"Meek's Cutoff" im Kino:Wenn es Frauen richten müssen

Es geht ums Kaffeekochen in der Wildnis statt um Schießereien im Saloon: Der Western "Meek's Cutoff" erzählt die Besiedlung der USA aus dem Blickwinkel der Frauen. Dieser Perspektivenwechsel stellt das Ur-Genre des Kinos vom Kopf auf die Füße - Michelle Williams als Pionierin wagt das Ungeheuerliche.

Martina Knoben

Als vor gut zwanzig Jahren Kevin Costners Öko-New-Age-Western "Der mit dem Wolf tanzt" in die Kinos kam, bewies er wieder mal, wie dehnbar und vital dieses Ur-Genre des Kinos ist. Zwischen dem Blockbuster aus den Neunzigerjahren und Kelly Reichardts aktuellem Indie-Film liegen Welten - aber auch "Meek's Cutoff" fügt der Geschichte des Westerns ein neues, spannendes Kapitel hinzu, indem er von der Besiedlung des Landes aus dem Blickwinkel der Frauen erzählt.

Das klingt wie eine Kleinigkeit, tatsächlich ändert sich durch den Perspektivwechsel fast alles. Indem der Film nicht vom dramatisch Außergewöhnlichen in einem als alltäglich postulierten Kontext erzählt, sondern vom Alltäglichen im Außergewöhnlichen und potentiell Lebensgefährlichen, wird das Genre vom Kopf gewissermaßen auf die Füße gestellt. Einfach nur, weil es ums Kaffeekochen in der Wildnis geht statt um Schießereien in der Westernstadt.

Das zeigt schon die Eröffnungssequenz, in der drei Siedlerfamilien mit ihren ochsengezogenen Planwagen einen Fluss durchqueren. Um es den Tieren leichter zu machen und die Ladung nicht zu riskieren, wurden alle Habseligkeiten ausgeräumt.

Während die Männer nun die Gespanne ans andere Ufer führen, tragen die Frauen in einer stummen Prozession Stück für Stück ihres Besitzes mit über den Kopf erhobenen Händen durch den Fluss: Decken, Wäsche, Geschirr, sogar einen Käfig mit einem Kanarienvogel. Das Wasser reicht ihnen bis zur Brust, man glaubt förmlich zu spüren, wie die Strömung an den Kleidern der Frauen zieht, wie sie sich konzentrieren und vorsichtig mit ihren Füßen den Grund abtasten, um nicht zu stürzen. Danach müssen ihren klitschnassen Sachen über Stunden in der Sonne trocknen. Das alles ist so spannend, wie das Begreifen von Geschichte nur sein kann.

"Meek's Cutoff" spielt in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als aus politischen Gründen tausende Siedler aus dem Osten Amerikas in den Westen gelockt wurden; der Oregon Trail von Independence am Missouri über die Rocky Mountains war die Hauptroute.

Schmerzhaftes Fehlen der Zivilisation

Was es für die Siedler bedeutet haben muss, tausende Kilometer zu Fuß, auf Pferden und mit Ochsengespannen durch die Wildnis zu ziehen, wie beschwerlich und gefährlich der Weg war und wie schmerzhaft das Fehlen von Zivilisation, hat man kaum je so eindrücklich auf der Leinwand gesehen.

Die drei Familien, von denen die Regisseurin erzählt, haben sich vom großen Trek getrennt, weil ihr großmäuliger Führer Stephen Meek (Bruce Greenwood) behauptet, eine Abkürzung zu kennen. Es wird nicht viel geredet. Emily Tetherow (Michelle Williams), Millie Gately (Zoe Kazan) und die schwangere Glory White (Shirley Henderson) gehen stumm ihren Männern und den Wagen hinterher, ihre Hauben tief ins Gesicht gezogen.

Quälende Odyssee in der Felswüste

Nach der Flussdurchquerung hatte man das Gefühl, der schwierigste Teil der Reise wäre geschafft; tatsächlich war sie nur der Auftakt einer quälenden Odyssee. In der Felswüste, durch die die Siedler ziehen, hat Meek offenbar die Orientierung verloren.

"Meek's Cutoff" im Kino: Ihr Eigensinn und Überlebensinstinkt ist förmlich von ihren Lippen abzulesen, und daran, wie mühsam sie ihren Körper zügelt, wenn ihr etwas gegen den Strich geht: Michelle Williams als Emily Tetherow in "Meek's Cutoff".

Ihr Eigensinn und Überlebensinstinkt ist förmlich von ihren Lippen abzulesen, und daran, wie mühsam sie ihren Körper zügelt, wenn ihr etwas gegen den Strich geht: Michelle Williams als Emily Tetherow in "Meek's Cutoff".

Die Wasservorräte werden knapp, die Männer und Frauen sind erschöpft. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Führers kommen auf. Als die Pioniere einen Indianer gefangen nehmen, müssen sie sich entscheiden, wem sie fortan folgen wollen: dem verwahrlosten Schwätzer Meek oder dem Fremden, dem Eingeborenen, der wohl als einziger den Weg aus dem Felsenlabyrinth kennt.

So nüchtern Kelly Reichardt den Alltag des Trecks schildert, so poetisch und mythisch aufgeladen sind ihre Bilder. In trostlos schönen Landschaftstotalen entfaltet sich eine Weite und Leere, die zur existenziellen Herausforderung für die Figuren wird.

Die vermeintliche Abkürzung in die Neue Welt wird eine Reise ins Offene. Da passiert keine Revolution, eher eine Erosion, eine traumhafte, tranceartige Auflösung der bestehenden Verhältnisse, die sich direkt aus der Landschaft herzuleiten scheint und sich auf mehreren Ebenen abspielt. Da sind zunächst die Geschlechterrollen: Je zweifelhafter Meeks Autorität wird, desto wichtiger wird der Pragmatismus der Frauen, desto mehr übernehmen sie, die immer schwiegen, die Führung.

Emilys Eigensinn und Überlebensinstinkt kann man förmlich von ihren Lippen, störrisch und weich, ablesen und daran, wie mühsam sie ihren Körper zügelt, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Michelle Williams, die zuletzt in Derek Cianfrances "Blue Valentine" brilliert und schon in Kelly Reichardts "Wendy und Lucy" (2008) mitspielte, verkörpert wie keine andere Schauspielerin derzeit einen sehr amerikanischen Pragmatismus, der beinahe überdeckt, wie sexy sie ist - oder, in Momenten, in denen sie sich männlicher Dominanz entzieht, sie noch begehrenswerter macht.

Neue Definition von Weiß und Rot

Sie flickt dem Indianer die zerfetzten Schuhe, damit dieser ihr etwas schuldig sei, wie sie sagt. Und als Meek den Indianer erschießen will, richtet sie das Gewehr auf Meek - eine Ungeheuerlichkeit in einer Welt, in der Weiber zu schweigen hatten und der rote Mann der natürliche Feind des weißen war.

Aber auch das Verhältnis von Weiß und Rot wird in "Meek's Cutoff" neu definiert. Wobei das Fremde nicht idealisiert wird wie bei Costner, der Indianer ebenso wenig wie das Land. Man kann in Kelly Reichardts Western einen Widerhall aktueller politischer Strömungen sehen, die Verunsicherung Amerikas und die Suche nach einem neuen Weg. Ein Spaziergang, so viel ist sicher, wird das nicht.

MEEK'S CUTOFF, USA 2010 - Regie, Schnitt: Kelly Reichardt. Buch: Jon Raymond. Kamera: Christopher Blauvelt. Mit: Michelle Williams, Bruce Greenwood, Will Patton. Peripher, 102 Min.

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