Süddeutsche Zeitung

Literaturnobelpreis:Die Schwedische Akademie hat ihren noblen Charakter verloren

Es ist richtig, den Literaturnobelpreis auszusetzen. Die Akademie braucht respektable Mitglieder - und muss neu aufgebaut werden.

Kommentar von Thomas Steinfeld

In diesem Jahr wird die Schwedische Akademie den Nobelpreis für Literatur nicht vergeben. In der Geschichte der Institution ist diese Entscheidung ein bemerkenswerter Vorgang. Denn bislang gab es solche Pausen nur während der Weltkriege, in Zeiten äußerer Katastrophen, zuletzt 1943. Die schwerste Krise in der Geschichte der nun mehr als 200 Jahre bestehenden Akademie aber kam von innen. Sie ist selbstgemacht.

Ausgelöst nicht einmal durch ein Mitglied, sondern durch das Verhalten eines Angeheirateten - den Ehemann der Lyrikerin Katarina Frostenson - nahm diese Krise ihren Weg von einem Skandal, der sexuellen Übergriffen galt, über die innere Spaltung der Akademie, mit mehreren Austritten, bis hin zu einer Situation, in der sich einige der Beteiligten nur noch über öffentliche Beleidigungen miteinander verständigten.

Die Akademie muss neu aufgebaut werden

Der Skandal um die sexuellen Übergriffe verwandelte sich in ein Symptom für eine innerlich zerrüttete Akademie, die einigen ihrer Mitglieder erlaubte, die Ressourcen der Institution für sich selbst zu nutzen. Die Akademie wurde privatisiert, und von ihrem aristokratischen Charakter blieb nichts übrig.

Aus ihrem Zusammenbruch nun geht kein Mitglied unbeschädigt heraus. Deshalb ist es richtig, den Nobelpreis für Literatur in diesem Jahr nicht zu vergeben: Die Akademie muss neu aufgebaut werden, mit neuen, respektablen Mitgliedern - und es wäre wohl, eben weil alle alten Mitglieder kompromittiert sind, für alle Seiten das Beste, wenn auch die Verbliebenen durch unbescholtene Kräfte ersetzt würden.

Denn der Nobelpreis für Literatur ist nicht nur der bestdotierte, sondern auch der ehrwürdigste aller Preise, die ein Schriftsteller erhalten kann. Die Literatur braucht ihn, und sie wird ihn auch in Zukunft brauchen, nicht nur, weil eine unübersichtliche Welt hin und wieder geordnet werden muss, sondern auch, weil das oft Vernachlässigte, ja Missachtete, aber Notwendige mit diesem Preis für einen Tag in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt wird - mit Abendkleid und Frack, mit König und Festtafel und allem, was dazugehört.

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SZ.de/luch/kjan
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