Megacities:Können Städte die Welt retten?

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Das Geld wird in den Städten erarbeitet - aber auch der Klimawandel wird dort erzeugt. (Foto: Gary Hershorn/Reuters)

Städte boykottieren die Politik von Donald Trump und kämpfen gegen korrupte Banken. Sie könnten die besseren Staaten sein - wenn sie mehr Macht bekommen.

Von Alex Rühle

Letztes Jahr, in Barcelona. 30 Bürgermeister aus ganz Europa saßen zusammen und sprachen wie souveräne Staatschefs miteinander: Welche internationalen Kooperationen sind möglich? Wie muss eine Politik des 21. Jahrhunderts aussehen? Wie können wir uns besser transnational abstimmen? Die ganz großen Fragen, runtergebrochen auf kommunalpolitische Ebene. Einige Zuschauer fragten kopfschüttelnd, was die denn jetzt wollen, echte Politik wird doch von Staaten, Ministerpräsidenten und Frau Merkel gemacht. Die Bürgermeister aber sagten: Wir kommen wieder. Ein Jahr später, wieder Mitte Juni, waren dann Delegationen aus mehr als 150 Städten angereist, diesmal aus der ganzen Welt, aus dem chilenischen Valparaíso, aus Vancouver, Philadelphia, Madrid, Seoul, und alle einte sie in ihren Reden die Überzeugung, dass die Städte geradezu in der Pflicht seien, eine bessere Politik zu gestalten. "Da die Staaten keine Antworten auf die großen prinzipiellen Probleme finden, müssen wir in unseren Städten Alternativen finden", sagte Ada Colau, die Bürgermeisterin von Barcelona, in ihrem Grußwort.

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Benjamin Barber, der wenige Wochen vor dem Kongress gestorben war, muss an diesem Tag im Himmel über Barcelona eine Flasche feinstes Manna geöffnet haben. Schließlich versuchte diese Konferenz unter dem Titel "Fearless Cities" (furchtlose Städte), im Grunde das in die Tat umzusetzen, was der amerikanische Politikwissenschaftler in seinen letzten Jahren mantraartig geschrieben, ja gepredigt hatte: Die Welt ist überhaupt nur noch zu retten, wenn die Städte zu ihrem wichtigsten politischen Motor werden.

Was bilden sich diese Städter eigentlich ein? Viel. Gut so

In "If Mayors Ruled the World" (Wenn Bürgermeister die Welt regieren würden) schrieb er 2013, die Stärkung der Zivilgesellschaft und der partizipativen Demokratie könne einzig aus den Stadtgesellschaften kommen. Zum einen, weil sie ein sehr viel größeres kreatives Potenzial hätten als die verkrusteten, gelähmten Nationalstaaten. Zum anderen, weil sie in ihrer alltäglichen Politik auf Kooperationen und pragmatische Lösungen angewiesen seien - unabdingbare Voraussetzungen für jedes faire Miteinander. Und weil drittens viele Megacitys mittlerweile längst selbst zu Global Players herangewachsen seien. In "Cool Cities: Urban Sovereignty and the Fix for Global Warming", das in der vergangenen Woche posthum erschienen ist, führte er seine urbanistischen Emanzipationsthesen auf politisch höchst brisante Weise fort: Nur die Städte, so Barber, könnten Donald Trumps Agenda noch stoppen. Er nahm die Städte aber auch noch stärker in die Pflicht als zuvor: Als Hauptverursacher des Klimawandels, so Barber, hätten sie mittlerweile die verdammte Pflicht, sich ganz anders zu engagieren als bisher. Nie um eine griffige Formulierung verlegen, konstatierte Barber: "Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Nationalstaaten. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Städte."

Nun stimmt einerseits, dass eine intensivere internationale Vernetzung auf kommunalpolitischer Ebene längst nottut, schließlich lässt sich, was Paweł Adamowicz, der Bürgermeister von Danzig, im letzten Jahr in Barcelona über die europäische Flüchtlingspolitik sagte, auch auf andere große Themen ausweiten: "In Brüssel wird über Integration geredet; aber unsere Städte sind doch die Orte, in denen die soziale und kulturelle Integration am Ende gelingen muss." Insofern sollten sich die einzelnen Bürgermeister gerne viel öfter und enger miteinander austauschen. Aber welchen politischen Handlungsspielraum haben Städte überhaupt? Geht das, transnationale Bündnisse auf kommunalpolitischer Ebene? Und, polemisch gefragt: Was bilden diese Städter sich überhaupt ein?

Viel. Und das erst mal völlig zu Recht: Zum einen sind sie, demografisch gesehen, längst in der Mehrheit: 2005 lebte weltweit erstmals mehr als die Hälfte der Menschen in Städten. Tendenz rapide steigend. Zum anderen wird weit mehr als die Hälfte des globalen Bruttosozialprodukts in Städten erwirtschaftet, laut einer Studie der Beratungsfirma McKinsey liegt der Wert in Westeuropa bei 65 und in China bei 78 Prozent. In den Vereinigten Staaten erwirtschafteten die rund 300 Kommunen mit über 150 000 Einwohnern im Jahr 2010 sogar beeindruckende 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Man kann also durchaus verstehen, wenn die Städte mehr politische Teilhabe einfordern. Und was die von Barber erwähnte Pflicht angeht: 80 Prozent der weltweiten klimaschädlichen Emissionen werden von Städten verursacht. Allein deshalb schon ist es weit mehr als nur ein symbolischer Akt, dass sich nach Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen mehrere US-amerikanische Bundesstaaten und über 200 Städte zusammentaten, um sich ihrerseits zu dem Abkommen zu bekennen und zu geloben, ihre Emissionen zu senken.

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Aber noch mal: Wie viel politischen Spielraum hat eine Stadt überhaupt? Wenn man den Bürgermeistern in Barcelona so zuhörte, klang es so, als seien sie alle souveräne Herrscher über autonome Stadtstaaten und nicht Bürgermeister von Städten, die am Ende auch ihrer jeweiligen staatlichen Gesetzgebung unterliegen.

Einerseits kann man optimistisch argumentieren, dass viele Städte längst nationale Politik mitgestalten oder beeinflussen: Als Seattle 2015 den Mindestlohn im Alleingang auf 15 Dollar die Stunde anhob, folgten bald so viele andere Städte und auch Bundesstaaten, dass Barack Obama das Thema auf die nationale Agenda hob. Weltweit versuchen Städte, im Umweltschutz ihren eigenen Ländern voranzugehen: Oslo will bis 2025 eine klimaneutrale Kohlendioxid-Bilanz erreichen, und Seoul mit seinen 25 Millionen Einwohnern wurde in einem Nachhaltigkeitsranking kürzlich zur ökologischsten Stadt Asiens gekürt. Die Stadt hat das drittgrößte U-Bahn-System der Welt und will bis 2020 die Hälfte aller Busse auf E-Motoren umrüsten.

Viele Städte werfen längst auch ihr ökonomisches Gewicht in die Waagschale, um nationale Politik mit zu beeinflussen: In Barcelona erzählte die Aktivistin Rachel Heaton, dass die Stadt Seattle im Februar dieses Jahres ihre Zusammenarbeit mit Wells Fargo aufgekündigt hat. Wells Fargo ist eine der Banken, die die Dakota Access Pipeline finanzieren, deren Bau Barack Obama kurz vor seinem Amtsende unterbunden und deren Weiterbau Donald Trump sofort nach seiner Inauguration verfügt hatte. Da Seattle einer der größten Kunden der Bank ist, sei, so Heaton, "Wells Fargo schon ins Grübeln gekommen". Ganz ähnlich kündigten mehre spanische Städte 2015 an, mit keiner Bank mehr zusammenzuarbeiten, die verschuldete Familien aus ihren Wohnungen und Häusern vertreibt. Zur Erklärung: Nach dem Platzen der spanischen Immobilienblase konnten viele Spanier ihre Kredite nicht mehr abzahlen, Hunderttausende mussten ihre Häuser verlassen, die Banken, an die die Häuser zurückfielen, setzten diese Räumungen oft brutal durch.

In offener Opposition zu Donald Trumps Politik haben sich rund 300 amerikanische Kommunen zu "Sanctuary Cities" erklärt. Das bedeutet, dass sie sich bei der Umsetzung von Trumps Abschiebungspolitik - Verhaftungen, Razzien, Abschiebungen - weigern, mit den Bundesbehörden zu kooperieren. Auch in Großbritannien haben sich in den vergangenen Jahren über 90 "City of Sanctuary"-Initiativen zusammengeschlossen.

Könnten die United Cities am Ende sogar die Vereinten Nationen ablösen?

So weit, so mutig. Andererseits hat Donald Trump, der im Wahlkampf versprach, alle elf Millionen Menschen aus den USA abschieben zu wollen, die dort ohne gültige Aufenthaltspapiere leben, Ende Januar verkündet, er werde sämtlichen Sanctuary Cities die Zuwendungen streichen. Das hätte schmerzhafte Folgen: Chicago bekommt 15 Milliarden Dollar seines 90-Milliarden-Etats für städtische Leistungen vom Staat. New York würde sieben Milliarden Dollar verlieren. Obwohl Trumps Drohung nicht so schnell wahr werden dürfte, weil sie schlichtweg verfassungswidrig ist, haben einige Städte bereits einen Rückzieher gemacht, Miami etwa gab seinen Status als Sanctuary City schnell wieder auf.

Es wird also nicht so leicht werden mit der städtischen Rundumemanzipation, auch wenn manche Bürgermeister in Barcelona so klangen, als würden schon bald die United Cities die United Nations ablösen oder zumindest ergänzen. Andererseits hat Benjamin Barber kurz vor seinem Tod noch einen letzten Schritt in genau diese Richtung mitinitiiert: Im Herbst 2016 half er mit, das Global Parliament of Mayors in Den Haag aus der Taufe zu heben. Dieses Parlament hat ehrgeizige Ziele. Es fordert multilaterale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die Weltbank oder die EU dazu auf, Repräsentanten der größten Städte in ihre Gremien aufzunehmen, auf Augenhöhe mit den Staatenlenkern, schließlich, so ihr Argument, hätten New York, Paris oder Tokio eine größere Wirtschaftskraft als viele Staaten. Und sie überlegen ganz pragmatisch, wie sie einander helfen können. So wollen die britischen Cities of Sanctuaries ihren amerikanischen Partnerstädten finanziell beispringen, sollte Trump diesen tatsächlich das Geld abdrehen. Wenn ihnen da mal nicht der Brexit, dieses staatlich verursachte Totaldesaster, dazwischenkommt.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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