"Mein deutsches deutsches Land":Nazis auf drei Ebenen

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Killer-Trio: Florian (Kilian Land), Dominik (Jonas Friedrich Leonhardi) und Sarah (Lea Ruckpaul) richten 16 ausländische Studenten hin. (Foto: dpa)

In seinem Stück "Mein deutsches deutsches Land", uraufgeführt in Dresden, erzählt Thomas Freyer von einem Nazi-Trio, das dem NSU sehr ähnelt. Wer von der teilweisen Überforderung des Ensembles absieht, erlebt einen gut funktionierenden Theaterabend.

Von Christine Dössel, Dresden

Jeden Montag gehen sie in Dresden auf die Straße, die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", kurz: Pegida. Waren es am Anfang nur ein paar hundert Aufbegehrer, sind es jetzt schon Tausende. Mit Parolen wie "Gegen Islamisierung - für den Heimatschutz" protestieren sie gegen Asylbewerber, Islamisten, Überfremdung. An den Sächsischen Staatstheatern ist man entsetzt über diese Entwicklung. Deshalb haben die Intendanten am Montag gemeinsam mit anderen Kulturschaffenden in den Dresdner Tageszeitungen eine ganzseitige Anzeige geschaltet. "Refugees are welcome here" steht da, darunter wirbt ein Text "für ein weltoffenes Dresden".

Wo draußen auf den Straßen von "null Toleranz gegenüber kriminellen Zuwanderern" die Rede ist, wirkt das, was im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels gegeben wird, umso brisanter: In seinem Stück "Mein deutsches deutsches Land" erzählt der Dramatiker Thomas Freyer, geboren 1981 in Gera, von drei rechtsgesinnten Jugendlichen, die sich radikalisieren und bis zum Äußersten gehen. Am Ende geht der Mord an 16 ausländischen Studenten auf ihr Konto. Das ist erfunden, aber eng angelehnt an den Fall des NSU-Trios "Nationalsozialistischer Untergrund".

Nichtdokumentarischer Weg

Das Theater hat mit dem ihm eigenen seismografischen Gespür für gesellschaftliche Wund- und Bruchstellen früh auf den NSU-Schock reagiert. Hat recherchiert und dokumentiert und all die schrecklichen Fakten und offenen Fragen in Projekten wie "Rechtsmaterial" von Jan-Christoph Gockel und Konstantin Küspert (Staatstheater Karlsruhe) oder "Urteile" von Christine Umpfenbach und Azar Mortazavi (Münchner Residenztheater) inszeniert. Nuran David Calis hat den NSU-Anschlag in der Kölner Keupstraße in seinem Recherche-Stück "Die Lücke" verarbeitet (Schauspiel Köln). Und Elfriede Jelinek reagierte auf das Schweigen von Beate Zschäpe im NSU-Prozess mit alttestamentarischer Wutwucht: "Das schweigende Mädchen" heißt ihr herber Gegenschlag (Münchner Kammerspiele).

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Auch Thomas Freyer wählt den nicht-dokumentarischen Weg, bedient sich als Dramatiker aber nicht der Textflächen- oder Collagetechnik, sondern erzählt - das ist mutig - eine Geschichte. Eine fiktive Geschichte, nah an der Realität.

Das Stück ist ungewöhnlich personenreich, bietet neben den drei mörderischen Protagonisten - sie heißen Florian, Dominik und Sarah - in zahlreichen Mini-Szenen Lehrer, Eltern, Politiker, Polizisten und Journalisten auf. Gut gemachte Polit-Krimiserien aus Skandinavien oder den USA mögen Pate gestanden haben.

Das Drama ist der achtbare Versuch, so etwas auch mal im Theater zu probieren, mit all den nötigen Ermittlern, Spannungsbögen, Cuts und Cliffhangern. Die Handlung springt hin und her zwischen drei Zeitebenen: "gestern" (beginnt laut Text im Jahr 2008 und schildert die Zeit, in der die drei Jugendlichen sich absondern und zusammenrotten); "heute" (2014 ff., die Zeit der Mordserie) und "morgen" (2020, als das Terror-Trio bei einem Unfall auffliegt und die Politik alles daran setzt, den rechtsradikalen Hintergrund zu vertuschen).

Auf der Bühne zeigen zwei Monitore die jeweilige Zeit und Szene an, sonst wäre es reichlich verwirrend. Zumal in der Uraufführungsinszenierung des Dresdner Hausregisseurs Tilmann Köhler nur sechs Schauspieler mitwirken: Thomas Braungardt, Kilian Land, Jonas Friedrich Leonhardi, Matthias Luckey, Ina Piontek und Lea Ruckpaul - ein ausgesprochen junges, für manche Parts zu junges Team.

Im fliegenden Wechsel spielen sie alle Rollen, mal mehr, mal weniger überzeugend. Toll in ihrer Aggression, ihrem Frust, ihrem Stur- und Eigensinn sind sie vor allem in den Rollen ihrer Altersklasse, ob als Jugendliche oder Polizisten. Müssen sie jedoch hohe Tiere beim BND oder im Innenministerium darstellen, flüchten sie sich gerne in abgeguckte TV-Gesten und Klischees. Ganz schlimme Karikaturen sind die Elternfiguren, vor allem die Jungs als Mütter, von grässlichen Kostümen denunziert als Spießer, Mitläufer, linksliberale Leisetreter. Überhaupt gehört der Kostümbildnerin eins auf den Deckel.

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Von solchen Einwänden mal abgesehen, ist das ein erstaunlich gut funktionierender Theaterabend. Tilmann Köhlers Inszenierung hat Drive, das Timing stimmt, und es kommt tatsächlich so etwas wie Krimispannung auf.

Die coole Sound-Collage von Jörg-Martin Wagner trägt zum Flow des Abends bei, auch indem sie immer wieder das Deutschlandlied aufgreift und verfremdet. Dass die vielen Szenenwechsel furios gelingen, ist auch ein Verdienst der Bühne von Karoly Risz: ein drehbares, frei im Raum stehendes, kalt von weit oben beleuchtetes Spielpodest aus Pressspanplatten mit einer hohen Rückwand. Darauf lassen sich sehr schön die Live-Videos projizieren, die in den angedeuteten Fernsehstudios am Bühnenrand gedreht werden. Und die Rückseite der Wand dient als schwarzes Kletter- und Spielgerüst. Die Schauspieler im Dauerumkleide-Einsatz machen an Mikrofonständern pustend und klopfend auch noch die Geräuschkulisse für einzelne Szenen selber, wie für ihren eignen Film.

Bewundernd anzuerkennen ist hier ein versiert spielerischer Umgang mit Theatermitteln - aber schon auch die dramaturgische Umkreisung des NSU-Falls mit kriminalistischen Mitteln, wenn auch auf Kosten der Psychologie. Zu den Protagonisten des Dramas zählt der Kriminalhauptkommissar Wolff, der die Morde als das sieht, was sie sind: eine Serie neonazistischer Gewalttäter. Wie er in seinen Ermittlungen ausgebremst wird von Verfassungsschutz und Politik, wie Kollegen und Medien sich kaufen lassen und der Kommissar ein einsamer Wolf bleibt, mag nach starkem Thriller-Tobak schmecken. Aber ziemlich unglaublich ist auch die Realität.

© SZ vom 09.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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