Theater: "Mein Kampf":Frau Tod und ihr Schlächter

Ein bisschen Tarantino, ein bisschen Charlie Chaplin: Amélie Niermeyer inszeniert in Frankfurt Taboris Theaterstück "Mein Kampf". Gut so.

Egbert Tholl

Der Tod ist ein Faszinosum. Der Tod ist Frau Tod, und die ist Valery Tscheplanowa. Ruhig verharrte sie im Dunkel neben der ganz nah ans Publikum geschobenen Bühne, ruhig rauchte sie in diesem Dunkel, erhellt nur von einem kleinen Scheinwerfer.

"Mein Kampf" Frankfurt

Andreas Uhse ist Hitler. Es scheint, als habe dieser Schauspieler sämtliche Hitlerdarstellungen seit jener durch Chaplin verinnerlicht.

(Foto: Birgit Hupfeld)

Im Rauchen umspielte ein Lächeln ihre Lippen, ein Lächeln, das sie auch jetzt nicht aus ihrem Gesicht nimmt, während sie neben Hitler auf dem Bett sitzt, auf ruhige Art beharrlich weiterraucht und schweigt und nur das wenige sagt, was zu sagen ist: dass dieser Hitler, dieser lächerliche Zwerg neben ihr, der Fachmann sei, den sie, Frau Tod brauche. Eine mittelmäßige Leiche, das schon. Aber der größte Schlächter.

Nach all den medialen Annäherungsversuchen an Hitler, nach historisch bemüht korrekten "Untergängen" und bizarren Überhöhungen wie zuletzt in Tarantinos Inglourious Basterds kann man sich nun, wenn man das Schauspiel in Frankfurt besucht, nicht des Eindrucks erwehren, dass man der ganzen Wahrheit nicht Herr werden kann.

Und wenn dies so ist, dann enthält die Farce vielleicht doch mehr Erkenntnis als jede vermeintlich objektive Aussage. Und wenn Farce, dann Mein Kampf von George Tabori. Amélie Niermeyer hat das Stück, das kaum 20 Jahre alt ist und dennoch bereits vom Vergessen bedrängt wird, nun in Frankfurt inszeniert. Es ist sehr gut, dass sie es getan hat.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Aufführung wunderbares, reines Schauspieler-Theater ist.

Die Stimme hitlert

So wenig Realismus das Stück enthält, in welchem der jüdische Hanswurst Schlomo Herzl im Wiener Männerwohnheim den "Graphiker" Hitler erst zu dem macht, was er später werden sollte, und ihm auch noch Mein Kampf aufschreibt, so wenig Naturalismus gibt es auf der Bühne von Stefanie Seitz. Eine vergilbte Kachelwand, aus der sich vier Betten herausklappen lassen, ein altes Röhrenradio, das wunderschöne Huhn Mizzi. Sonst nichts. Niermeyer lässt den Text für sich wirken. Was nicht heißt, dass sie ihn nicht lustvoll auskostet.

Abgesehen von jüdischer Musik, die aus dem Röhrenradio dringt und einmal auch Hitler zu einer wüsten Polka verleitet, zu der er Hut und Schläfenlocken trägt, abgesehen von Wagners Liebestod aus dem Tristan, der die Begegnung des Schlächters mit seiner Auftraggeberin in höhere Sphären hebt, ist die Aufführung wunderbares, reines Schauspieler-Theater, voller Kabinettstückchen, die nie zum reinen Selbstzweck verkommen.

Herzl ist Michael Benthin; sein Kumpel Lobkowitz, der vielleicht Gott ist, was man schon daran merkt, dass er sich verdrückt, wenn Hitler auftritt, ist Felix von Manteuffel. Beide zusammen sind ein schönes Komiker-Paar, der Schluri und der in die Jahre gekommene, weise Hippie. Andreas Uhse ist Hitler. Es scheint, als habe dieser Schauspieler sämtliche Hitlerdarstellungen seit jener durch Chaplin verinnerlicht und ein in Nuancen sorgsam anzuwendendes Amalgam daraus erstellt.

Wenn seine Stimme hitlert, dann gerade so viel, dass man ins Reservoir der Bilder im Kopf, auch der historischen, eintaucht. Das ist sehr klug und dabei lustig genug und ähnlich kontrolliert wie das - bei Tabori ohnehin schon ziemlich durchgeknallte - Gretchen von Henrike Johanna Jörissen: irritierend faul, lasziv, unwirsch und von betörender Körperlichkeit.

Tarantino im engeren Sinne gibt es auch, Sascha Nathan. Er spielt den Himmlischst, der eigentlich nur auftritt, um ein (echtes, totes) Huhn zu zerlegen und diesen Vorgang minuziös zu kommentieren. Er wühlt im Kadaver, räumt die Innereien raus, knotet das tote Vieh brutal zusammen, hackt die Extremitäten ab, wird dabei immer wilder und hitziger, der weiße Speichel tropft ihm aus dem Mund und aufs Huhn - grotesker Aberwitz der Bestialität. Wie ihn, allerdings mehr sophisticated, Tarantino in seinen "Basterds" erzählt, wenn er Christoph Waltz einen Apfelstrudel mechanisch massakrieren lässt.

Und doch, trotz dieser Momente, ist Mein Kampf in Frankfurt ein unaufgeregter, aber aufregender, in seiner Präzision beeindruckender Abend. Der ein wenig wehmütig macht, weil Amélie Niermeyer im nächsten Sommer Professorin wird und dann wohl kaum mehr zum Inszenieren kommt. Zum Abschied inszeniert sie im Mai in Düsseldorf, wo sie Intendantin ist, Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss.

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