deutschen Publizisten noch frisch war, hatten sich auch deutsche Künstler in die weltweite PEN-Phalanx zum Schutz des freien Wortes eingereiht. Aber "Bleib erschütterbar und widersteh'", die Worte des in Dortmund geborenen Schriftstellers Peter Rühmkorf, das Leitmotiv der Jahrestagung, wirkt mit seinem altmodischen Pathos gegen die Mobilisierungserfolge in den sozialen Medien, die Solidaritäts-Tweets, die millionenfach unterzeichneten Online-Petitionen so zeitgemäß wie ein Tintenfass gegen ein Tablet.

Gewiss, der PEN-Club erhebt seine Stimme, Haslinger warnte immer wieder vor der Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Europa und vor allem in der Türkei. Im November hat das deutsche PEN-Zentrum die türkischen Publizisten Can Dündar und Erdem Gül mit seinem Hermann-Kesten-Preis ausgezeichnet. Aber welche Signalmacht hat dies verglichen mit der Kampagne #FreeDeniz für den in der Türkei inhaftierten Welt-Journalisten Deniz Yücel?

Das ist keine zynische Rechnung. Gegen Willkür, Rache oder administrative Schikane in Autokratien schützt weniges, aber die Bekanntheit des Opfers manchmal wenigstens ein bisschen. Es gibt nicht viele Regime, die so weit gehen würden wie einst Nigeria, wo 1995 der Schriftsteller Ken Saro-Wiwa hingerichtet wurde - trotz internationaler Proteste.

Ähnlich wie Präsidentschaftskandidaten oder Modeblogger konkurrieren aber auch eingekerkerte Schriftsteller um die Aufmerksamkeit der Nutzer, nur ist der Preis sehr viel höher, wenn es nicht gelingt, das Gewissen der Welt mit ihrem Schicksal zu rühren, weil die Welt ihr Schicksal gar nicht kennt. Dann wird sich niemand empören, niemand solidarisieren, dann wird ihre Existenz vergessen, verblassen, vernichtet. Da kommt der PEN ins Spiel.

Denn wer wüsste von dem Blogger Abduljalil Al-Singace, der in einem Gefängnis in Bahrain eine lebenslange Haftstrafe absitzt, von dem bedrohten Journalisten Jairo López aus Honduras, von dem inhaftierten kurdisch-iranischen Filmemacher Keywan Karimi, wenn das Zentrum nicht mit einer Art Alarm, genannt Rapid Action Network, Details über ihren Verbleib verbreiten würde? "Writers in Exile" heißt ein weiteres Nothilfe-Programm, das bedrohten Schriftstellern oder Publizisten den Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Derzeit sind es etwa der Dichter Zobaen Sondhi aus Bangladesch oder der Dokumentarfilmer Erik Arellana aus Kolumbien, in den sozialen Medien und auch sonst fast Unbekannte, die aber ebenfalls ein Werk haben. Und ein Leben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: