"Meine Stunden mit Leo" im Kino:Termin beim Sexheiligen

Lesezeit: 3 min

Bloß kein Druck: Emma Thompson und Daryl McCormack beim Sexdate in "Meine Stunden mit Leo". (Foto: Wild Bunch Germany)

Emma Thompson wird für ihren Mut gefeiert in der Rolle einer Witwe, die einen Callboy bucht. Aber wie steht der Film "Meine Stunden mit Leo" zur Prostitution?

Von Kathleen Hildebrand

Was macht man, wenn der Callboy klopft? Wenn es also ernst wird, wenn die digitalen Vorbereitungen abgeschlossen sind - das Aussuchen und Buchen des Mannes und des Hotelzimmers. Wenn da dann also wirklich ein fremder Mensch vor der Zimmertür steht, mit dem man im Tausch gegen Geld Intimitäten austauschen wird, zumindest, wenn alles nach Plan läuft?

Nancy Stokes ist verständlicherweise aufgeregt. Sie hat sich zurechtgemacht mit Bluse, Bleistiftrock und Lidschatten. Chic, aber ein kleines bisschen bieder. Sie streicht und zupft und guckt, was in der Minibar Entspannung verspräche. Den Sekt stellt sie gleich wieder zurück, ein kleiner Klarer kommt in die engere Auswahl.

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Emma Thompson wird in vielen Kritiken gerade für ihren Mut gefeiert, den sie für diese Rolle gewiss gebraucht hat. Sie ist nackt zu sehen, sie thematisiert das schwierige Verhältnis vieler Frauen zu ihrem Körper. Thompson spielt Nancy, eigentlich heißt sie anders. Sie hat sich für dieses ungewöhnliche Date ein Pseudonym zugelegt. Seit zwei Jahren ist sie Witwe, sie ist pensioniert, war Religionslehrerin. Und weil Emma Thompson eine schöne Frau ist und in jeder Rolle grundsympathisch, klug und freundlich gewitzt ist, steht man der Prämisse dieses Films erst einmal offen gegenüber.

Sie hat also Leo Grande gebucht, gespielt von Daryl McCormack ("Peaky Blinders"). Einen schönen, muskulösen jungen Mann, der ihr bescheren soll, was ihr bisher im Leben verwehrt geblieben ist - erfüllenden Sex. Gerne mit Orgasmus am Schluss, aber das erwartet sie nicht, wird eh nichts, da braucht er sich keinen unnötigen Druck zu machen. So in etwa redet Nancy mit Leo, mehrmals will sie die ganze Sache vor Vollzug beenden, weil sie unsicher ist: ist sie ihm zu alt, zu hässlich, macht er das wirklich freiwillig, oder ist er, auch wenn er nicht so aussieht, in seiner teuren, modernen Kleidung, Opfer von Menschenhandel?

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Nancys Zweifel, ihre Wünsche und Überlegungen beinhalten im Grunde den kompletten zeitgenössischen Diskurs über Sexarbeit und deren moralische Verortung zwischen Kriminalität, Missbrauch, Wellness und Therapie. "Sollte Sexarbeit legal sein?" lautete ein Aufsatzthema, das Nancy ihre Schüler jedes Jahr bearbeiten ließ, mit eintönig langweiligem Ergebnis: Ja, weil das die Sexarbeiter schützt, aber "die moralische Frage bleibt ungeklärt".

Es ist nur so: Je mehr Leo seine Kundin Nancy beruhigt mit Beteuerungen, dass er in seinem Job an jedem und jeder etwas Liebenswertes findet, was es ihm ermöglicht, mit Freude zu arbeiten, je mehr er sich also am therapeutischen Ende des Bewertungsspektrums von Prostitution verortet, desto skeptischer wird man beim Zuschauen. "Die Welt wäre viel friedlicher, wenn sich jeder jemanden buchen könnte", sagt er zum Beispiel. "Die Regierung sollte dich bezahlen", antwortet Nancy.

Ein alternder Mann, der sich eine junge Frau bucht - würde man den auch mögen?

Denn: Dreht man die Konstellation auch nur für einen Moment um, wird es komisch. Wenn es hier nicht um weibliches Vergnügen und "Body Positivity" in der Menopause ginge, sondern ein alternder Mann einer schönen jungen und, ja, vielleicht dunkelhäutigen Sexarbeiterin unter Tränen gestehen würde, dass er sich sein ganzes Leben vergeblich Oralsex gewünscht habe. Würde man den gleichen Anflug von Mitgefühl empfinden wie mit Emma Thompson, die ja schon in Ang Lees "Sinn und Sinnlichkeit" beinahe als alte Jungfer geendet hätte? Es ist doch Emma Thompson, das hat sie nicht verdient.

Man kommt, trotz allem Humor und einiger Feinfühligkeit, die Regisseurin Sophie Hyde und die beiden grandiosen Schauspieler in diesem Kammerspiel walten lassen, nicht um den Eindruck herum, dass dieser Film es sich ein kleines bisschen zu leicht macht, bei aller fast schon nervigen Haderei von Nancy. Wieso muss sie ihre Sexualität unbedingt mit einem jungen Mann erkunden, wenn es, wie sie sagt, Interessenten in ihrem Alter durchaus gibt? Was ist mit den die Machtdynamik doch entscheidend beeinflussenden Themen Hautfarbe, Alter, Privilegien?

Was "Meine Stunden mit Leo" schließlich rettet, ist die erzählerische Wendung, die dieses Kammerspiel beim dritten Treffen nimmt. Da wird Nancy, vor lauter Lust-Empowerment und falsch verstandener Nähe, zu der übergriffigen Religionslehrerin, die eben auch in ihr steckt. Sie übertritt alle Grenzen, die Leo Grande - auch er heißt natürlich nicht wirklich so - für sein professionelles Ich errichtet hat. Erst die Reue darüber bringt sie zu wahrer Selbsterkenntnis. Und den Film zu einem versöhnlichen, man möchte fast sagen: befriedigenden Ende.

Good Luck to you, Leo Grande , UK 2022 - Regie: Sophie Hyde. Buch: Katy Brand. Mit: Emma Thompson, Daryl McCormack, Wild Bunch, 97 Minuten. Kinostart: 14.7.2022

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